Nazi-Opfern wieder ein Gesicht geben
Wanderausstellung "Verehrt - Verfolgt - Vergessen" des FC Bayern München in Öhringer Spitalkirche eröffnet.

Kurt Landauer ist der bekannteste Name auf den 13 Roll Ups in der Spitalkirche. 18 Jahre war "der Patriarch" Präsident des FC Bayern München. Acht weitere Namen und Lebensläufe gesellen sich zu ihm: Dr. Hermann Schülein, der Unternehmer; Dr. Max Moritz Klar, der Arzt und Pazifist; Anton Reitlinger, der Präsidenten-Bruder; Berthold Feuchtwanger, der Bruder des Dichters; Otto Albert Beer, der Jugendförderer; Wilhelm Buisson, der Mann des Widerstands, Siegfried Herrmann, der Aufrechte, und Harry Engel, der FC-Spieler, dessen Leben wohl sein König-Ludwig-Orden aus dem Ersten Weltkrieg rettete. Hinzu kommen 56 Kurzbiografien, zum Teil mit Bild. Sie schildern unter der Überschrift "Verstreut in alle Welt" das Schicksal von Menschen, die einst dem FC Bayern München angehörten - als Spieler, Funktionäre und Förderer. Sie alle wurden zwischen 1933 und 1945 von den Nationalsozialisten ausgegrenzt und verfolgt, viele deportiert und ermordet - weil sie Juden waren oder aus politischen Gründen.
Begehrt
Der FC Bayern München gibt den Opfern des Hitlerregimes aus den Reihen seines Vereins wieder ein Gesicht. In Kooperation mit der Evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau hat er die Ausstellung "Verehrt - Verfolgt - Vergessen" konzipiert. Im Januar 2016 erstmals gezeigt, ist sie jetzt bundesweit als Wanderausstellung begehrt. Dem Öhringer AK ehemalige Synagoge in der Sektion Hohenlohe-Franken des Vereins Gegen Vergessen - Für Demokratie ist es gelungen, die eindrucksvolle und erschütternde Dokumentation für zehn Tage in die Spitalkirche nach Öhringen zu holen. Unterstützt wird er dabei von der evangelischen Kirchengemeinde und der VHS. Am Montagabend wurde die Ausstellung eröffnet. Einfühlsam umrahmt von der Musik der Öhringer Klezmer-Gruppe Mazel Tov mit Christine Birkert, Kelly Mc Cormick, Alois Leenders, Dieter Weisshardt und Georg Wiesmüller.
Erinnerung
Mit Andreas Wittner von der FC Bayern Erlebniswelt ist an diesem Abend der Mann aus München nach Öhringen gekommen, der als Archivar des FC maßgeblich an der Entstehung der Ausstellung mitgewirkt hat. Bevor er schildert, wie es zu dieser kam, sprechen Dekanin Sabine Waldmann und Oberbürgermeister Thilo Michler, bekennender FC-Bayern-Fan, Grußworte. "In der Stadt Öhringen wird das Nichtvergessen gelebt und praktiziert", unterstreicht Waldmann. Sich zu erinnern, um Geschichte kritisch zu sehen, sei ein wichtiger Beitrag, die Gegenwart menschenwürdig zu gestalten. Die andere Aufgabe des Erinnerns sei es, "das Leben der Menschen wert zu schätzen und zu würdigen, denen damals Unrecht geschah, die gedemütigt, gefoltert, getötet wurden."
Recherche
Der FC Bayern hat mit der Erinnerung sehr früh begonnen, berichtet Wittner. Bereits 1950, als der Verein sein 50-jähriges Bestehen feierte, nannte er in seiner Vereinschronik sieben Namen von Mitgliedern, die unter den Nationalsozialisten aus "rassischen, religiösen oder politischen Gründen" ihr Leben lassen mussten. 1951 suchte der Verein in seinen Clubnachrichten unter der Überschrift "Wo sind sie geblieben?" nach seinen einstigen jüdischen Mitgliedern. Rund 100 (zehn Prozent) gehörten dem Verein im Jahr 1933 an. Nach akribischen Recherchen, an denen auch Fanclubs des FC Bayern mitwirkten - das Vereinsarchiv des FC Bayern ist nach einem Bombenangriff 1944 in München verbrannt - sind heute über 80 Namen bekannt. "30 wurden ermordet, vier begingen Selbstmord, 35 hatten das große Glück, von anderen Ländern aufgenommen zu werden und haben so überlebt", weiß Wittner. Und noch immer sei der Verein dabei, die Liste zu vervollständigen. Dabei, so Wittner, bleibe einem oft der Atem stocken. "Aber es ist sehr wichtig, den Opfern wieder ein Gesicht zu geben und sie ins Bewusstsein zurück zu holen." Der FC Bayern sehe sich hier - wie auch andere Fußballvereine in Deutschland - in der Pflicht.
Joachim Eberle aus Alt-Renzen gehört zu den rund 40 Vernissagebesuchern, die anschließend die Ausstellung besichtigen. "Großartig" nennt er sie, trotz dem "bedrückenden Gefühl", das beim Betrachten und Studieren einhergeht. "Auf jeden Fall ist sie einen Besuch wert."
Begleitprogramm
Die Ausstellung ist bis 16. März in der Spitalkirche zu sehen. Geöffnet ist sie werktags von 13 bis 18 Uhr, am Wochenende von 11 bis 18 Uhr. Im Begleitprogramm wird am 8. März um 20.30 Uhr im Holi der Film "Kurt Landauer, der Präsident" gezeigt. Dirk Kämper, Autor des gleichnamigen Buches und Drehbuchautor, wird anwesend sein. Er liest am 9. März um 19 Uhr in der Spitalkirche aus seinen Büchern. Am 16. März, 19 Uhr, wird Prof. Dr. Ulrich Kunze zur Finissage in der Spitalkirche einen Vortrag halten. Thema: "Warum es heute wichtig ist, sich gegen Vergessen und für Demokratie zu engagieren, gerade in Zeiten der Herausforderung durch den Rechtspopulismus, Nationalismus und Hass-Kommunikation."


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