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Öhringen
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Rauhnächte: Von Vorboten und Verboten

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Um Unheil fürs neue Jahr abzuwenden, gilt es viel zu beachten - davon gingen zur Zeit der Rauhnächte viele Vorfahren aus und erkannten Mächte am Werk, die nicht von dieser Welt schienen. In Öhringen finden immer wieder Themenwanderungen dazu statt.

von Philip-Simon Klein
Bei der Themenwanderung durch die Cappelaue sind 30 Teilnehmer in der Dämmerung unterwegs und erfahren über Geschichten zu den Rauhnächten, welche Themen die Menschen früher zum Jahreswechsel umgetrieben haben.
Bei der Themenwanderung durch die Cappelaue sind 30 Teilnehmer in der Dämmerung unterwegs und erfahren über Geschichten zu den Rauhnächten, welche Themen die Menschen früher zum Jahreswechsel umgetrieben haben.  Foto: Klein, Philip-Simon

Rauhnächte - oder doch Raunächte? Die Frage, ob mit oder ohne "h" geschrieben, eröffnet das Spektrum der ungelösten und unlösbaren Fragen, die mit den zwölf Nächten einhergehen, die zwischen der Wintersonnwende, also dem Thomastag am 21. Dezember, und dem 6. Januar, also dem Dreikönigstag, liegen. Die Zeit der Rauhnächte steht seit der frühen Neuzeit im Ruf, unsere Welt für Wesen und Mächte aus dem Jenseits zu öffnen.

Auf einem Gang durch die Öhringer Cappelaue führt Petra Kuch 30 Teilnehmer durch die Dämmerung und heran an die Traditionen um die Rauhnächte. Die Naturparkführerin leitet regelmäßig Gruppen auf Themenwanderungen im Schwäbisch-Fränkischen Wald. Bei dieser Führung stehen bei Petra Kuch die Sagen und Geschichten im Vordergrund und die Praktiken der Menschen, die Schutz und Wohlergehen im neuen Jahr verhießen.

Rauhnächte spiegeln eine Zeit wider, die lösgelöst vom normalen Jahresverlauf ist

Außergewöhnlich macht die Zeit der Rauhnächte, dass sie "zwischen den Jahren" stattfindet - doch woher kommt das? Entscheidend ist ein Unterschied der Kalendersysteme von Mond und Sonne. Das Mondjahr dauert nur 354 Tage lang, hat also elf Tage (und entsprechend zwölf Nachte) weniger als das Sonnenjahr. Bis der gregorianische Kalender ab dem 16. Jahrhundert die Zeitrechnung einheitlich machte, galt vielerorts auf dem europäischen Kontinent der 24. Dezember als letzter Tag des Jahres. Weil das neue Jahr am 6. Januar begrüßt wurde, setzte man Tage dazwischen ein.

Es lässt sich kaum leugnen, dass die Witterung der zwölf Nächte rau ist - doch "rau" oder "rauh" bringt noch andere Aspekte mit sich. Manche erkennen dabei Wortfragmente, die mit pelzig oder haarig zusammenhängen. Unheilvolle Dämonen, in Fell gehüllt, die nachts ihr Unwesen treiben. Oder das wilde Heer.

Himmelsschauspiel oder Reiterheer

Petra Kuch erzählt dazu eine Geschichte im Schein der Fackeln auf einer Anhöhe. "In einem Wirtshaus zu Öhringen stiegen eines Abends spät zwölf Reiter ab und bestellten Nachtessen", trägt die Naturführerin vor. Doch sind die Gäste wirklich, wer sie vorzugeben scheinen?

Naturführerin Petra Kuch berichtet über die Bräuche zur Jahresendzeit.
Naturführerin Petra Kuch berichtet über die Bräuche zur Jahresendzeit.  Foto: Klein, Philip-Simon

Der Wirt beobachtet viel Sonderbares, müht sich aber, bei den Gästen keine Klagen aufkommen zu lassen. Am Stadttor fragt er, ob ein Reitertrupp angekommen sei. "Mitnichten, wohl aber habe sich in der Luft ein Getrappel und Gerassel wie von einem Haufen Hereinreitender hören lassen", liest Petra Kuch vor, was die Stadtwächter sagen. Der Wirt macht seine Sache gut, die Reiter entschwinden wundersam, aber friedlich - in die Lüfte. Dem wilden Heer, das durch die Lüfte galoppiert und unheimliche Gestalten mit sich bringt, wollte man umsichtig und besänftigend begegnen, fürchtete man doch, was das Heer dem eigenen Haus zufügen könnte, etwa mit Blitzen, berichtet Petra Kuch.

Manche Völkerkundler nehmen an, das Wort Rauhnächte verweise auf Räuchern, mit dem zum Jahresende Räume und Ställe gereinigt wurden. Zum Ende der Führung entzündet Petra Kuch einige Mischungen und führt die nach Überlieferung reinigenden Nadel-, Wacholder- und Weihrauch-Düfte vor.

Häufig weiß man gar nicht genau, woher die überlieferten Gebote kommen

Wenn es um Abwehr und Schutz vor bösen Mächten geht, kommt das Räuchern nicht alleine. Viele Verhaltensregeln sind überliefert, die Unglück im neuen Jahr verhindern sollen. So soll während der Rauhnächte weder Haare noch Nägel geschnitten werden. Auch sollen keine Hülsenfrüchte und überhaupt kein Mahl aus Körnern bereitet werden. Dafür könne ein Orakel mit Zwiebelschalen vorhersagen, ob das neue Jahr regenreiche Monate bringt.

Wäsche soll während der Rauhnächte nicht aufgehängt werden, damit sich keine bösen Geister darin verfangen - und erst recht keine weiße Wäsche. Aus der würde im Folgejahr das Leichentuch gewebt werden. Das Wäsche-Verbot kenne Hartmut Jorichs (62) von seiner Mutter aus Westfalen. Der Öhringer spaziert mit. "Interessant, wie sich die Menschen früher die Dinge erklärt haben", sagt Jorichs und ergänzt: "Und witzig ist es - man darf da natürlich nicht mit naturwissenschaftlicher Logik rangehen."

Der Trend treibt besondere Blüten

"Richtig in geworden" seien die Rauhnächte, sagt Petra Kuch. "Es gibt eine Nische, wo Rauhnächte für Selbstoptimierung vermarktet werden - in Buchhandlungen finden sich Regale voll damit." Das sei ihre Sache nicht. Kuch sagt, sie sei "weder Coach noch Psychologin."

Andererseits zögen die Rauhnächte auch breit gefächerte Vertreter aus der Esoterik-Szene an. Kuchs Touren zu den Rauhnächten sind stets ausgebucht, es gibt Wartelisten für Nachrücker, auch seien "penetrante Interessenten" schon unangemeldet zu Führungen aufgetaucht und wollten nicht akzeptieren, nicht teilnehmen zu können.

 
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