Arznei-Mangel: Die Politik hat das Gemeinwohl zu schützen
Der Zwang, mit möglichst geringen finanziellen Mitteln das Gesundheitswesen am Laufen zu halten, hat an manchen Stellen zu erheblichen Verwerfungen geführt, meint unser Autor.
Nichts ist einfach im deutschen Gesundheitswesen, deshalb sind simple Antworten auf Fragen zu seinen eklatanten Problemen auch meistens irreführend. Gilt das auch für eine Formulierung, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauerbach (SPD) derzeit oft strapaziert, egal, ob es um die Krankenhaus-Reform geht oder den Kampf gegen die immer gravierender werden Lieferschwierigkeiten bei Arzneimitteln? Der Minister sagt, man habe es „mit der Ökonomisierung übertrieben“.
In diesen Zusammenhang stellt er auch die am Dienstag präsentierten Eckpunkte eines Arzneimittel-Gesetzes, dass die Versorgungslage verbessern soll. Betrachtet man den aktuellen Fall der Lieferengpässe bei Fiebersäften für Kinder, lässt sich ganz gut zeigen, dass Lauterbach mit seiner These nicht falsch liegt. Vor zwölf Jahren gab es noch elf Anbieter für Paracetamol-Fiebersaft. Heute gibt es nur noch einen einzigen. Der Grund ist klar. Der Festpreis für die Flasche ist mit 1,36 Euro seit zehn Jahren so niedrig, dass sich die Produktion nicht mehr lohnt. Ab Januar wird es sieben Cent mehr geben. Ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der Tatsache, dass allein die Preise für den Wirkstoff in zwölf Monaten um 70 Prozent gestiegen ist.
Generika, also Medikamente, die patentgeschützte Produkte nach Ablauf der Schutzfrist ersetzen, machen 80 Prozent der Versorgung mit Arzneimitteln aus. Aber nur rund sieben Prozent der Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung entfallen nach Angaben des Fachverbandes auf Generika. Die Möglichkeiten der Kassen, exklusive Rabattvertrage mit den Herstellern abzuschließen, drückt die Gewinnspannen zusätzlich. Dass die Krankenversicherungen mit den Beitragsmitteln der Versicherten sparsam umgehen müssen, steht außer Frage. Aber Lauterbach hat sicher Recht, dass hier einiges aus dem Ruder gelaufen ist. Zumal auf der anderen Seite die Ausgaben für neue patentgeschützte Arzneien durch die Decke schießen. Zugespitzt lässt sich durchaus sagen, dass hier exorbitante Gewinnspannen der Pharmabranche bei neuen Medikamenten das Hersteller-Sterben bei Generika aufgrund des hohen Preisdrucks verschärft.
Der Zwang, mit möglichst geringen Mitteln das Gesundheitswesen am Laufen zu halten, hat auch an anderen Stellen zu erheblichen Verwerfungen geführt. Die Finanzierung der Kliniken aufgrund von Pauschalbeträgen pro Krankheitsfall hat zu einem System geführt, in dem Häuser belohnt werden, die möglichst viele Patienten in möglichst wenig Zeit mit möglichst viel Behandlungen traktieren. Das führt zu einer Medizin, die Schnelligkeit vor Gründlichkeit setzt. Auch kleine Häuser werden zu Operationen getrieben, für die ihnen womöglich Erfahrung und Expertise fehlt – mit verhängnisvollen Folgen für die Patienten. In der Tat: Auch hier ist die Ökonomisierung zu weit getrieben worden.
Wobei man durchaus sagen kann, dass der Begriff missverständlich ist. Denn ist ja – jedenfalls im Fall der Kliniken – nicht in erster Linie die Privatwirtschaft, die den Druck erzeugt, sondern die gewollte staatliche Vorgabe, mit möglichst geringen Mitteln auszukommen. Die Politik hat das Gemeinwohl zu schützen. Das geht nicht mit betriebswirtschaftlichen Kostendeckungsstrategien. In einer älter werden Gesellschaft und angesichts eines rasanten medizinischen Fortschritts kostet das öffentliche Gesundheitswesen sehr viel Geld. Auch sehr viel mehr als durch die Beiträge der Versicherten zur Verfügung steht. Gesundheit ist aber keine Ware, die billig produziert werden muss. Das zu sagen, erfordert politischen Mut.

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