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Vom beschaulichen Heimatort Öhringen in die geteilte Großstadt Berlin

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Die Politologin und Schriftstellerin Karin Wieland lebt seit 40 Jahren in Berlin. Nach mehreren von ihr verfassten Monografien erscheint ihr erster Roman "Aufprall" im Autorenkollektiv. Er beschreibt die Hausbesetzerszene in den 1980er Jahren.

Von Renate Väisänen
Als Kind hat sie es geliebt, die Krypta der Öhringer Stiftskirche zu erkunden. Auch heute noch bleibt der historische Ortskern von Öhringen für Wahl-Berlinerin Karin Wieland − hier am Löwentor der Stiftskirche − attraktiv.
Foto: Renate Väisänen
Als Kind hat sie es geliebt, die Krypta der Öhringer Stiftskirche zu erkunden. Auch heute noch bleibt der historische Ortskern von Öhringen für Wahl-Berlinerin Karin Wieland − hier am Löwentor der Stiftskirche − attraktiv. Foto: Renate Väisänen  Foto: Renate Väisänen

Im beschaulichen Öhringen ist sie aufgewachsen. Schöne Erinnerungen verbindet sie mit ihrer Heimatstadt: Im Sommer ging es für die begeisterte Schwimmerin regelmäßig ins Freibad. Sonntags auf eine Ausfahrt mit der Familie durch"s Hohenloher Land. Und wenn sich die Gelegenheit ergab, erforschte man mit schaurigen Freuden die Krypta der altehrwürdigen Stiftskirche. Schon sehr früh begann sich Karin Wieland für Politik zu interessieren. Und nicht nur für die Politik, wie sie damals in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn gemacht wurde, sondern auch auf kommunaler Ebene: Zusammen mit Gleichgesinnten ging die damalige Gymnasiastin auf die Straße, um für ein autonomes Jugendzentrum in Öhringen zu kämpfen.

Kalt, grau und grausam

Was lag da für die junge Öhringerin näher als ein Studium der politischen Wissenschaften anzustreben? Nach dem Abitur zog Wieland 1977 aus dem beschaulichen Öhringen ins "kalte, graue und grausame" Berlin. "Dort herrschte eine Stimmung als würde das Ende des Zweiten Weltkriegs gerade mal zwei Wochen zurückliegen", beschreibt Wieland im Gespräch mit der HZ ihre ersten Eindrücke von der damals noch geteilten Stadt. "Da war schnell klar: Einfach wird das hier nicht", erinnert sich die Wissenschaftlerin und Autorin.

Einfach hat es sich Wieland nicht gemacht: Nach zwölfjähriger Tätigkeit als wissenschaftliche Assistentin, arbeitet sie seit über 20 Jahren als freie Schriftstellerin. Für ihre verschiedenen Monografien begab sich Wieland auf Spurensuche nach Italien, wo sie die Aufenthaltsorte von Benito Mussolinis heimlicher Geliebten, der jüdischen Schriftstellerin Margherita Sarfatti, besuchte. Nach Hollywood und in das achte Arrondissement von Paris führte die Reise der Autorin, wo Filmdiva Marlene Dietrich in einer Wohnung in der Avenue de Montaigne ihren Lebensabend verbrachte. Und ins Südtiroler Sarntal, wo Hitlers spätere Kultregisseurin Leni Riefenstahl Anfang der 1930er Jahre für ihren Film "Das blaue Licht" vor der Kamera agierte.

Basierend auf eigenen Erfahrungen

Das neue Buch der Schriftstellerin behandelt jedoch alles andere als schillernde Legenden: Der Roman "Aufprall", der im Autorenkollektiv zusammen mit Wielands Ehemann, dem Soziologen Heinz Bude, und der Bildenden Künstlerin Bettina Munk verfasst wurde, beschreibt die Hausbesetzerszene, die in den 1980ern aufgrund der damals herrschenden Wohnungsnot im Berliner Westen entstand. "Alles andere als konventionell zu leben, war es, in einem besetzten Haus zu leben. Man lebte experimentell von einem Tag zum anderen", erinnert sich Wieland an ihre eigenen Erfahrungen, die sie als illegale Hausbewohnerin gemacht hat. Mit großer gemeinschaftlicher Anstrengung seien damals ganze Dächer geteert worden und Fenster dicht gemacht worden. Um die Innenräume "auf primitivem Niveau" wohnbar zu machen. Immerfort sei man von Polizeieinsätzen bedroht gewesen. "Diese Art zu leben war eigentlich so etwas wie ein Abenteuer. Aber fern von heroisch", sagt Wieland.

Für den Roman "Aufprall" hätte das Autorenteam seine ganzen Erlebnisse, die es in diesem Lebensabschnitt gemacht habe, zusammengeschmissen . "Die Geschichte trägt jedoch keine autobiografischen Züge", betont die Wahl-Berlinerin. "Bei dem Werk handelt es sich um einen Bildungsroman." Dass die Prosa über das antibürgerliche Zeitgeschehen seit ihrem Erscheinen vielfach in renommierten Printmedien und TV-Kulturmagazinen besprochen worden ist, freut die Autorin, die regelmäßig ihre Familie in Öhringen besucht.

Und was hat sich in den Augen der Besucherin in Öhringen Neues getan? "Hier gibt es viel mehr Autos als früher. In Öhringen herrscht ein schrecklicher Verkehr", stellt Karin Wieland fest.

Zur Person

Karin Wieland (geboren 1958 in Öhringen) studierte nach ihrem Abitur am Hohenlohe-Gymnasium Öhringen Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Politische Theorie an der Freien Universität Berlin. Neben zahlreichen anderen wissenschaftlichen Publikationen brachte die promovierte Wahl-Berlinerin 2004 ihre erste Monografie über die Geliebte des italienischen Diktators Benito Mussolini, Margherita Sarfatti, heraus. 2011 folgte eine Doppel-Monografie über die Schauspielerin Marlene Dietrich und die Regisseurin Leni Riefenstahl. Die englische Übersetzung der Publikation war Finalist beim renommierten US-Literaturkritik-Preis National Book Critics Circle Award. 2020 veröffentlichte Wieland im Autorenkollektiv den Roman "Aufprall". Das Buch thematisiert die Hausbesetzerszene im Berliner Westen der 1980er Jahre. Wieland ist regelmäßig als wissenschaftliche Expertin in TV-Geschichtsdokumentationen zu sehen. Sämtliche Bücher der Autorin sind im Münchner Carl-Hanser-Verlag erschienen.

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