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"Branche ist verrücktem Wettbewerb ausgesetzt" – Enorme Preisunterschiede an Tankstellen

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An manchen Tankstellen kostet der Liter Diesel oder Benzin zehn Cent mehr als an anderen – manchmal sogar zeitgleich bei derselben Kette. Ein Hohenloher Händler spricht von "Wahnsinn" und erklärt, wie Spritpreise entstehen.

Vom Spritpreis ist man einiges gewohnt. Er steigt und sinkt mehrfach am Tag und auf lange Sicht kennt er – auch durch steigende Abgaben – nur den Weg nach oben. In letzter Zeit scheint er jedoch völlig außer Kontrolle zu sein: Sprünge von zehn Cent an einem Tag sind keine Seltenheit mehr. 

Vor wenigen Wochen rieben sich Menschen in der Region verwundert die Augen: Bei zwei Tankstellen derselben Kette betrug der Unterschied gleichzeitig elf Cent. In Öhringen verlangte derselbe Händler knapp 1,96 Euro für einen Liter Superbenzin, der ihn zeitgleich in Jagsthausen für knapp 1,85 Euro verkaufte. Und das scheint kein Einzelfall zu sein, denn mittlerweile wenden sich immer mehr Leser an die Hohenloher Zeitung und fragen: Was ist da los?

Wie Preise an der Tankstelle zustande kommen: Maschinen haben die Macht 

Besagter Händler ist Roland Weissert, Geschäftsführer des Brennstoffhändlers Energie-Direkt Hohenlohe (Edi) aus Öhringen. Weissert erklärt: "Die Branche ist einem verrückten Wettbewerb ausgesetzt." Immer mehr Kunden vergleichen Spritpreise über Internetportale, also machen das die Händler jetzt auch – aber nicht persönlich, sondern per Computer, vollautomatisch. Diese Maschinen setzen auch die Preise. Deren Algorithmen beobachten die Konkurrenten in einem bestimmten Umkreis, für jeden Standort einzeln. So setzt der Computer für jede Tankstelle der Edi-Kette einen eigenen Preis.

"Das ist die Folge der Digitalisierung", erklärt Weissert. Er weiß nicht, welcher Spritpreis gerade an welcher seiner Tankstellen gilt. Dazu muss er selbst erst einmal in den PC schauen. Früher war das anders: "Da musste man zum Konkurrenten fahren und schauen, was er verlangt. Dann musste man heim und auf die Leiter klettern, um die Preisschilder zu wechseln."

Wie können Tankstellen günstiger sein als andere? Kriterien der Preis-Maschinen

Nun setzt der Computer den Preis automatisch – und zwar nach folgenden Kriterien: "Auf der einen Seite willst du Gewinn machen – auf der anderen musst du günstig sein, um zu verkaufen", erklärt Weissert die Logik des Kaufmanns. Wenn Produkt und Qualität überall gleich sind, weil Benzin und Diesel EU-weit genormt sind, ist der Preis das einzige Vergleichskriterium, nach dem Kunden entscheiden. Der Tankstellenbetreiber ist also gut beraten, günstiger zu sein als die Konkurrenz im Umkreis.

Vor allem freie Tankstellen wie die von Edi haben den Anspruch, billiger zu sein als die Markentankstellen der Konzerne. Doch die lassen sich das immer seltener gefallen und suchen den Preiskampf. Dann unterbieten sich die Computer gegenseitig, und binnen Minuten rauscht der Spritpreis in die Tiefe, bis eine Schmerzgrenze der Händler erreicht ist.

Rauf und runter an der Zapfsäule: Wie oft am Tag geht das so?

"Das sind mörderische Preise, wo nichts mehr dabei herauskommt", sagt Weissert. Wer dann aussteigt – unter dem Risiko, dass er für einige Stunden nichts verkauft –, erhöht den Preis schrittweise oder sprunghaft wieder in Richtung seiner eigenen Vorstellung: Einkaufspreis plus x Prozent Gewinn. Steigen auf diese Weise alle aus, ist der Preis wieder hoch. Fängt der nächste an zu schachern, rauscht er wieder ab. Das kann durchaus zwei- oder dreimal pro Tag so gehen. Wer wo wann eine Rabattschlacht anzettelt, kann keiner voraussagen.

Weissert betreibt 14 Tankstellen von Oedheim bis Kirchberg, in verschiedenen Regionen also. Wer in Öhringen lebt, fährt kaum extra zum Tanken ins Jagsttal – die Preisentwicklung hier ist völlig losgelöst von dort.

Edi-Händler spricht von "Wahnsinn" – und sieht sich hilflos ausgeliefert

Weissert sagt selbst: "Ich gebe jedem Kunden recht, der sagt, das ist Wahnsinn. Wir haben schon versucht, aus dem Sog herauszukommen. Aber das schaffst Du nicht, dann verkaufst Du nichts mehr. Wir sind dem Spiel ausgeliefert." Wer denkt, selbst zum Mindestpreis machen Ölhändler noch Gewinn, dem widerspricht Weissert.

Noch eine weitere Entwicklung spielt in die Preisgestaltung hinein. Die Tankstellenbranche steht am Beginn eines Verdrängungswettbewerbs: Immer mehr Leute fahren E-Autos und der Absatz für Benziner geht jedes Jahr zurück. Gleichzeitig steigen die Kosten für Sicherheit und Technik. Große Ketten trennten sich deshalb bereits von ihren Tankstellen und verkauften das für sie zunehmend unrentable Geschäft. Andere geben auf und schließen.

Daher rät Weissert Autofahrern trotz Preis-Achterbahn zur Gelassenheit: "Jeder braucht die Tankstellen, also sollte man sich nicht so sehr darüber aufregen." Genauso klar ist: "Der Markt ist endlich", wenn das Aus für Verbrenner kommt, so der Öhringer Mineralölhändler: "Je mörderischer der Wettbewerb wird, desto größer werden die Preissprünge."

Wie kommen die Menschen damit klar, die an der Tanke an der Kasse stehen? Eine Vorruheständlerin erzählt

Das bestätigt auch Ursula Heyer, die als Pächterin eine Aral-Tankstelle in Künzelsau betreibt: „Es ist ein Märchen, dass ich eine Lizenz zum Gelddrucken habe.“ Vielmehr werfe das Geschäft mit dem Sprit fast gar nichts mehr ab, wenn man es wie sie ohne Tankautomaten und noch mit Menschen an der Kasse betreibe. Sie lebe von dem kleinen Shop, der zur Tankstelle gehört. Heyer ist 62 Jahre alt und geht dieses Jahr in Ruhestand. Die Tankstelle wird neu verpachtet.

Heyer weiß aus Berufserfahrung: Das Geschäft wird immer schwieriger, wie überhaupt im Einzelhandel: niedrige Löhne, unattraktive Arbeitszeiten, immer mehr Bürokratie. Die gelernte Hotelfachfrau weiß: „Es macht keinen Unterschied, ob Du Schnitzel oder Diesel verkaufst – früher war es in allen Branchen einfacher.“ Immerhin lebe man in Künzelsau auf dem Land, wo sich E-Autos noch nicht so schnell durchsetzen würden und sie 70 Prozent Stammkunden habe. Aber sie befürchtet: In diesem harten Wettbewerb werde sich der Zapfautomat irgendwann gegenüber Tankstellen mit Personal durchsetzen. Man brauche Idealismus, um ihren Beruf noch zu ergreifen.

Auf die Spritpreise hat Ursula Heyer keinen Einfluss: „Bochum füttert den Computer“, sagt sie mit Blick auf die Aral-Konzernzentrale. Auch Heyer findet: „Die Preissprünge sind für mich nicht nachvollziehbar, da gibt es keine logische Erklärung.“ Gerne erkläre sie das Kunden ganz sachlich, doch steigt offenbar die Zahl derjenigen, die Preissprünge persönlich nehmen und an der Kasse beleidigend werden.

Bageno schwimmt gegen den Strom: Konstanter Preis über Tage und Wochen. Wie funktioniert das?

Kann man dem Sog des Preiskampfs wirklich nicht entkommen? Doch, sagt Manuel Schülein, Geschäftsführer der Agrar-Genossenschaft Bageno aus Bad Mergentheim, die auch Tankstellen im Kocher- und Jagsttal betreibt. Bageno wagt den Gegenentwurf: konstante Preise. Die Genossenschaft verkauft den Sprit immer zum Einkaufspreis plus Kosten plus Gewinnmarge – so lange, bis die eingekaufte Menge abverkauft ist. Das dauert meistens Tage, manchmal sogar ein bis zwei Wochen. So lange gilt unverändert der gleiche Preis. Das könnten durchaus unterschiedliche Preise an unterschiedlichen Tankstellen der Kette sein, wenn der Verkauf an einem anderen Standort mit größeren Kosten verbunden sei – aber diese Preise schwankten nicht.

„Das ist unsere Geschäftsphilosophie: faire Preise und nicht diese Preissprünge, die wir als unseriös empfinden“, schildert Schülein. Dieses Prinzip gelte bei Bageno nun schon einige Jahre: „Die Kundschaft schätzt das auch.“ Mit diesem Prinzip könne man sich mit der Konkurrenz gut messen. Nicht zuletzt seien das ständige Beobachten der Konkurrenz und die Preisänderungen auch ein Aufwand, den sich die Genossenschaft einfach spart.

Und wenn man dann mal ein paar Stunden wenig verkauft, weil die Konkurrenz gerade günstiger ist? „Als Genossenschaft stehen wir nicht ganz so unter Ertragsdruck“, findet der Geschäftsführer – und lehnt sich gelassen zurück, weil er weiß, dass jeder Preiskampf einmal endet: „Ein paar Stunden später sind unsere Preise wieder marktfähig.“

 
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