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Tod und Verlust
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Arbeit im Kinder- und Jugendhospizdienst: "Wir haben keine Kultur des Trauerns"

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Birgit Bährle kommt im Kinder- und Jugendhospizdienst Hohenlohekreis mit starken Gefühlen in Berührung. Im Interview erzählt sie, wie Kinder mit Trauer umgehen und wie Erwachsene ihnen dabei helfen können.


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Birgit Bährle ist ein extrem positiver Mensch. Dabei sieht sie in ihrem Beruf oft die schweren Seiten des Lebens. Birgit Bährle ist Koordinatorin beim ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst Hohenlohekreis mit Sitz in Öhringen. Zu ihr kommen Menschen, die damit umgehen müssen, dass bei einem Familienmitglied eine lebensverkürzende Diagnose gestellt wurde. Es werden Kinder begleitet, die ein Geschwister oder Elternteil verloren haben. Es werden Kinder aufgefangen, die neben einem schwerkranken Geschwisterkind oft etwas zu kurz kommen.

Frau Bährle, warum tun sich so viele Menschen mit dem November so schwer?

Birgit Bährle: Das liegt sicher mit daran, dass im November das Wetter so grau wird, wie Grau eben auch die Farbe der Trauer ist. Die Natur stirbt, macht Platz für Neues. Dazu kommt, dass der Monat mit den vielen Gedenktagen wie Allerheiligen, Volkstrauertag und Totensonntag den Tod in den Fokus rückt.

Ein Monat, der das Trauern aber oft noch schwerer macht.

Bährle: Ja, die Tage werden kürzer. Es finden weniger Begegnungen statt. Das ist für uns Menschen eine Herausforderung. Wenn es draußen ungemütlich ist, kann man es sich daheim gemütlich machen. Das ist aber auch etwas, das Trauernden schwer fällt.

Der Totenmonat November muss nicht nur grau und trist sein, findet Birgit Bährle.
Der Totenmonat November muss nicht nur grau und trist sein, findet Birgit Bährle.  Foto: Tscherwitschke, Yvonne

Weil es einsam ist?

Bährle: Ja, das Wetter, das Graue, der Nebel, das bringt Schwere. Dazu kommt, dass der Advent und die Weihnachtszeit anstehen, eine Zeit, in der man noch deutlicher spürt, dass jemand fehlt. Besonders dann, wenn man das erste Mal Weihnachten oder den Jahreswechsel ohne den geliebten Menschen feiern muss.

Schon am Tag der Geburt steht fest, dass wir sterben werden. Warum tun wir uns trotzdem so schwer damit? Warum ignorieren wir lange, dass einer vor dem anderen sterben wird?

Bährle: Schon der Akt der Geburt ist ein erstes Abschiednehmen - von der Geborgenheit. Wir werden in eine Welt der Abschiede hinein geboren. Wir verabschieden uns von Lebensphasen, von der Heimat, von Freunden, von geliebten Menschen, Haustieren, dem Arbeitsplatz. Es gibt viele Arten von Verlust. Da hilft es, wenn man Menschen an seiner Seite hat, die da sind, die Trauer anerkennen und zeigen, dass man die Gefühle ausdrücken darf, nicht bagatellisieren muss.

Kann man das lernen?

Bährle: Man kann mit dem Kind gemeinsam aushalten, Abschied zu nehmen. Beispielsweise indem man nicht schnell ein neues Haustier kauft. Man kann es darauf vorbereiten, dass ein Leben kommen wird, das mit Abschieden gespickt sein wird. Das ist auch ein Dienst an der Gesellschaft, wenn man zeigt, dass man seine Gefühle leben darf. Wir haben keine Kultur des Trauerns. Dabei ist es so ein Urgefühl, dass uns alle Menschen so verbindet. Alle Menschen auf der ganzen Welt kennen das Gefühl der Trauer. Und trotzdem kommt es so wenig öffentlich vor.

Wann sind Sie das erste Mal mit dem Tod, mit der Trauer in Kontakt gekommen?

Bährle: Eigentlich begleitet mich das Thema mein ganzes Leben. Mein Vater war Pfarrer. Ich habe schon früh die Menschen wahrgenommen, die einen Angehörigen verloren haben, wenn sie zum Trauergespräch kamen oder mein Vater in ein Trauerhaus ging. In meiner Tätigkeit als Kinderkrankenschwester habe ich erlebt, dass Kinder auf der Station verstorben sind.

Das hat geprägt?

Bährle: Ja schon, die Erfahrung, dass da Menschen sind, die Begleitung brauchen. Ich habe erfahren, es gibt immer irgendwo Menschen die trauern.

Sie haben oft mit Menschen und tragischen Erfahrungen zu tun. Wie gehen Sie damit um?

Bährle: Ich erlebe, dass es wichtig ist auch in der Gesellschaft nicht auszuweichen, da zu sein. Ich erlebe es oft, dass es wichtig ist, Zeit und Raum zu geben für diesen Menschen und diese Geschichte. Den Menschen ist es wichtig, dass sie erzählen können. Das erlebe ich oft so.

Es heißt oft, dass Kinder anders trauern. Wie macht sich das bemerkbar?

Bährle: Kinder zeigen viele Gefühle. Je nach Alter kommunizieren sie ihre Trauer mehr über Gefühle. Kinder können in einem Moment sehr traurig sein und weinen und im anderen wieder albern sein und lachen. Das ist auch eine Schutzfunktion. Die Kinder schöpfen Kraft aus der Normalität des Fröhlichseins und Abstandgewinnens. Gefühle können von Traurigkeit bis zu Trotz, Wut oder Aggressivität reichen, aber auch zu Freude, wenn sie über den Verstorbenen reden.

Nun tendieren Erwachsene dazu, Kinder zu schützen, wenn in der Familie jemand schwer krank wird, stirbt. Ist das gut?

Bährle: Kinder haben ein Recht zu trauern und auf angemessene Information, Teil haben zu dürfen, einbezogen zu sein. Kinder haben ein Recht darauf, zu erfahren, was da passiert ist. Kinder haben auch ein Recht auf Normalität, darauf, ihre Routinen weiterzuführen. Sie dürfen auch in den Matheunterricht, wenn ihnen der Alltag gut tut. Sie haben ein Recht, mit anderen Betroffenen zusammen zu sein, das geht gut in Trauergruppen für Kinder und Jugendliche. Wichtig ist, Kindern einen guten Abschied zu ermöglichen, sie mit der Realität zu konfrontieren. Wenn man Kinder da zurückhält und nicht offen darüber spricht, dann fangen sie an zu fantasieren. Das ist oft schlimmer als die Realität. Wenn Kinder nicht allein gelassen werden, jemand an ihrer Seite haben, dann halten sie viel aus.

Kinder fragen auch viel?

Bährle: Ja, und sie haben ein Recht darauf. Schwierig ist das oft für den verbliebenen Elternteil, der selbst trauert. Dann sollte man schauen, wer für das Kind da sein kann, es begleitet.

Warum ist es gut, wenn es jemand außerhalb des Familiensystems ist?

Bährle: Weil das dann jemand mit Stärke und Stabilität ist. Weil das Kind nicht fürchten muss, dem selbst trauernden Angehörigen noch mehr zuzumuten. Kinder denken oft, wenn ich nun auch noch meine Traurigkeit zeige, wie soll die Mama das noch aushalten. Dabei ist es wichtig, im Familienverbund zu sehen, wie man gemeinsam trauern kann, sich nicht allein zu lassen.

Doch Menschen trauern unterschiedlich?

Bährle: Ja, da gibt es auch oft Konflikte. Deshalb ist es wichtig, über die Unterschiedlichkeit der Trauer zu reden. Es verbindet zu sehen, dass jeder auf seine Art trauert.

Welche Gesichter kann Trauer haben?

Bährle: Da ist vielleicht die eine, die sehr zurückblickt. Der andere ist vielleicht pragmatisch unterwegs und kümmert sich um den Nachlass. Da kann dann schon ein Konflikt entstehen, wenn einer sagt, der andere kümmere sich um Oberflächliches, während der andere bemängelt, dass der andere nichts tut. Dann sind da womöglich noch Kinder, die diesen Konflikt spüren.

Was sollte man zu Kindern keinesfalls sagen?

Bährle: Kinder sollten selbst entscheiden dürfen, ob sie den Verstorbenen nochmal sehen wollen. Sie sollten bei der Bestattung dabei sein können, man sollte es ihnen ermöglichen, etwas zu tun. Dinge zu schreiben, zu basteln. Man kann die Urne oder den Sarg bemalen oder verbindende Dinge in den Sarg legen. Man soll nicht sagen, da ist jemand eingeschlafen oder von uns gegangen. Das können Kinder schnell missverstehen.

Und was ist mit dem Himmel als letztem Ort?

Bährle: Die Vorstellung kann sehr tröstlich sein. Letztlich weiß es ja niemand so ganz genau. Man kann fragen, was das Kind meint, wo der Opa nun nach dem Tod ist, man kann darüber ins Gespräch kommen. Denn tatsächlich wissen tut es ja niemand. Wichtig ist, dass es sich für alle gut anfühlt.

Birgit Bährle (54) ist verheiratet und hat drei Kinder. Sie ist Koordinatorin vom Kinder- und Jugendhospizdienst Hohenlohe mit Sitz in Öhringen. Sie lebt mit ihrer Familie in einem Öhringer Teilort. Geboren ist Birgit Bährle in Buchen. Nach ihrer Ausbildung zur Kinderkrankenschwester hat sie auf der Kinderintensivstation gearbeitet und beim Pflegestützpunkt Hohenlohekreis. Sie ist Palliativ-Carefachkraft und Trauerbegleiterin.

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