Kein fließend Wasser, aber eine grandiose Aussicht
Die höchste Öhringer Dienstwohnung ist die des Türmers im Blasturm der Stiftskirche: Küche, Stube und Schlafraum liegen auf 33 Metern Höhe. Einen Aufzug gibt es nicht. Die Wohnung ist Teil der Serie "Hohenlohe in Superlativen".

Ganz schön hoch liegt die höchste Dienstwohnung innerhalb des alten Öhringen. Sie befindet sich auf 33 Metern Höhe über dem Marktplatz. Wer hinauf will in das Apartment mit Gangküche, Musikzimmer und einem Plumpsklo drei Stockwerke drunter, der muss gut bei Puste sein: 160 Stufen muss der Besucher erklimmen, bis er die hochgelegene Wohnung mit dem traumhaften Ausblick erreicht.
Aufzug? Gibt es nicht. Wo die Wohnung ist? Es ist die Türmerwohnung im Blasturm der Stiftskirche.
Unzählige Male war Offenhäuser schon oben
Rund 400 Jahre lang lebten hier oben die Türmer und ihre Familien, weiß Fritz Offenhäuser zu berichten. Er weiß dies so genau, weil er seines Zeichens selbst auch Türmer ist und sich deshalb mit der Geschichte seiner Vorgänger intensiv beschäftigt hat. Unzählige Male hat der 73-Jährige den Blasturm schon bestiegen.
An diesem sonnigen Nachmittag beginnen Offenhäusers Erzählungen mit dem Stadtmusikus Schmohl. In der Holzkammer, die zur Türmerwohnung gehört, aber einige Stockwerke darunter liegt, erinnern Bilder und Dokumente an diesen Mann. 46 Jahre lang war Schmohl nicht nur Musiker in Öhringen, sondern auch der Türmer der Stadt. "Der Türmer hatte die Aufgabe von oben zu warnen. Unten reagierte man dann darauf."
Ein Turmwächter hatte das Wetter zu beobachten und Unwetter zu melden. Auch fremde Reiter und mögliches Ungemach kündigte er von hoch droben an. Nicht zuletzt hielt der Türmer auch Feuerwache: Brannte es, dann stand er oben und schwenkte bei Tag eine rote Fahne und bei Nacht eine rote Laterne in jene Himmelsrichtung, in der das Feuer in den Gassen züngelte. Dazu gab er mit dem Horn oder einer Trompete ein akustisches Signal. Zu des Türmers Aufgaben gehörte aber auch das Aufziehen der Turmuhr. Bevor diese nämlich elektrifiziert wurde, musste der Türmer dafür einmal am Tag drei schwere Steinbrocken mit der Handkurbel auf die benötigte Höhe anheben.
Zur Nacht hilft der Geselle
Dem Turmwächter zur Seite stand bei der Nachtwache ein Geselle. Der hauste in einem "Verschlooch", eine düstere, fensterlose Kammer, die es auch heute noch im Blasturm gibt. Unweit dieser Kemenate befindet sich das Musikzimmer, das ebenfalls zur Türmerwohnung gehört.

Die eigentliche Wohnung betritt der Besucher aber erst im siebten Stockwerk. Hier erwartet ihn als erstes eine Gangküche, die sich, wie der Name schon verrät, im Flur befindet. Fließend Wasser gab es früher und gibt es auch heute noch nicht, aber nach wie vor zu sehen ist die offene Herdstelle. "Der Rauch ist damals ohne Kamin durchs Kirchendach abgezogen", erzählt Fritz Offenhäuser. Vom Gang geht es ins Wohn- und Arbeitszimmer des Türmers. Fünf Fenster hat es und einen Kachelofen, der aber nicht mehr original ist. Auch die Originalmöbel sind nicht mehr erhalten.
Hinzu gekaufte Antiquitäten lassen aber erahnen, wie es hier drinnen einmal ausgesehen haben mag. Auf der anderen Seite des Ganges finden sich zwei weitere Zimmerchen. Es sind die Schlafkammer und ein kleiner Raum, in dem die Turmwächter meist einem Handwerk nachgingen. Turmwächter brauchten ein Zubrot ("Verdient haben die Türmer nicht allzu viel. Aber sie haben umsonst gewohnt") und so verdingten sie sich hier als Schneider oder auch als Schuhmacher.
Dienst heute im Ehrenamt
"Die Wohnung hier oben war für eine Familie schon sehr geräumig", weiß Türmer Offenhäuser, der seinen Dienst im Ehrenamt ausübt. An heutigen Maßstäben indes kann man die Wohnung nicht messen. Doch guter Wohnraum, und zu diesem darf die Türmerwohnung wohl gezählt werden, sei anno dazumal rar gewesen. Platz für Tisch, Stühle und eine Bank gab es, sicherlich auch für das eine oder andere Kinderbettchen.
Wem es in den vergangenen Jahrhunderten hier oben dann doch etwas zu eng geworden ist, für den gab es noch einen weiteren Ort zum Verweilen: Der Balkon der Türmerwohnung. Der wird auch Kranz genannt, zieht sich in 33 Metern Höhe rund um den Turm und gewährt auch heute noch den Besuchern den vielleicht schönsten Blick über die Stadt.

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