Gastbeitrag: Der Artenschutz darf nicht aufgeschoben werden
Die Ampel-Koalition hat beim Artenschutz viel versprochen. Angesichts der drohenden Klima und Naturkrise müssen dem jetzt Taten folgen, kommentiert Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger.

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Jörg-Andreas Krüger ist seit November 2019 Präsident des Naturschutzbunds Deutschland e.V. (NABU). Zuvor war der 55-Jährige aus Göttingen sechs Jahre lang als Geschäftsführer des Bereichs "Ökologischer Fußabdruck" beim WWF tätig. Von 2004 bis 2013 war er Nabu-Fachbereichsleiter für Naturschutz- und Umweltpolitik, ab 2010 zusätzlich stellvertretender Bundesgeschäftsführer. Mitglied im NABU ist Jörg-Andreas Krüger bereits seit 1982.
Neben dem Klimaschutz ist der Erhalt unserer Artenvielfalt die zweite große ökologische Aufgabe unserer Zeit." So steht es in den Beschlüssen, die die Ampel-Koalition Ende März gefasst hat. Bereits im Koalitionsvertrag wird völlig zurecht die Bedrohung durch die Natur- und Klimakrise benannt. Die Aktivitäten und Maßnahmen der Bundesregierung zur Lösung beider Krisen lassen jedoch Zweifel aufkommen, ob wirklich alle Koalitionspartner den Ernst der Lage erkannt haben.
Längst sind Dürren, Überschwemmungen, sterbende Wälder, austrocknende Moore und Feuchtgebiete auch vor unserer Haustür zu spüren. Gleichwohl leidet der globale Süden, wo Wetterextreme und Missernten die Lebensgrundlage unzähliger Menschen zerstören, um ein Vielfaches mehr. Der Klimawandel, wucherndes Siedlungswachstum und der Bau neuer Straßen belasten unsere Landschaften weiter. Auch der dringende Ausbau erneuerbarer Energien ist selbst am bestgeeigneten Standort mit zusätzlicher Belastung für Natur und Artenvielfalt verbunden.
Die ökologischen Kipppunkte sind schon vielfach überschritten
Besonders besorgniserregend: Beide Krisen verstärken sich gegenseitig. Einerseits befeuert die Klimakrise den Verlust der biologischen Vielfalt und einzigartiger Lebensräume, die durch Übernutzung, Umwandlung und Zerschneidung ohnehin schon unter enormem Druck stehen.
In ihrem aktuellen Zustand sind Arten und ihre Lebensräume nicht langfristig überlebensfähig, weder global noch in Deutschland. Selbst wenn ab morgen alle negativen Einflüsse verschwänden, würden sie weiter abnehmen, da der ökologische Kipppunkt bereits vielfach überschritten wurde. Um eine Trendumkehr zu erreichen, müssen wir Ökosysteme aktiv wiederherstellen, in einem Verbundsystem vernetzen und ihre Kernflächen durch Schutzgebiete sichern.
Gesunde Wälder und Moore bekämpfen den Klimawandel
Andererseits geben etwa entwässerte Moore und sterbende Wälder Treibhausgase an die Atmosphäre ab und treiben so den Klimawandel massiv an. Wenn wir unsere Ökosysteme hingegen wieder in einen guten Zustand bringen, speichern sie große Mengen Kohlendioxid, liefern Nahrung, Rohstoffe und Lebensraum für unzählige Arten. Gleichzeitig helfen sie dabei, sich an die schon jetzt spürbaren Folgen des Klimawandels anzupassen, etwa indem sie Wasser in der Landschaft halten und so Dürren und Hochwasser abmildern. Anders gesagt: Ökosystembasierte Lösungen bilden das Fundament einer lebenswerten Zukunft mit gesundem Klima und lebendiger Natur.
Doch es ist Eile geboten: Wenn die Funktionsfähigkeit unserer Ökosysteme auch in Zukunft weiter abnimmt, setzen wir uns selbst einem hohen Risiko negativer ökologischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Folgen aus. Deutschland soll laut Klimaschutzgesetz bis 2045 klimaneutral werden. Dafür müssen der natürliche Klimaschutz und die Wiederherstellung unserer Ökosysteme genauso beschleunigt werden wie der Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Wiederherstellung der Natur muss anderen Nutzungs- und Entwicklungszielen übergeordnet werden. Dazu gehört auch, rechtliche Hürden abzubauen, die Renaturierungsmaßnahmen entgegenstehen.
Die Pläne der Ampel-Koalition, das Klimaschutzgesetz auszuhöhlen, sind enttäuschend
Je länger wir warten, desto teurer wird es, Schäden zu beheben. Doch statt schnell und entschlossen zu handeln, sorgt die Ampel-Koalition mit ihren jüngsten Beschlüssen für eine herbe Enttäuschung: Verbindliche Ziele für einzelne Sektoren werden abgeschafft und höhlen so das Klimaschutzgesetz konsequent aus. Besonders gravierend ist dies im Gebäude- und Verkehrssektor, wo die Klimaziele bereits in den vergangenen Jahren krachend verfehlt wurden. Mit einer Priorität für den Ausbau von Autobahnen sorgt das Verkehrsministerium zusätzlich für steigende CO2-Emissionen und zerschnittene Landschaften.
Noch bleibt Zeit: Mit ihren Beschlüssen hat die Ampel signalisiert, dass sie den Klimaschutz und den Erhalt unserer Lebensgrundlagen als größte Herausforderungen unserer Zeit erkannt hat. Dieser Einsicht müssen nun Taten folgen. Nur mit verbindlichen und ambitionierten Maßnahmen beim Klimaschutz und der Wiederherstellung unserer Ökosysteme kann der Kampf gegen die Klima- und Naturkrise gelingen. Die Bundesregierung ist in der Verantwortung, diese Jahrhunderaufgabe mutiger als bisher geschehen anzugehen.