"Bindungsverhalten ist nicht unveränderlich": So prägt uns unsere Kindheit in Paarbeziehungen
Immer gleiche Konflikte, immer der falsche Partner: Die Sozialpädagogin Angela Tatti von der Diakonie Heilbronn erklärt, wie uns unsere Kindheit im Erwachsenenalter beeinflusst - und wie wir uns aus alten Mustern lösen können.

Unsere Kindheit beeinflusst uns mitunter ein Leben lang. Auch Beziehungen, die wir in unserem Erwachsenenleben führen, können von unseren Erfahrungen in der Kindheit beeinflusst sein. Die Diplom-Psychologin Angela Tatti von der Diakonie Heilbronn erklärt, wie genau uns unsere Kindheit hier beeinflusst.
Erst einmal grundsätzlich: Warum sind die emotionalen Erfahrungen, die wir in der frühen Kindheit machen, so wichtig?
Angela Tatti: Jeder Mensch wird mit einem unfertigen Gehirn geboren, welches sich in enger Interaktion mit der Umwelt ausbildet und verknüpft. Natürlich bedeutet das auch, dass Eltern einen großen Einfluss darauf haben, wie sich das Gehirn anhand von Beziehungserfahrungen verknüpft. Die Qualität dieser frühen Bindung legt ein wichtiges Fundament für ein sicheres und seelisch gesundes Leben. In den ersten Lebensjahren, in denen wir noch vollkommen von unseren Bezugspersonen abhängig sind, werden Selbstbild, Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein sowie unsere Empathie- und Beziehungsfähigkeit ganz entscheidend geprägt. Kinder, die sichere und verlässliche Beziehungserfahrungen gemacht haben, werden mit viel Grundvertrauen, Sicherheit und einem positiven Selbstbild in die Welt ziehen. Sie haben sozusagen ein gutes "Standing", das nichts so leicht erschüttern kann.
Inwiefern prägt das unser späteres Verhalten in Paarbeziehungen?
Tatti: Die Qualität der Bindung in der Kindheit beeinflusst auch später unsere Liebesbeziehungen. Menschen, die als Kind unsichere Bindungserfahrungen gemacht haben, sind in der Regel auch in ihren Liebesbeziehungen stark verunsichert. Eventuell haben sie unbewusst Angst vor Verlust ihrer Integrität und Autonomie und lassen niemanden wirklich an sich heran. Menschen sind sehr kreativ, wenn es darum geht, ihre unbewussten Konflikte und die damit verbundenen Ängste in Schach zu halten. Da gibt es unzählige Varianten, die aber alle viel Lebensenergie kosten. Schwierig ist auch, dass wir die Verantwortung für unser Verhalten dann beim Partner deponieren und beispielsweise sagen: "Ich bin ja nur so anklammernd und kontrollierend, weil du nicht vertrauenswürdig und lieblos bist." Projektion nennt man das. Jedenfalls entsteht so viel Potenzial für Verstrickungen und Leid in einer Partnerschaft.
Ist es möglich, sich aus solchen Mustern herauszulösen?

Tatti: Die gute Nachricht ist, dass das eigene Bindungsverhalten nicht unveränderlich und in Stein gemeißelt ist. Wir wissen, dass auch spätere, positive Beziehungserfahrungen sich positiv auswirken. Wichtig ist es für den Betroffenen zunächst überhaupt zu verstehen und anzuerkennen, dass die Schwierigkeiten etwas mit sich selbst zu tun haben. Es muss mir bewusst werden, dass ich sozusagen immer die Vergangenheit mit der Gegenwart verwechsle. Und der zweite Schritt ist, zu lernen, wie ich in mein erwachsenes Denken kommen kann. Immer dann, wenn ich mich dabei erwische wieder in meinem Kinderprogramm getriggert zu werden, muss ich mich bewusst in die Metaebene begeben und die Situation von außen betrachten. Natürlich ist es ein Veränderungsprozess, für den es viel Geduld und Ausdauer braucht.
Wirken sich unsere frühkindlichen Erfahrungen und erlernten Bindungsmuster auch auf unsere Partnerwahl aus?
Tatti: Die Partnerwahl wurde immer wieder erforscht und ist dabei zu ganz unterschiedlichen und zum Teil auch widersprüchlichen Ergebnissen gekommen. Das Kollusions-Konzept nach Jürg Willi, einem Analytiker und Paartherapeuten, besagt, dass manche Menschen ihre Partner anhand gemeinsamer, unbewusster innerer Grundkonflikte wählen. Das heißt vereinfacht dargestellt, dass wir uns beim Zusammentreffen mit einem potenziellen Partner automatisch "abscannen" und uns relevante Informationen innerhalb kürzester Zeit, durch direkte oder indirekte Kommunikation, intuitiv erschließen. Man könnte es auch so ausdrücken: Entweder ich finde eine Resonanz auf meine eigenen inneren Themen beim Gegenüber, dann könnte das mein neuer Partner werden, oder eben nicht. Ich glaube, dass dieses "Abscannen" nicht nur bei der neurotischen Partnerwahl stattfindet. Im positiven Sinne stelle ich dabei vielleicht fest, dass ich mit diesem Menschen eine Partnerschaft auf Augenhöhe führen könnte. Vielleicht haben wir beide interessante Hobbies und Berufe und können uns gegenseitig weitere Erlebnisfelder erschließen. Im Unterschied zu einer neurotischen Partnerwahl brauche ich den Partner nicht zur Selbststabilisierung.
Viele Menschen haben das Gefühl, immer an die "Falschen" zu geraten: Lassen sich solche Muster auch mit Prägungen aus der Kindheit erklären und können wir uns davon lösen?
Tatti: Manche Menschen finden sich stets in den gleichen dysfunktionalen Mustern wieder, die sie schon aus ihrer Kindheit kennen. Es könnte also sein, dass sich ein ungelöster innerer Konflikt darunter verbirgt, der auch mit dem neuen Partner wieder neu inszeniert wird. Dahinter steckt oft der unbewusste Versuch seine Erfahrungen zu verarbeiten, und den inneren Konflikt zu lösen. Wenn jemand also das Gefühl hat, immer wieder in sehr ähnliche, schwierige Konstellationen zu geraten, lohnt es auf jeden Fall genauer hinzusehen und zu reflektieren, welche Rolle man selbst dabei spielt. Wenn man alleine nicht weiterkommt, kann professionelle Unterstützung helfen.