Gastbeitrag: Menschenrechte sind unverhandelbar
Wenn Deutschland das Asylrecht missachtet und sich auf EU-Ebene dem Club der Unwilligen anschließt, droht der Rechtsstaat zu kollabieren. Deshalb gelte es, das Völkerrecht und das Recht auf Asyl umzusetzen, schreibt Karl Kopp, Europareferent von Pro Asyl, in seinem Gastbeitrag.

Zur Person: Karl Kopp, Jahrgang 1960, leitet seit vielen Jahren die Europa-Abteilung von Pro Asyl und ist verantwortlich für die Pressearbeit der Organisation. Dabei vernetzt er sie mit anderen Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen. Kopp vertritt Pro Asyl außerdem im Europäischen Flüchtlingsrat ECRE. 2001 ist sein Buch "Asyl" erschienen.
Die Verrohung in der Wahl der Worte, die immer neuen flüchtlingsfeindlichen Forderungen von der Herabsetzung der Sozialleistungen, der Auslagerung des Flüchtlingsschutzes bis hin zur Abschaffung des Asylrechts: All dies macht nicht nur die Rechtsextremen und Demokratiefeinde stark, es sind auch Zeichen einer großen Krise. Häufig geht es in der gegenwärtigen Asyl-Debatte nicht um tatsächliche Lösungen. Zahlreiche Vorschläge sind völlig faktenfrei, manche einfach nur bizarr: "Asylverfahren in Afrika", das "Modell Ruanda" und "Deals" mit Autokraten.
Flüchtlingspolitische Fragen werden missbraucht, um die Verantwortung für gesamtgesellschaftliche Versäumnisse und infrastrukturelle Mängel auf andere zu schieben. Jedoch: Wenn sich Mehrheiten zusammenfinden, um den Schwächsten - und das sind Schutzsuchende - ihre Rechte zu nehmen, erodieren zugleich Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Genau das ist im Moment der Fall.
Wenn wir Rechte für Asylsuchende revidieren, verlieren wir unseren moralischen Kompass
Unsere Position in dieser Krise ist und bleibt klar: Menschenrechte und Menschenwürde sind Kernbestandteile unseres Zusammenlebens, die wir weder verhandeln noch aufgeben dürfen. Wenn wir grundsätzliche Rechte für Asylsuchende relativieren, verlieren wir unseren moralischen Kompass. Die Folgen dieses Werteverlustes sehen wir täglich an den EU- Außengrenzen: Sterben lassen auf Hoher See, illegale und gewaltsame Zurückweisungen, Misshandlungen, willkürliche Inhaftierung in Elendsgefängnissen.
Menschenrechtliche Leitplanken wie das Recht auf Asyl oder der Schutz vor Zurückweisung sind unveräußerlich. Völkerrechtlich ist das in der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Grundrechte-Charta der EU und anderen Menschenrechtsabkommen fest verankert.
Wer das individuelle Asylrecht abschaffen will, müsste aus all diesen Abkommen austreten und letztendlich die EU verlassen. Gesetzt, all diese Ausstiegsszenarien würden realisiert, bliebe am Ende eine entscheidende Frage: Wollen wir wirklich in einer Gesellschaft leben, in der grundsätzliche Menschenrechte nicht mehr gelten?
Die Bundesregierung plant Maßnahmen, die schutzberechtigte Menschen massiv treffen
Die Senkung der Asylzahlen ist eindeutig das Hauptcredo der Beschlüsse vom 7. November 2023 der Ministerpräsidenten und des Kanzlers. Völlig ignoriert wird dabei, dass weiterhin 70 Prozent der Asylsuchenden in Deutschland einen Schutzstatus erhalten. Die avisierten Maßnahmen richten sich gegen Flüchtlinge, die vor Krieg, Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen fliehen - etwa aus Syrien, Afghanistan und der Türkei als Hauptherkunftsländern.
Auch die Asylgrenzverfahren unter Haftbedingungen und Kooperationen mit Drittstaaten, die im Rahmen des Umbaus des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems angestrebt werden, würden schutzberechtigte Menschen massiv treffen. Genau diesen Ansatz soll die Bundesregierung laut den Beschlüssen vom 7. November vorantreiben. Die fatale Konsequenz: Deutschland als gewichtiger und positiver Akteur bei der Flüchtlingsaufnahme in Europa droht sich Schritt für Schritt dem Club der Unwilligen anzunähern.
Europa verabschiedet sich unter dem Druck der Rechtspopulisten von Menschenrechten
Das geplante EU-Asylverweigerungsprogramm lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die, die draußen sind, sollen draußen bleiben. Und die, die es trotzdem in die EU schaffen, sollen entweder in vermeintlich sichere Drittstaaten zurückgeschoben oder an den Außengrenzen festgesetzt werden. Unter dem starken Einfluss der Rechtspopulisten verlieren nicht nur Flüchtlinge in Europa ihre Rechte, Europa verabschiedet sich von den Menschenrechten.
Pro Asyl fordert, dass das Völkerrecht und das EU-Asylrecht durchgesetzt werden. Nur so können die Erosion der Menschenrechte gestoppt und das Leid der Schutzsuchenden an den Außengrenzen beendet werden. Diesen Anspruch formulierte die Bundesregierung noch im Koalitionsvertrag.
Auch die EU-Kommission muss endlich ihren Job machen und Verstöße gegen Unionsrecht konsequent sanktionieren. Schutzsuchende haben ein Anrecht auf ein rechtsstaatliches Verfahren und eine menschenwürdige Aufnahme in der EU. Zudem muss eine EU-Seenotrettung organisiert werden, um das Massensterben im Mittelmeer zu beenden. Darüber hinaus sollten sichere Fluchtwege, etwa über humanitäre Visa und Aufnahmeprogramme, eröffnet werden. Und die EU braucht einen verbindlichen Solidarmechanismus: Die relativ unbürokratische Aufnahme der Flüchtlinge aus der Ukraine zeigt, wie es funktionieren kann.