Jüdisches Leben im Kraichgau: Wie eine Gedenkstätte entsteht
In Heinsheim wird die sanierte ehemalige Synagoge Anfang Oktober als lebendiger Ort der Erinnerung eingeweiht. Aber auch in Neidenstein bemühen sich Ehrenamtliche um die Bewahrung des kulturellen Erbes.

Während die ehemalige Synagoge in Heinsheim Ende August als lebendiger Ort der Erinnerung und des Dialogs nach einer Renovierungsphase von zehn Jahren eingeweiht wird, haben die rund 70 Ehrenamtlichen der Fördergemeinschaft Ehemalige Synagoge Neidenstein noch einen langen Weg vor sich. "Immerhin", sagt der dortige erste Vorsitzende, Peter-Paul Ophey: "Ein Anfang ist gemacht."
Der langjährige Landarzt hat das Gebäude 2019 gekauft. Jahrzehntelang hatte es einer Bauernfamilie als Scheune gedient. Inneneinrichtung und Decke waren in der Pogromnacht im November 1938 bereits zerstört worden. "Alles bewegliche Mobiliar wurde rausgerissen und auf dem Sportplatz verbrannt", sagt Ophey. Das Gebäude selbst blieb wegen der engen Bebauung im Kirchgraben unbeschädigt.
Umnutzung nach der Pogromnacht 1938
Der Landwirt, der die Synagoge am 20. Januar 1939 übernahm, riss die vordere Front ab, um einen Vorplatz zu schaffen. Bittere Erkenntnis: Der Misthaufen wurde vermutlich über der Mikwe errichtet. Vieles deutet darauf hin - auch der nahe Bach, zu dem hin das jüdische Ritualbad entwässert wurde. Aber viele Fragen sind noch lange nicht beantwortet.

Denn Zeitzeugen leben nicht mehr. Der Verein besitzt nur ein einziges Foto von der Synagoge, die ab 1831 gebaut wurde - und die eine der größten im Großherzogtum Baden war, "und eine der schönsten gewesen sein muss", so Ophey.
Das Foto zeigt ein Gebäude, dessen Grundriss bis zur Straße reichte. Über dem von vier Säulen getragenen Eingang befand sich ein halbrundes Fenster, das Schüler des Karlsruher Architekten Friedrich Weinbrenner eingesetzt hatten.
Auch der Architekt, an den sich die Fördergemeinschaft gewandt hat, hat einen guten Namen: Professor Dr. Thorsten Erl hat sein Büro in Heidelberg. Er unterrichtet an der Universität in Siegen - kommt aber aus Neidenstein.
Entstehung einer Gedenkstätte
Ein erstes Modell von ihm zeigt die Synagoge wieder mit Vorderfront. In welcher Form das Gebäude aufgebaut wird, ist allerdings noch völlig offen. In insgesamt drei Workshops soll unter der Leitung von Erl ab 17. Juli geklärt werden, welchen Weg die Fördergemeinschaft einschlägt.
Begegnung und Bildung ermöglichen

"Unser Ziel ist die Schaffung eines Gedenkortes, einer Begegnungs- und Bildungsstätte", sagt der 1936 geborene Peter-Paul Ophey. Die Neidensteiner stünden hinter dem Projekt, Bürgermeister Frank Gobernatz sei Mitglied. Allerdings halte sich die Gemeinde als solche zurück.
Dafür steht das Land mit Finanzmitteln bereit. Das Wissenschaftsministerium hat bereits 91 000 Euro überwiesen. Der Verein rechnet mit Gesamtkosten von zwei Millionen Euro. Bis 2031 wären sie gern fertig, sagt Ophey: "zum 200-jährigen Jubiläum." Der Kuhstall ist zwischenzeitlich geräumt. Bis zur Decke war das denkmalgeschützte Gebäude voll mit Stroh.
An wenigen Stellen ist noch roter Putz sichtbar. Deutlich zeichnen sich die Umrisse von sechs hohen Bogenfenstern an drei Wänden ab: Sie sollen wieder geöffnet werden. Vereinzelt sind Fenstersimse wie abgebrochene Zähne im Mauerwerk erhalten geblieben.
Das schmale Gewölbe, das sich im hinteren Bereich der ehemaligen Synagoge befindet, sei aber nachträglich errichtet worden, glaubt Ophey. Wo die Frauenempore war und was unter dem Gebäude ist? "Wir wissen es nicht. Das müssen wir erst noch untersuchen."
Blick in die Geschichte
Jüdisches Leben in Neidenstein lässt sich bis zum Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) zurückdatieren. "Während sich 1825 der Anteil der Juden am gesamten Großherzogtum Baden auf 1,6 Prozent belief", heißt es in einem Flyer der Fördergemeinschaft Ehemalige Synagoge, "waren in Neidenstein zeitweise bis zu einem Drittel der Einwohner jüdischen Glaubens." Mit bis zu 281 Personen entstand dort im Rhein-Neckar-Kreis eine der größten jüdischen Gemeinden Badens - mit eigener Synagoge, eigener Mikwe und eigener Schule.
Die Toten wurden im benachbarten Waibstadt beigesetzt. Der größte Teil der noch in Neidenstein lebenden Juden floh nach der Machtergreifung der Nazis. Die noch 17 im Ort lebenden Juden wurden am 22. Oktober 1940 ins französische Lager Gurs deportiert.
Wer sich für die Aktivitäten der Fördergemeinschaft Ehemalige Synagoge Neidenstein interessiert, wird im Netz fündig unter www.synagoge-neidenstein.de. Auch auf der Website der Weinbrenner-Gesellschaft findet man interessante Notizen. Dort ist auch die historische Ansicht der Synagoge zu sehen.


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