Lothar Eiermann ist immer fast täglich in der Küche
In der Serie "Früher und heute" erzählt der einstige Sterne-Koch aus Friedrichsruhe von den Herausforderungen des Ruhestands und blickt auf seine Karriere zurück.

Langeweile oder Rentner-Stress? Lothar Eiermann überlegt nicht lange: "Eher Rentner-Stress, da habe ich früher immer drüber gelacht." Seit gut zwölf Jahren ist er nun selbst alle beruflichen Pflichten los - nach fast 50 Jahren Knochenjob in Küche und Management, davon ganze 35 Jahre im Wald- und Schlosshotel Friedrichsruhe. Eigentlich Zeit zum Aufatmen und Durchschnaufen. Wären da nicht die vielen kleineren und größeren Termine, die Eiermanns Agenda füllen. Vom Montags-Stammtisch in Heilbronn über Arzt-besuche in Hall bis zum Amigo-Golfen in Friedrichsruhe.
Viel im Auto unterwegs
"Ich bin laufend Chauffeur", sagt er. Das führt er auf seinen Wohnort Friedrichsruhe zurück, der ihn für "jeden Einkauf nach Öhringen" nötigt. Aber auch auf Familiäres. Da sind die Arzttermine, da sind die regelmäßigen Besuche bei den zwei Töchtern und sechs Enkeln in Hessental und Ulm. Und schließlich ist da noch der geplante "Familienurlaub im August in Kroatien". Da sind aber auch Sachen, die noch immer mit seiner beruflichen Vita zu tun haben: So hat ihn Rudolf Bühler gebeten, seine Erfahrungen in das Projekt Bio-Kulinarik und Bio-Hotel Schloss Kirchberg einzubringen, die Hotelfachschule Heidelberg hat ihn für einen Vortrag angefragt.
Auch wenn Eiermann seine "meiste Zeit fast am Steuer" verbringt, gibt es da ein paar weitere Zeitfresserchen. Wenn auch keine lästigen. "Ich stehe fast jeden Abend in der Küche - und zack ist gleich eine Stunde oder mehr rum." Ein Schurz darf dabei genauso wenig fehlen wie scharfe Profimesser und beste Viktualien.
"Am liebsten Demeter, da fährt meine Frau total darauf ab." Die spannt er gerne mal fürs Zuarbeiten und Schnippeln von Gemüse ein. Wer mit ihm plaudert, merkt schnell, dass viele Dinge mehr Kür als Pflicht sind. "Ich bin sehr glücklich, Zeit zu haben für Sachen, die ich mir früher so nicht leisten konnte". Zum Beispiel auch mal dem Nichtstun frönen. Oder "Fußballkucken während der EM".
Fußball und ein guter Wein
Für einen wie ihn, der "selbst mal Fußballer werden wollte", der bei spannenden Spielen gerne vom Sessel aufspringt und mit lautstarken Kommentaren dazwischengrätscht, ist das "mit einer Flasche Wein dazu ein wahnsinniger Luxus". Ebenso wie "direkt vor dem Haus einen Golfplatz zu haben", morgens in aller Ruhe ausschlafen, gerne bis zehn, frühstücken und dann "von vorne bis hinten die Hohenloher Zeitung" lesen zu können. Auch der "Spiegel" gehört für ihn zur Pflichtlektüre. "Ich komm" kaum rum, dann ist der neue schon da." Ab und zu kann man ihn im Öhringer Café am Markt sitzen sehen - und gerne trifft er sich mit Freunden, Bekannten und mit den (Ex-)Kollegen.
Ob mit Boris Rommel ("netter Kerl") drüben im Hotel, der ihm auch mal ein "Gläsle Demi-Glace füllt", mit dem Haller Karl Wagner, der seinen alten "Porsche gerichtet" hat, oder mit den früheren Hessersbäck-Stammtischlern in Heilbronn bei "Kontroversen über Politik und Kultur". Regelmäßig tauscht er sich auch mit Kabarettist Gerhard Polt aus. An ihm bewundert er, "was ich so gar nicht habe". Nämlich: "Dass der schon immer in sich ruht."
Losgelassen, oder eben doch nicht ganz
Gesundheitlich fühlt sich Lothar Eiermann nach einer schweren Erkrankung ("Das war die Hölle") 2019 "bis auf die viel größere Müdigkeit wieder gut". Würde er gerne mit früher tauschen? "Anfangs hat mir das sehr gefehlt, jetzt ist"s eigentlich abgehakt", sagt er und schweift doch immer wieder in alte Zeiten ab. "Es geht halt doch nicht ganz loszulassen, das war unser Baby, war Himmel und Hölle, letztlich aber doch mehr Himmel." Alles in allem ist er "zufrieden, wie es ist", und zitiert Karl Valentin: "Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch."
Gibt es dennoch etwas, das Lothar Eiermann gerne noch erleben würde? "Kurz vor der Rente hab" ich gesagt, wie meine älteste Enkelin, die jetzt 16 ist, Abi macht und studiert, aber jetzt will ich das bei den anderen fünf auch noch erleben." Ansonsten wünscht er sich, "dass wir noch möglichst lange zusammenbleiben" - und dass "man die Klimakrise in den Griff kriegt". Natürlich jedoch auch "Gesundheit". Eiermann wäre aber nicht Eiermann, wenn da nicht noch ein Wunsch wäre: "Gutes Essen und guten Wein sollte man immer noch genießen können."
Zur Person
Der 1945 im südbadischen Stühlingen geborene Lothar Eiermann gilt als einer der großen Küchenchefs und Pioniere der Haute Cuisine in Deutschland. Nach Kochlehre, Stationen in der Schweizer Spitzengastronomie und im damals legendären Ettlinger "Erbprinz", legte er 1970 seine Küchenmeister-Prüfung ab, studierte Hotelbetriebswirtschaft, arbeitete zwei Jahre als Management Trainee in England und Schottland und fing im Dezember 1973 als Küchenchef und Direktor im Wald- und Schlosshotel Friedrichsruhe an.
Dort erkochte er 1974 den ersten Michelin-Stern, 1979 den zweiten. Den büßte er 1984 wieder ein, erkochte ihn 1988 zurück, hielt ihn bis 1998, um dann mit einem weiteren Stern bewertet zu werden. Auf den zweiten Stern ist er noch heute stolz, aber auch darauf, dass es ihm gelungen ist, "trotz Standortnachteil auch große Investitionen aus dem Betrieb heraus zu erwirtschaften".
Nach gut 35 Jahren beendete Lothar Eiermann Ende 2008 seine Tätigkeit im Wald- und Schlosshotel, das die Würth-Gruppe 2005 vom Fürstenhaus Hohenlohe-Oehringen übernommen hatte. 2009 wurde er als bisher einziger Nicht-Franzose zum "Grand Chef Relais & Châteaux auf Lebenszeit" ernannt, 2010 für sein Lebenswerk mit einem "Special Award" als "Hotelier des Jahres" ausgezeichnet. Lothar Eiermann lebt mit Ehefrau Carla im Alten Forsthaus in Friedrichsruhe.
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