Provokativ, politisch und pointiert
150 Minuten erlebten die Künzelsauer Ingo Appelt in Höchstform: Mehr als einmal überschreitet der Kabarettist dabei die Grenzen des guten Geschmacks und vermittelt dennoch hochpolitische Botschaften.

Ob provokative Plaudertasche, Hetero-Botschafter für Homosexuelle oder obszöner Retter der Männlichkeit - Kabarettist Ingo Appelt hat viele Gesichter. Und die meisten davon hat er auch "an den Arsch der Welt" mitgebracht, "wo der Würth die Schrauben macht".
Klatsch! Mitten rein in die Künzelsauer Seele. Aber wer sich auf Ingo Appelt einlässt, weiß, was ihn erwartet. Grenzwertige Provokationen und Vulgaritäten wechseln mit intelligenten Spitzen, verbergen oft tiefgründige Botschaften. Dafür ist er bekannt, dafür lieben ihn seine Fans.
Wartezeit wiedergutmachen
Zahlreich sind sie am Sonntagabend in die Stadthalle gekommen, um das Programm "Besser...ist besser" nun endlich - ursprünglich hätte Appelt im Oktober in Künzelsau auftreten sollen - zu erleben. Als wolle er die Wartezeit wiedergutmachen, gönnt er dem Publikum rund 150 Minuten Programm.
Davon redet er gefühlte 140 Minuten ununterbrochen. Alleine das ist eine bemerkenswerte Leistung. Auch wenn man für den inflationären Gebrauch des Wortes "ficken" - Appelts Markenzeichen - womöglich ein paar Minuten abziehen müsste.
Schmerzgrenzen überschreiten
Appelt hat fast unmenschlichen Spaß daran, Tabus zu brechen, die Schmerzgrenzen des Publikums auszuloten und dann gnadenlos zu überschreiten. "Sind Nazis hier?", fragt er so nebenbei, als wolle er sich nach dem Weg erkundigen.
Die Reaktionen im Saal reichen von Schockstarre bis Lachsalve. Hände gehen erwartungsgemäß keine in die Höhe. "Alle sagen, wir sind Nazis", erklärt Appelt und benennt Trump, Erdogan und die polnische Regierung. "Dann wird ja wohl was dran sein", folgert er.
Kritikern der Flüchtlingspolitik entgegnet der 50-Jährige: "Wer sechs Millionen Juden vernichten kann, wird doch wohl eine Million Flüchtlinge aufnehmen können." Schon wieder schwankt das Publikum zwischen betroffenem Schweigen und ungewolltem Lachen.
Eine Ambivalenz der menschlichen Natur, die Appelt nur zu gerne offenlegt und mit seinem markant bösartigen Grinsen kommentiert.
Abgründe der menschlichen Natur
Überhaupt beschäftigt er sich gerne mit der menschlichen Natur. Als selbsternannter Frauenversteher gibt er der sexuell vernachlässigten Männerwelt Tipps im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht - "die Ehe ist die Weiterentwicklung des Zölibats".
Frauen klärt er darüber auf, dass "ein frisch verliebter Mann ein biologisches Verarschungsprogramm ist". Denn länger als acht Monate halte der Mann es nicht durch, "sich in eine höhere Lebensform hineinzuversetzen".
Die Quintessenz: Männer sind das ganze Jahr über brünftig, "weil wir nie wissen, wann wir ran dürfen. Frauen haben nie Schuld, sondern "immer gute Gründe".
Weder Freund noch Feind
Das Publikum ist fast unbemerkt genauso Teil von Ingo Appelts Show wie Politiker, Promis oder auch Comedy-Kollegen, die er auf die Schippe nimmt. Appelt kennt weder Freund noch Feind.
Nahezu jede Niederung menschlichen Seins durchquert er, bohrt in Wunden, reitet auf unliebsamen Unzulänglichkeiten solange herum, bis auch der Letzte sich ihrer bewusst wird.
Er prangert die ungleichen Lohnverhältnisse zwischen Mann und Frau in Deutschland an. Er verurteilt Hass und Hetze im Internet, kritisiert das Schönheitsideal, das die "Salatblattlutscherinnen" in Shows wie "Germany"s next Topmodel" vermitteln und wirbt für die Rechte von Schwulen.
All das verpackt Ingo Appelt fein säuberlich zwischen Humor, Sarkasmus und Kraftausdrücken. Am Ende zählt, was unten rauskommt: Ein Abend, der scheinbar an der Oberfläche unterhält, mehr als einmal die Grenzen des guten Geschmacks überschreitet und dennoch hochpolitische Botschaften vermittelt, die sich zwischen all den Lachern kaum merklich im Gedächtnis festsetzen.
Zur Person
Ingo Appelt ist 1967 in Essen geboren. In seiner Jugend lebte er in Würzburg. Nach der Schule beginnt er eine Ausbildung zum Maschinenschlosser.
Ende der 80er Jahre hat er seinen ersten Auftritt bei der Jugendkonferenz der IG Metall. Der sorgt 1990 für die erste Tournee mit dem Programm "Heiter Be-Sinnlich". 1991 folgt der Zivildienst. 1993 stehen bereits 130 Gastspiele mit dem Programm "Wir sterben und Sie machen Witze" in seinem Kalender.
Seinen ersten TV-Auftritt hat er beim Comedy-Format "RTL Samstag Nacht". Ingo Appelt hat drei Kinder und ist seit 2016 mit Sonja Guha-Thakurta verheiratet.