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Künzelsau/Öhringen
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In der Erinnerung lebendig

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Sigbert Baer überlebte. Trotz ständiger Schikanen, trotz Zwangsarbeit. Sigbert Baer, 1893 in Hohebach geboren und am 12. April 1966 in Künzelsau gestorben, ist der einzige Künzelsauer Jude, der die Naziherrschaft vor Ort überlebte.

Von Bettina Hachenberg und Henry Doll
In der Haller Straße 8 in Öhringen erinnert der Stolperstein an Jakob Einstein.
In der Haller Straße 8 in Öhringen erinnert der Stolperstein an Jakob Einstein.  Foto: Hachenberg, Bettina

Sigbert Baer überlebte. Trotz ständiger Schikanen, trotz Zwangsarbeit. Sigbert Baer, 1893 in Hohebach geboren und am 12. April 1966 in Künzelsau gestorben, ist der einzige Künzelsauer Jude, der die Naziherrschaft vor Ort überlebte. Verheiratet war er mit Luise Lindenberger. Diese "Mischehe", wie es im Jargon der Nationalsozialisten hieß, hat ihn womöglich vor der Deportation bewahrt.

Seit Dienstag erinnert ein sogenannter Stolperstein vor dem Gebäude Langenburger Straße 5, Zugang Kapellenweg, an den Künzelsauer Getreidegroßhändler Sigbert Baer, der hier lebte.

Namen

Es war die dritte Künzelsauer Stolperstein-Verlegung durch den Kölner Künstler Gunter Demnig. 13 Steine - 13 Namen an vier ehemaligen Wohnorten jüdischer Mitbürger. Die 13 Steine erinnern an die Kaufmanns-Familien Baer und Löwenthal, die in Künzelsau ein Handelsunternehmen betrieben. Der Künzelsauer Stadtarchivar Stefan Kraut geht davon aus, dass es die vorletzte Stolpersteinverlegung war. Eine soll noch folgen, dann sei das Wissen darüber erschöpft, welche jüdischen Mitbürger wo wohnten. Nach dem Krieg baute Sigbert Baer in Künzelsau sein Unternehmen wieder auf.

Eine Zeitzeugin, die am Dienstagmorgen zur Steinverlegung im Kapellenweg gekommen war, ist Dora Bader, die als junge Frau bei der Firma Baer eine Ausbildung machte. Sigbert Baer habe eine soziale Einstellung gehabt, sagt sie. Kurz: "Er war ein guter Chef."

Vier weitere Gedenksteine erinnern in der Oberamteistraße an Regine, Lazarus und Charlotte Baer, sowie an Emmy Frankfurter. In der Oberamteistraße liegen nun Steine für Siegfried, Charlotte, Emanuel und Vera Baer, in der Stuttgarter Straße 17 wird an Baers Verwandte Max, Amalie, Hans und Erich Löwenthal erinnert. Max Löwenthal war mit Amalie, geborene Baer, verheiratet.

Am Dienstagnachmittag verlegt Gunter Demnig im Beisein von rund 50 Menschen, unter ihnen Oberbürgermeister Thilo Michler und die Paten, zwölf weitere Stolpersteine in Öhringen. Nach 2011 und 2013 ist es die dritte Verlegung der nun insgesamt 40 kleinen Mahnmale, die an die von den Nazis ermordeten jüdische Bürger der Stadt erinnern.

Zeitzeugen

"Ich sehe sie jetzt noch, habe das alles vor Augen. Ich vergesse es nie." Marianne Wunder ist zur Stolpersteinverlegung für Margarete und Leopold Einstein und deren Kinder Doris und Gerhard sowie Hugo und Irma Levi, deren Sohn Justin und Großmutter Sara Levi vor das Haus Karlsvorstadt 37 gekommen. Die Öhringerin, die im Mai 90 Jahre wird, ist im Nachbarhaus aufgewachsen. Sie hat mit der ein Jahr jüngeren Doris gespielt. Und hat 1939 erlebt, wie die Familie das Haus verlassen musste. "Herr Einstein ging voraus, der gelbe Stern auf seinem Mantel leuchtete. Er sah sehr schlecht aus. Dahinter seine bildhübsche, zierliche Frau mit der Doris und dem kleinen Gerhard." Bis ihr Vater sie zurückrief, verfolgte die Elfjährige vom Fenster aus, wie die Einsteins, flankiert von zwei Männern mit Gewehren, weggingen. Marianne Wunder stehen Tränen in den Augen, als Pauline Blau, Sarah Merkle und Alina Fleisch von der Richard-von-Weizsäcker-Schule das Schicksal der Einsteins vorlesen. Die Familie musste im November 1941 mit allen anderen, noch in Öhringen lebenden Juden, die Stadt verlassen, wurde nach Riga deportiert und dort ermordet. Unter ihnen waren auch Hugo und Irma Levi. Hedwig Megerle aus Neuenstein kann sich noch gut an den freundlichen Viehhändler erinnern, der beste Beziehungen zu ihrem Vater, dem Bauern Gustav Schüle, hatte und von jenem trotz Repressalien in den Zeiten größter Not unterstützt wurde. Im Rollstuhl ist die 92-jährige, begleitet von Tochter und Enkelin, gekommen. Aufmerksam verfolgt sie, wie die Paten Blumen neben den acht glänzenden Stolpersteinen ablegen. Ebenso wie an den vier weiteren, die Demnig an diesem Nachmittag in der Haller Straße 8 für Jakob Einstein, Haller Straße 51 für Karl Gutmann und Büttelbronner Straße 8 für Arthur und Trude Thalheimer in den Gehweg einfügt.

Schülerinnen und Schüler der Klasse 9 c des Künzelsauer Ganerbengymnasiums erinnerten im Kapellenweg an Sigbert Baer.
Fotos: Henry Doll /Bettina Hachenberg
Schülerinnen und Schüler der Klasse 9 c des Künzelsauer Ganerbengymnasiums erinnerten im Kapellenweg an Sigbert Baer. Fotos: Henry Doll /Bettina Hachenberg  Foto: Doll, Henry
Philina Wulf von der Richard-von-Weizsäcker-Schule umrahmte mit der Geige.
Philina Wulf von der Richard-von-Weizsäcker-Schule umrahmte mit der Geige.  Foto: Hachenberg, Bettina
Hedwig Megerle (im Rollstuhl) und Marianne Wunder (hinter ihr) verfolgen mit vielen anderen, wie Gunter Demnig in der Karlsvorstadt 37 acht Stolpersteine verlegt.
Hedwig Megerle (im Rollstuhl) und Marianne Wunder (hinter ihr) verfolgen mit vielen anderen, wie Gunter Demnig in der Karlsvorstadt 37 acht Stolpersteine verlegt.  Foto: Hachenberg, Bettina
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