25 Jahre Orkan Lothar – Pfedelbacherin erlebt Jahrhundert-Sturm: „Haben uns verbarrikadiert“
Mehr als 100 Tote, entwurzelte Bäume, Milliardenschaden: Die Bilanz von Orkan Lothar war verheerend. Eine Pfedelbacherin erinnert sich an den Horror von 1999 – und wie das Erlebnis sie bis heute prägt.
Weihnachten neigte sich dem Ende zu, als an jenem Sonntag, den 26. Dezember 1999, ein Sturm über Baden-Württemberg tobte, der es in sich hatte. Mit mehr als 270 Kilometer pro Stunde fegte Orkan Lothar von Frankreich aus über Süddeutschland. Er hinterließ eine Schneise der Verwüstung: Entwurzelte Bäume, zerstörte Gebäude und sorgt für mehr als 100 Tote.
Helga Bernert hat den Sturm als junge Frau in Pfedelbach erlebt. Und das hat Spuren hinterlassen: nicht nur am damaligen Haus, sondern auch an ihr selbst. Im Gespräch mit der Heilbronner Stimme erzählt sie von jenem verheerenden Weihnachtstag, der sie noch lange prägen sollte.
Orkan Lothar über Baden-Württemberg: „Sturm wurde immer heftiger“
Bernert, damals 30 Jahre alt, hatte sich mit ihrer kleinen Familie ein neues Zuhause geschaffen. „Wir hatten 1993 einen Schicksalsschlag“, erinnert sie sich. Nach einem Blitzeinschlag sei ihr damaliges Haus abgebrannt, nach und nach hatte sie sich mit ihrem Mann ein neues aufgebaut. Das Weihnachtsfest 1999 sollte das erste im neuen Reich werden. Den Christbaum platzierte die junge Familie am großen Giebelfenster.

Vom drohenden Sturm hatte die Familie gehört und verfolgte an jenem Tag die Nachrichten im Fernsehen. „Dann merkten wir, dass das Wetter immer schlimmer wurde“, sagt Bernert. Der Wind habe heftig gegen die große Giebelverglasung gepeitscht, Gegenstände von draußen flogen umher, schließlich fiel der Strom aus. Irgendwann bekam es die Familie mit der Angst zu tun. „Was, wenn die Fenster nicht halten?“
Pfedelbacherin über Orkan Lothar: „Haben uns verbarrikadiert“
Bernert und ihr Mann verschoben das Sofa, die Teppiche. Schließlich fasste die Familie, ihre Tochter war damals knapp zwei Jahre alt, einen Entschluss: „Wir haben uns im Schlafzimmer verbarrikadiert.“ Wie lange die Familie dort ausgeharrt hat, weiß Bernert heute nicht mehr. „Mir kam es vor wie Stunden.“ Es sei das schlimmste Weihnachtsfest gewesen, an das sie sicher erinnere.
Der Orkan fegte ab dem Vormittag etwa zweieinhalb Stunden über Baden-Württemberg, wie die Heilbronner Stimme damals berichtete. Helga Bernert und ihre Familie blieben unverletzt. Die Verwüstungen waren enorm im Ort, wie sich Bernert erinnert: Ihr altes Scheunendach sei abgedeckt worden, auch von vielen Häusern in Pfedelbach seien die Ziegel durch die Wucht des Sturms herabgefallen. Das Giebelfenster hat letztlich gehalten, wurde nach dem Sturm aber mit einem zusätzlichen Balken verstärkt.
Infolge des Orkans und der Aufräumarbeiten starben laut Berichten etwa 140 Menschen in Europa. Allein in Baden-Württemberg wurden am Sturmtag 13 Menschen getötet. Insgesamt beliefen sich die volkswirtschaftlichen Schäden laut „SwissRe“ auf mehr als 15 Milliarden Euro. Auch in den vergangenen zehn Jahren wurde die Region Heilbronn von schweren Unwettern getroffen – mit Überflutungen und Zerstörungen als Folgen.
Orkan Lothar über Region Heilbronn: Pfedelbacherin erlebte schon „Wiebke“
Für Helga Bernert war Orkan Lothar nicht der erste schwere Sturm, den sie bis dato erlebt hatte. „Als ich 18 Jahre alt war, habe ich Wiebke miterlebt.“ Nachdem Lothar überstanden war, habe sie sich „sofort daran zurückerinnert“. Damals habe sie ihren Freund besuchen wollen, der etwa 20 Kilometer entfernt gewohnt hatte. „Völlig leichtsinnig“ sei das gewesen. Sturm Wiebke hatte sich damals immer weiter intensiviert, aber ihre Mutter habe sie von dem Vorhaben nicht abbringen können.
Die damals 18-jährige Bernert fuhr die „kurvige, schmale Strecke“ durch den Wald entlang und sah, wie Bäume entwurzelt wurden. „Ich hatte Angst, ob ich das heil schaffe.“ Es klappte. „Heute kann ich über so viel Naivität nur den Kopf schütteln.“ Bei Sturm Lothar sei ihr zum ersten Mal klargeworden, wie viel Angst ihre Mutter damals um sie gehabt haben musste. „Denn da war ich dann selber Mama.“
Das Sturmerlebnis hat Bernert geprägt. „Vermutlich sogar mehr, als ich bisher gedacht habe.“ Mittlerweile wohnt sie nicht mehr in dem Haus in Pfedelbach, sondern in der Mitte eines Reihenhauses mit drei Parteien. Bernert überlegt kurz. Dann sagt sie: „Tatsächlich fühle ich mich da sicherer.“ Noch lange nach Lothar habe sie bei Stürmen mit Schwindel zu kämpfen gehabt. „Ob das ein Trauma ist, weiß ich nicht“, überlegt sie. „Aber unterbewusst ist da sicher viel mehr, als man sich dann doch eingestehen möchte.“



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