Kannibalisches Wohlgefühl
Drei Nächte lang geht es beim Eberbacher Gassenfest in jeder Beziehung heiß her

In Eberbach drei Tage wach: 30 Bands auf fünf Bühnen und geschätzt 15000 Besucher. Das 195-Seelen-Dorf war am Wochenende wieder Party-Epizentrum Hohenlohes. Dabei gab es musikalisch alles: Von Akustik-Rock in Coverversionen über selbst komponierten Hip Hop bis zu eher düsterem Epic Melodic Death Metal.
Die Kunstform, die "Almklausi" zum Auftakt bei der Malle-für-alle-Party darbietet, ist zugegebenermaßen recht einfach. Er stimmt beispielsweise die Lobeshymne auf die Schwarze Natascha an, und schon singen Hunderte mit. Er winkt ins Publikum − das Publikum winkt zurück. Vormachen, nachmachen. Geht doch. Am Ende sind viele im Publikum ein bisschen heiser, und Almklausi sogar sehr.
Almklausi
Man mag über Bierdunst und Schweißgeruch die Nase rümpfen, aber dichtete nicht sogar Goethe einst Sätze wie diesen: "Uns ist ganz kannibalisch wohl, als wie fünfhundert Säuen"? Luftgitarre spielend wird Almklausi von Markus Martin (32) aus Heimhausen unterstützt, der unter dem Titel "Oh Gott, wie geil" selbst einen Mallorca-Party-Hit verfasst hat und mit Rainer Baumann von den Eberbacher Hüttenfreunden sowie Dennis Weinmann zu den Organisatoren einer inzwischen legendären Mallorca-Reise gehörte: 2013 flogen 150 Hohenloher zusammen nach Mallorca, um mal sprichwörtlich eine von Goethes Säuen rauszulassen.

Mitten im Getümmel ist auch Jens Baumann zu treffen. Der 25-Jährige trägt ein güldenes Kostüm, Krone nebst vergoldetem Klo-Saug-Stopfer: der Bierkönig. Seine zweijährige Amtszeit geht nun zu Ende. Durchaus ernsthaft sucht er einen Nachfolger. "Einsatz, immer dabei, bis zum Schluss", das ist ein wichtiges Kriterium, nach dem der Hüttenfreund aus der Menge der freiwilligen Helfer einen neuen Bierkönig erwählt. Ansonsten hat der Bierkönig nicht viel zu tun. Bei offiziellen Hüttenfreunden-Festen muss er im Königsmantel und mit der Krone auf dem Kopf erscheinen.
Die meisten der rund 500 ehrenamtlichen Helfer haben einen etwas schweißtreibenderen Job. Aber ob am Grill oder mitten im 50er Jahre Flair der Mammutbar kann ihrer Festtagslaune keinen Abbruch tun. Auch nach nur vier Stunden Schlaf haben ihnen Hitze und Trubel nichts an. Dafür heimsen sie zurecht viel Lob von den Besuchern in und um die Gasse ein.
Die lassen sich am heißen Samstagabend erst mal etwas Zeit, bevor sie sich ins Partygetümmel stürzen. Als Westwood pünktlich um 20.30 Uhr in die Saiten greift, ist noch viel Platz in der Gasse. Das stört die Fans aber gar nicht, die sich auf soliden, handgemachten Countrysound freuen. "Das war die erste Band, die ich erlebt hab’, als ich vor gut 30 Jahren zum ersten Mal abends weg durfte", erinnert sich Beate Donner aus Ingelfingen und schwelgt in Erinnerungen.
Musikzauber
Während die älteren Westwood-Herren just in time beginnen und ohne nennenswerte Pause bis 22.30 Uhr durchspielen, ist vor der Bühne auf der Inselwiese Geduld gefragt. Als die vier Jungs von Bukahara allerdings die Bühne entern, ist das schnell vergessen. Der mitreißende Mix aus orientalisch angehauchtem Reggae verzaubert das Publikum im Nu. Dass sich mit Geige und Susaphon, mit Kontrabass und Gitarre samt Percussion Rhythmen entwickeln lassen, die nicht bloß in die Beine gehen, sondern richtig abheben lassen, wer hätte das gedacht.

Die halbe Insel liegt Bukahara zu Füßen, ist aber auch nach vielen Zugaben und Umbaupause kein bisschen müde. Als Clerks-Frontmann Gero "Steh’ auf, steh’ auf und rock’ das Leben" skandiert, hopsen die Ska-Fans wie die Gummibälle. "Heilandsack, des isch wie em Paradies", staunt währenddessen Gassenfest-Neuling Gitze, der mit Wolle Kriwanek-Sound das Partyvolk im Herzen von Eberstadt so richtig in Schwung bringt. Und dem ist nichts hinzuzufügen.
Hartes Metall trifft sanfte Geige
Northland, das klingt nach "harten Jungs" mit langen blonden Jahren, eisigen Landschaften und nordischen Göttersagen. Doch weit gefehlt. Pau Murillo und Pau Vázquez, Alex, Vic, Pol und Jose kommen aus Spanien, genauer gesagt aus Katalonien. Lange Haare haben sie tatsächlich, allerdings zum größten Teil pechschwarze.
Achtzehn Stunden lang ist die Folk-Epic-Death-Metal-Band von ihrer Heimat Barcelona aus Richtung Norden gefahren. Und mit jedem Kilometer wurde es heißer. Nun stehen die sechs Katalanen auf der Bühne Inselwiese und geben alles für die Fans. "Wir sind Northland aus Spanien, habt Spaß mit uns", fordert Bassist Vic sein Publikum auf, das voll mitgeht. Nicht nur auf, sondern natürlich auch vor der Bühne wird ausdauernd "headgebangt", getanzt und gefeiert. Northlands Stil ist vielseitiges, melodisches Metal, durchsetzt mit vielen Folkelementen. Die Geige spielt eine wichtige Rolle.

Im viersprachigen Interview nach dem Auftritt − die Sechs sprechen Spanisch, Katalanisch, Englisch und auch ein bisschen Deutsch − schwärmt die Band von ihren deutschen Fans: "German people are always great", sagt Pol, der Keyboarder. "Alemania" ist kein neues Spielterrain für die sympathischen Spanier. "Wir sind hier schon fast häufiger aufgetreten, als in Spanien", sagt Bassist Vic auf Deutsch. In Spanien selbst ist ihr Musikstil noch relativ unbekannt. Auch ein Grund, warum sie ihre Texte ausschließlich auf Englisch schreiben. In Deutschland sind Northland, eine feste Größe der europäischen Folk-Metal-Szene, zum ersten Mal vor fünf Jahren aufgetreten. Seitdem standen sie schon in Berlin, Leipzig oder Aachen auf der Bühne. Dazu kommen Auftritte auf Festivals in ganz Europa.
In Eberbach aber sind sie zum ersten Mal. Die Temperaturen sind ganz wie zuhause, die Location an der Jagst finden sie super, Publikum wie "Gassenfeschtbier" haben es ihnen angetan. Sie selbst haben aber ganz eigene Getränkevorlieben: Die Band vertreibt ein eigenes Northland-Rosmarin-Met. Viel Zeit um sich in Eberbach umzusehen haben sie aber nicht. Vor der 18-stündigen Rückfahrt wartet noch ein zweiter Auftritt.