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Sinsheim verabschiedet seinen OB
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Jörg Albrecht zieht eine sehr persönliche Bilanz

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Nach zwölfeinhalb Jahren als Oberbürgermeister der Stadt Sinsheim scheidet Jörg Albrecht vorzeitig aus dem Amt. Ab 1. September ist er Vorsitzender des Vereins „Anpfiff ins Leben“. Zufrieden verlässt der Kümmerer das Rathaus. 

Sabine Uhler arbeitet im Vorzimmer von Oberbürgermeister Jörg Albrecht. "Wir werden ihn vermissen", sagt sie. Albrecht nimmt vorzeitig seinen Hut. An diesem Freitag wird er offiziell verabschiedet.
Sabine Uhler arbeitet im Vorzimmer von Oberbürgermeister Jörg Albrecht. "Wir werden ihn vermissen", sagt sie. Albrecht nimmt vorzeitig seinen Hut. An diesem Freitag wird er offiziell verabschiedet.  Foto: Plapp-Schirmer, Ulrike

Zwölfeinhalb Jahre war er Oberbürgermeister der Stadt Sinsheim. Dann die Nachricht, die auch überregional beachtet wurde: Jörg Albrecht hängt seinen Beruf vier Jahre vor Ende seiner Amtszeit an den Nagel.

Mit "ausschließlich persönlichen und familiären Gründen" erklärt der 56-Jährige im Februar diesen Schritt: "Die unmittelbar zu Beginn meiner zweiten Amtszeit ausgebrochene Pandemie und ihre wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen haben ihren Tribut gefordert." Zwischenzeitlich ist viel geschehen: Mit dem Eschelbronner Bürgermeister Marco Siesing hat Sinsheim Anfang Juli einen neuen Oberbürgermeister gewählt. Jörg Albrecht scheidet zum 31. August aus und wird an diesem Freitag offiziell verabschiedet.

Jörg Albrecht fühlt sich fit für eine neue Herausforderung

Bilanz "Ich höre nicht auf, weil ich verschlissen bin", betonte Jörg Albrecht beim Bilanzgespräch im Sinsheimer Rathaus: "Sonst würde ich jetzt in den Ruhestand gehen." Er höre auf, weil er ein paar Schlüsselerlebnisse gehabt habe.

Als seine jüngste Tochter ein Auslandsjahr in Amerika absolviert habe, sei ihm etwa bewusst geworden, dass deren Kindheit vergänglich ist - und er die meiste Zeit davon verpasst hat. "Meine Frau war Alleinerziehende", so Albrecht: "Ich war nie da."

Ein überbordender Bürokratismus, eine stark veränderte Gesellschaft machen dem scheidenden Oberbürgermeister zu schaffen. "Neid, Egoismus, Missgunst sind ausgeprägter als früher", sagt er. Die Menschen seien nicht mehr bereit, sich richtig zu informieren. Parken, Kindergarten, Freibad, "alles soll nichts kosten", aber keiner frage, woher das Geld dafür komme.

In Sinsheim schmerzt der Verlust der Heimattage 2020 bis heute

Natürlich gibt es auch in Jörg Albrechts persönlichem Rückblick ein vor und ein nach der Pandemie. Damals sei er psychisch und physisch mehr belastet gewesen als ihm bewusst war, sagt er heute. Jeden Abend habe er Verordnungen studiert, jeden Morgen um 9 Uhr den Krisenstab zusammengerufen.

Dass die Sinsheimer Heimattage 2020 der Pandemie zum Opfer gefallen sind, schmerzt ihn am meisten. Das Budget war da, die Anzahl der Veranstaltungen waren bislang ohne Beispiel. Die Stadt und ihre zwölf Ortsteile hätten davon profitiert, ist sich Albrecht sicher: "Sie sind schon in der Planungsphase enger zusammengerückt."

Sinsheim wäre  bekannter geworden. Die Innenstadt hätte einen Schub erhalten. "Für die Stadtgesellschaft wäre das top gewesen." Stattdessen Lockdown - und Krisenstimmung.

Oberbürgermeister kritisiert fake News in den Soziale Medien

Jörg Albrecht spricht von den Heimattagen als einer Chance, die man verloren hat. "Eine Pandemie", sagt er, "will ich nie wieder erleben. Und vor allem nicht in verantwortlicher Position. Was du da abkriegst. . . ". Den Satz lässt er unvollständig ausklingen.

Kommentare, Fehlinformationen und falsche Beschuldigungen auf Social Media kann er nicht akzeptieren. Leserbriefschreibern schickt er auch mal eine persönliche Richtigstellung. "Ich habe alles hinter die Arbeit gestellt", gibt er selbstkritisch zu. Von sechs Wochen Urlaub im Jahr habe er nur zwei genommen "und selbst da war das Tablet immer dabei".

Wer ihm eine Frage gestellt habe, habe die Antwort spätestens zwei Tage danach erhalten. Sieben, acht Termine an einem Samstag nennt Jörg Albrecht "Standard". Und doch will er seinem Nachfolger keine Ratschläge geben.

Wie jemand sein Amt gestalte, müsse jeder mit sich selbst ausmachen, betont er. Seine Arbeitsphilosophie sei halt gewesen, "überall zu sein und stets ein offenes Ohr zu haben". An anderer Stelle sagt Jörg Albrecht: "So bin ich halt."

Marco Siesing im ersten Wahlgang zum neuen Sinsheimer Ob gewählt 

Mit ihm verlässt ein Kümmerer das Sinsheimer Rathaus. Einer, der in den zurückliegenden zwölfeinhalb Jahren Spuren in jedem Ortsteil hinterlassen hat. Bäcker und Metzger in Eschelbach, ein Nahkauf in Hoffenheim, der Gold wert sei, die Erweiterung des Edeka in Steinsfurt: "Ich gehe sehr zufrieden", sagt er.

Seinen neuen Job, Albrecht wird am 1. September Vorsitzender des von der Dietmar-Hopp-Stiftung gegründeten Vereins "Anpfiff ins Leben", nennt er einen Sechser im Lotto. Der künftige Sinsheimer Oberbürgermeister Marco Siesing habe seine Telefonnummer und könne sich mit allem an ihn wenden: "Aber Sie werden bei mir nicht erleben, dass ich überall meinen Senf dazu gebe."

Einige Riesenprojekte seien angestoßen, der neue OB müsse nur verwandeln: Der Bau des Feuerwehrhauses in der Kernstadt, die Generalsanierung der Grundschule in Reihen und der Kraichgau-Realschule in Sinsheim oder der Ausbau der Kinderbetreuungsplätze in allen Ortsteilen sind ein paar davon. In seiner Amtszeit habe die Stadt viele Immobilien und Gelände gekauft, um die städtebauliche Entwicklung voranzutreiben: "Da ist auch in den Ortsteilen viel möglich." 

"Er wird uns fehlen", sagt seine engste Mitarbeiterin im Vorzimmer des Oberbürgermeisters, Sabine Uhler. 

Jörg Albrecht ist in Sandhausen aufgewachsen. Von 2001 bis 2012 war er Bürgermeister von Mauer, seit 2012 Oberbürgermeister von Sinsheim. Er ist Absolvent der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl. Bis 1999 war Albrecht Sachbearbeiter beim Landratsamt des Rhein-Neckar-Kreises und bis 2001 Kämmerer der Stadt Rauenberg.

2012 kandidierte er als Nachfolger von Rolf Geinert, der nicht mehr angetreten war, für das Amt des Oberbürgermeisters der Großen Kreisstadt Sinsheim und setzte sich im ersten Wahlgang mit 77,2 Prozent durch. 2020 wurde Albrecht wiedergewählt.

Seit der Kommunalwahl im Mai 2014 ist Albrecht auch Mitglied des Kreistags des Rhein-Neckar-Kreises. Er hatte auf der Liste der CDU auf Platz eins des Wahlbezirks Sinsheim kandidiert. Am 26. Februar 2024 gab Albrecht bekannt, dass er sein Amt als Oberbürgermeister zum 31. August 2024 vorzeitig niederlegen wird.

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