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Angriff auf die Ukraine: Menschen sorgen sich um Eltern und Kollegen

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Wie in Hohenlohe lebende Menschen mit russischen Wurzeln den Angriff auf die Ukraine beurteilen - Arbeitgeber im Baugewerbe fürchten, dass Reservisten eingezogen werden.

von Yvonne Tscherwitschke und Armin Rößler
Im Euro-Laden auf der Büttelbronner Höhe in Öhringen gibt es russische Spezialitäten − und Schokolade aus der Ukraine. Die Menschen diskutieren beim Einkauf den Angriff Putins.
Im Euro-Laden auf der Büttelbronner Höhe in Öhringen gibt es russische Spezialitäten − und Schokolade aus der Ukraine. Die Menschen diskutieren beim Einkauf den Angriff Putins.  Foto: Tscherwitschke, Yvonne

Egal ob beim Friseur, beim Bäcker oder Metzger und vor allem an den Tankstellen: Es gibt nur ein Thema an diesem Donnerstag. Und das ist der Angriff Putins auf die Ukraine. Das macht den Menschen in der Region große Angst. Sie fürchten um das politische Gleichgewicht in der Welt und die Auswirkungen auf das Leben hier. Besonders emotional diskutiert werden die aktuellen Ereignisse bei den Menschen mit russischen Wurzeln.

Beide Perspektiven sehen

"Das geht mir sehr nahe", beschreibt Irina Dorsch ihre aktuelle Gefühlslage. Sie ist als Russlanddeutsche in Westsibirien zur Welt gekommen, hat dort die Schule besucht, studiert. Mit 21 Jahren ist sie 1995 nach Deutschland gekommen. Nahe Verwandte, erklärt die Leiterin der Öhringer Stadtbücherei, habe sie nicht mehr in Russland. "Aber es schlagen schon zwei Herzen in meiner Brust", fühlt sie sich mit den Menschen dort noch immer verbunden. Sie verurteilt den Angriff Putins scharf. "Krieg ist ein No-go", erklärt sie. Putin habe eindeutig eine rote Linie überschritten. "Krieg bringt nur Leid und Schmerz." Sie hat die letzten Tage festgestellt, dass die Lage im westlichen und russischen Fernsehen sehr verschieden dargestellt wird. "Die zeigen da ganz klar andere Dinge", sagt Irina Dorsch. "Ich versuche, beide Perspektiven zu sehen." Sie hat große Sorge, was die Vorgänge für Europa bedeuten und hofft ganz stark "auf die Vernunft aller Politiker."

Sorge um die Eltern

Bedrückte Stimmung herrscht im Euro-Laden auf der Büttelbronner Höhe in Öhringen. Die Menschen diskutieren über die Geschehnisse, berichtet Oxana Maier. Die 42-Jährige lebt seit über zehn Jahren schon mit ihrer Familie in Bretzfeld. Zur Welt gekommen ist sie in Sibirien. Sie sitzt an der Kasse des Ladens mit russischen Spezialitäten und zieht gerade eine dunkle Schokolade aus der Ukraine über den Scanner. Ihre Kollegin, berichtet sie, sei heute früher gegangen, um mit den Eltern zu telefonieren, die in der Ukraine leben. Die Kollegin sei in großer Sorge um die Eltern, hoffe, sie zu erreichen, berichtet Oxana Maier. Was in den russischen Zeitungen zu lesen ist? Sie weiß es nicht, verweist auf den Laden nebenan. Dort gibt es Zeitschriften, Mode und die Möglichkeit, Post und Pakete aufzugeben. Die Zeitschriften im Regal bilden noch heile Welt ab. Sie sind einige Tage alt. Tagesaktuell habe sie keine Zeitungen, erklärt die Verkäuferin.

Wenn hiesige Arbeitskräfte eingezogen werden

Der Angriff auf die Ukraine ist auch beim Spatenstich für das neue Distributionszentrum von Envasis im Öhringer Gewerbegebiet Thema. "Wir haben heute Nachmittag diskutiert, dass unter unseren Bauarbeitern aus den Ostblock-Ländern Reservisten sind, die eingezogen werden", schildert Eberhard Köhler von Schneider Bau die Situation.

"Traurig, traurig", sagt Claus Brümmer über die "unselige Entwicklung". Der 76-jährige Künzelsauer war 15 Jahre lang für die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) an den deutschen Botschaften in Kiew (1993 bis 1999) und Moskau (2000 bis 2008) tätig. Er habe Putin zu Zeiten von Bundeskanzler Schröder zweimal die Hand geschüttelt und damals auch ein bisschen Smalltalk mit dem russischen Präsidenten gemacht. "Da war der auch bei uns noch populär", sagt Brümmer, auch er habe ihn als "ganz vernünftig" eingeschätzt. Inzwischen habe er sich aber "leider vom Paulus zum Saulus gewandelt".

Für den früheren Botschaftsrat Brümmer ist Putin "besessen von Großrussland" und agiert "wie ein Diktator". Er sei erschüttert darüber, "wie der jetzt spricht, wie er guckt, das ist so was von fanatisch, da habe ich richtig Angst". Brümmer berichtet von "Lügen, die im russischen Fernsehen verbreitet werden", und "Fake News über den Genozid in Donbas". Er sei noch mit einigen alten Mitarbeitern vor Ort, aber beispielsweise auch mit Krimtartaren in Kontakt. "Die werden unterdrückt", sagt er über die Situation auf der schon 2014 von Russland annektierten Krim. Aber es gebe auch andere Sichtweisen: Eine alte Freundin, die auf der Krim lebt, sei "Putin-Fan". "Sie sagt, was wir hier erzählen, ist alles gelogen."

Als "pro Putin" bezeichnet sich auch Luba Wagner, die bei der VHS in Künzelsau Deutsch-, Integrations- und Russischkurse gibt. Die 60-Jährige ist in Kasachstan geboren, sieht aber die ehemalige Sowjetunion als "mein Heimatland". Sie sei mit ihrem Leben dort zufrieden gewesen. Seit 2002 lebt sie in Deutschland, "hier ist meine neue Heimat". Vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hat sie keine gute Meinung, auch eine in der Ukraine lebende Freundin "versteht die Politik der Regierung nicht". Zu viel Nähe zu den USA und Großbritannien sei das Problem. Dass Putin die Unabhängigkeit von Donezk und Lugansk anerkannt habe, ist in ihren Augen der richtige Schritt gewesen.

Noch keine höhere Nachfrage nach Flügen

Während bundesweit einige Reisebüros schon höhere Nachfrage und höhere Preise bei Flugreisen aus Russland und der Ukraine feststellten, berichtet Elena Miller vom gleichnamigen Reisebüro auf der Büttelbronner Höhe noch von gleichbleibenden Preisen. Rund 400 Euro kostet aktuell ein Hin- und Rückflug. Das sei ein normaler Preis. Meist bucht sie für ihre Kunden Frankfurt - Moskau oder in den Ural. Sie habe am Donnerstag keine Buchungsanfragen von Kunden gehabt.

 

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