Nationalsozialist mit menschlichem Nimbus
Der Hohenloher Kreisarchivar Thomas Kreutzer berichtet über das Leben und Wirken des NS-Kreisleiters Ferdinand Dietrich.

Als widersprüchlich werde das Handelns des Arztes und NSDAP-Kreisleiters im Nationalsozialismus bewertet, setzt Kreisarchivar Dr. Thomas Kreutzer seinem Vortrag über Dr. Ferdinand Dietrich (1899 - 1973) voran. Der Nimbus der Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft ohne nennenswerte Beeinträchtigung durch seine NS-Vergangenheit hafte dem Repräsentanten eines Gewaltregimes und Verfechter rassistischen und eugenischen Gedankenguts bis heute in der lokalen Erinnerung an, führt der Historiker vor rund 70 Zuhörern im alten Ratssaal aus.
Nationalistisch und völkisch
In einem christlich wie nationalistisch geprägten Elternhaus in Brettach (heute Langenbrettach) aufgewachsen, habe sich der spätere SA-Obersturmbannführer schon während seines Medizinstudiums nationalistisch-völkisch orientiert und sich mit den Themen Eugenik und Rassenlehre befasst, weiß Kreutzer, der in einem Vortrag bei der Volkshochschule Öhringen die Biografie des Arztes darlegt.
In seiner Zeit als Forchtenberger Stadt- und Distriktarzt habe sich Dietrich endgültig der NSDAP zugewandt, die er durch vielfältiges Engagement in der Region nach vorne gebracht habe. Mit Erfolg: 1933 wurde er zum NSDAP-Kreisleiter des Oberamtsbezirks Öhringen ernannt und 1937 auch zum Kreisleiter von Künzelsau, weswegen der mittlerweile verheiratete Familienvater nach Öhringen zog. Neben seiner Tätigkeit als politischer Leiter war er weiterhin als Arzt tätig.
Arzt war ein fanatischer Nationalsozialist
Wie Dietrich in seiner Funktion als Kreisleiter agiert habe, erläutert der Referent den Besuchern: Mit zahllosen Reden, Vorträgen, Zeitungsartikeln und öffentlichen Aufrufen war der fanatische Nationalsozialist präsent. Dazu habe auch die Hetze gegen Juden, Kommunisten, Andersdenkende und gegen sonstige im nationalsozialistischen Sinne Minderwertige gehört.
Zur Durchsetzung seiner Forderungen und Richtlinien habe Dietrich auch die aktive Einschüchterung gewählt. Selbst kleinste Verfehlungen ahndete der Vater von vier Kindern, wobei er nicht davor zurück schreckte, die Betroffenen persönlich zu bedrohen und zu schlagen. Das belegt der Historiker anhand zahlreicher Beispiele. Und er legt auch dar, was nicht mit Sicherheit erwiesen ist: Inwieweit der Arzt bei den sogenannten Säuberungsaktionen vom März 1933, in der Causa Julius Merzbacher oder an den Novemberpogromen 1938 beteiligt war, sei nur sehr widersprüchlich durch Zeitzeugen belegt.
Diffamierendes Flugblatt

Doch Maßnahmen gegen politische Feinde oder Juden hätten durchaus zu seinem Repertoire gehört: Davon zeuge ein von Dietrich verfasstes, Juden diffamierendes Flugblatt, das den Zuhörern in einer Computerpräsentation gezeigt wird. In 131 Fällen fungierte der Mediziner erwiesenermaßen als Beisitzer des Öhringer Erbgesundheitsgerichts, das über Zwangssterilisationen entschied. Seine Machtposition als Kreisleiter nutzte Dietrich überdies zur eigenen Bereicherung: Der SA-Standartenführer hatte zahlreiche Nebeneinkünfte und profitierte durch mindestens einen Zwangsverkauf, berichtet Kreutzer.
Als am 13. April 1945 Öhringen von den Amerikanern besetzt wurde, hatte sich der SA-Standartenführer abgesetzt. Nach seiner Festnahme und Internierung in mehreren Lagern bis zum August 1948 konnte er im Spruchkammerverfahren "einen Rekord" von 109 Entlastungserklärungen vorweisen. In einigen Fällen habe er, mit persönlichen Schicksalen direkt konfrontiert, entgegen seiner Gesinnung menschliche Seiten gezeigt, so berichteten es die Entlastungszeugen.
Bei seinem Spruchkammerverfahren am 11. August 1948 im Öhringer Gasthaus Krone wurde Dietrich als "Hauptschuldiger" zu dreieinhalb Jahren Arbeitslager mit zusätzlichen Auflagen verurteilt. Doch das Urteil des schon 1948 zu seiner Familie zurückgekehrten Arztes wurde 1950 nach Einlegung einer Berufung aufgehoben. Dietrich konnte wieder selbst über sein beträchtliches Vermögen verfügen und sich als Arzt niederlassen.
Ehrenamtliche Autoren befassen sich mit der Täterforschung
Der Initiator und Herausgeber von "Täter Helfer Trittbrettfahrer (THT)", Diplom-Sozialwissenschaftler und Historiker Dr. Wolfgang Proske ( *1954), erkannte während seiner Zeit als Gymnasiallehrer, dass sich die Aufarbeitung von NS-Tätern auf lokaler Ebene mangelhaft gestaltete. Das regte ihn zur Realisation des Projekts THT an, bei dem sich 128 ehrenamtliche Autoren mit der NS-Täterforschung im Land befassen und sich dabei vor allem auf die Quellen der Kreis- und Landesarchive stützen.
Das Projekt, das keine regelmäßigen, öffentlichen Zuwendungen erhält, umfasst mittlerweile neun Bände mit jeweils rund 25 NS-Täter-Biografien. im kommenden Jahr steht die Veröffentlichung des letzten Bandes an, der sich mit der Region Stuttgart befasst. Nähere Informationen findet man unter den Webseiten www.ns-belastete.de und www.kugelbergverlag.de.
Stimme.de
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