Nach Tod eines Zwölfjährigen: Persönlichkeitsrechte müssen geachtet werden
Auch wenn die Eltern ihre Trauer in Niedernhall öffentlich zeigen. Auch wenn die Eltern Bilder ihres toten Kindes im Internet veröffentlichen. Für alle anderen Menschen gilt: Die geltenden Grenzen müssen beachtet werden, meint unsere Autorin.
Immer wieder werden uns Fragen gestellt wie: Warum zeigt Ihr nicht die Eltern? Warum nennt Ihr nicht die Namen? Warum veröffentlicht Ihr kein Bild des mutmaßlichen Täters? Meist mit Verweis darauf, dass es anderswo doch auch zu lesen sei. Die Antwort lautet: Weil es der Presserat verbietet. Weil es unredlich ist, Menschen in der verletzlichsten Zeit ihres Lebens darzustellen. Und schlimmer noch: sich an Vorverurteilungen zu beteiligen. Die Identität von Opfern ist wie die von Tätern besonders zu schützen, verlangt der Pressekodex.
Was viele leider oft vergessen: Das gilt nicht nur für uns, die Journalisten. Auch jeder andere, der Dinge in den sozialen Medien schreibt und teilt sollte überlegen, was er damit anrichtet – und ob er es darf. Dabei geht es nicht allein um Moral. Es kann auch juristische Konsequenzen haben, wenn Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Wenn das Recht am eigenen Bild missachtet wird oder Namen von Menschen in Zusammenhang mit Schuldzuweisungen veröffentlicht werden.
Nach Tod eines Zwölfjährigen in Niedernhall: Es gilt Unschuldsvermutung
Denn so lange ein Gericht kein Urteil gesprochen hat, gilt die Unschuldsvermutung. Und auch wenn alles Mitgefühl der Menschen gerade bei den Opferfamilien ist, muss bedacht werden: Auch für die Familie des Täters ist es eine schlimme Situation. Und auch für all die Menschen, die als Helfer oder Zeugen im Niedernhaller Fall involviert sind.
Dass die Eltern des toten Jungen öffentlich auf einem Parkplatz trauern, nur zeitweise von einem Bauzaun verborgen, dass sie selbst Bilder von sich und ihrem toten Kind in den sozialen Medien teilen, ist kein Freibrief, gleiches zu tun. Es ist allein ihre Entscheidung, wie sie mit ihrer Trauer umgehen wollen.

Es gibt Menschen, die schließen sich ein. Wieder anderen tut es in der Seele gut, über den Verlust zu reden, die Unterstützung von Familie, Freunden und Fremden zu erfahren. Zumal in einer Zeit, in der die Eltern selbst noch gar nicht wirklich begreifen konnten, was geschehen ist. Weil sie noch nicht wirklich Abschied nehmen konnten von ihrem Sohn. Weil eben dieser öffentliche Platz die letzte greifbare Verbindung zu ihm ist. Das sollten wir bedenken und die Schutzlosigkeit der trauernden Familien nicht ausnutzen. Weder bewusst, noch unbewusst.
Behutsamer Umgang nach tragischem Vorfall in Niedernhall
Denn der Medienrummel in Niedernhall hat noch ein ganz anderes Problem aufgezeigt: Wenn eine Polizeisprecherin mit Schülerzeitungs-Fragen jener Art behelligt wird, wie es der Familie des toten Jungen gehe, ist zu befürchten, dass die Kenntnisse von Presserecht bei der Fragestellerin möglicherweise nicht allzu umfangreich sind. Aber auch hier gilt die Unschuldsvermutung.

Stimme.de