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Braunsbach
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"Braunsbach war einmal" - Protokoll aus einem zerstörten Dorf

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Drei kleine Bäche fließen durch das beschauliche Dorf Braunsbach im Kochertal. Nach schweren Unwettern schieben sie eine zerstörerische Gerölllawine durch den Ort. Die Gemeinde ist nicht wiederzuerkennen.

Von lsw und stimme.de

 

"Es ist alles so heftig - es ist kaum zu fassen was in Braunsbach gerade los ist. Gott beschütze Braunsbach." Das schreibt Bürgermeister Frank Harsch am frühen Montagmorgen auf seine Facebook-Seite.

Geschlafen hat er nicht, war gerade noch im Rathaus tätig als die Geröllflut direkt am Gebäude vorbei geführt hat. Den ganzen Tag ist er noch unterwegs, redet mit Bürgern, stimmt sich mit den Einsatzleitern des Katastrophenschutzes ab. Und gibt Interviews. Abends sogar live aus der Kocherstadt für den ARD-Brennpunkt im Ersten. Fünf Übertragungswagen stehen am Friedhof. Bei der Pressekonferenz um 11 Uhr am Friedhof sind die Verantwortlichen von einem Dutzend Journalisten umringt.

"Braunsbach und der Landkreis kann das nicht alleine stemmen", sagt der erste Landesbeamte des Landkreises Schwäbisch Hall, Michael Knaus. Am frühen Nachmittag kommt auch Regierungspräsident Johannes Schmalzl, um sich ein Bild zu machen. "Wir lassen Braunsbach nicht allein", sagt er. Dass die Gemeinde strukturschwach ist, sei bekannt. Es wird hart geschufftet.

Mehrere schwere Bagger sind vor Ort, räumen die Straßen nach und nach wieder frei, während sich die drei Bäche mit deutlich weniger Wasser ihren Weg weiter durch den Ort suchen. Laster an Laster fährt das Geröll weg, vieles davon kommt in den Rüblinger Steinbruch. Auch die Hausbesitzer packen an, retten das, was zu retten ist. Auch sind die ersten zivilen Freiwilligen Helfer da und helfen, den Dreck weg zu schaufeln. 

 

 

 

Oresti Kenurgio traut seinen Augen immer noch nicht. Der Feuerwehrmann steht im Ortskern von Braunsbach , seiner Heimat - oder dem, was von ihr übrig ist. „ Braunsbach war einmal“, sagt der 29-Jährige. „Da ist ja nichts mehr da.“ Er blickt auf die Reste eines roten Feuerwehrautos, von Trümmern und Holz begraben liegt es vor ihm. Als er Sonntagabend alarmiert wird, springt er in den Mannschaftstransportwagen.

Zu spät - die Wassermassen reißen das Fahrzeug mit. „Der Bach kam so schnell hinter uns“, sagt er. „Ich habe gedacht, es ist vorbei.“ Kenurgio stürzt sich aus der Fahrerkabine. Der Wagen wird mitgerissen, durch das Dorf geschleudert, prallt Hunderte Meter weiter unten an einer Hauswand. „Ich bin heilfroh, dass ich da noch rausgekommen bin.“ 

Tag eins nach der Katastrophe in Braunsbach. Motorsägen krachen durch Gehölz, Bagger dröhnen und piepen, sie heben mannshohe Gesteinsbrocken aus dem Weg. Anwohner mit müden Gesichtern schippen Schlamm und Schutt aus ihren Hauseingängen. Es riecht nach Heu und ausgelaufenem Heizöl. Gegen Mittag zeigen sich erste Sonnenstrahlen. 

Drei winzige Bäche fließen durch die 2000-Einwohner-Gemeinde in der fränkischen Region Hohenlohe in Baden-Württemberg. Durch das heftige Unwetter schwellen sie am Sonntagabend zu reißenden Flüssen an, spülen Wassermassen hinunter in den Ort im Kochertal, setzen das ganze Dorf unter Wasser. Eine Gerölllawine schiebt sich Hunderte Meter durch den Ort und hinterlässt eine Schneise der Zerstörung. 

 

 

Frank Harsch sitzt gerade in seinem Büro im Rathaus, gegen 20.00 Uhr, als er plötzlich das Grollen hört. Der Bürgermeister von Braunsbach hat nicht geschlafen, er sieht blass aus, erschöpft. Das Geräusch könne er gar nicht mehr so recht erklären, sagt er. „Das sind ganz dumpfe Schläge und irgendwie Wasser. Ganz eigenartig.“ Dann blickt er aus dem Fenster und sieht die Wassermassen, das Geröll. „Das waren Naturgewalten, man kann das nur als Wahnsinn bezeichnen.“ Zwei Gebäude werden von der Schlammlawine weggerissen, viele Häuser sind einsturzgefährdet. Die Bewohner haben kein Wasser, keine Toiletten. „Wir müssen erstmal die nächsten Tage überstehen.“ 

„Die Bank, der Lebensmittelladen - die Geschäfte im Ort sind ausgelöscht“, sagt Stefan Thaidigsmann. Dabei freut er sich normalerweise über etwas Niederschlag. Der 39-Jährige verdient sein Geld mit Kanu-Ausflügen auf dem Kocher. Ständig hat er den Wasserpegel im Auge. „Gestern Abend hieß es noch 80 Zentimeter - das ist die Oberkante für die Kanutouren.“ Am Ende sei der Fluss auf mehr als drei Meter gestiegen. Thaidigsmanns kleines Reisebüro wurde komplett zerstört, die Hälfte seiner 30 Boote wurden weggespült. Gemeinsam mit seinem Nachbarn und seinem Cousin schippt er nun den Dreck aus dem, was mal seine Existenz war. „Das ist schockierend.“ 

Die braune Suppe fließt auch am Tag danach noch durch die Gemeinde, überall suchen sich schlammige Rinnsale ihren Weg. Auf dem Marktplatz hat es die Straße weggespült, der Beton türmt sich dort auf. Die Überreste von Autos hängen in Schaufenstern, Baumstämme haben Löcher in Fassaden gerissen. Ganze Wände fehlen an einigen Häusern. Die Bilder erinnern an einen Bombenangriff. 

 

 

 

„Wir haben heute Nacht eine Tragödie erlebt“, sagt Kreisbrandmeister Jürgen Mors. „Das wird sicher noch lange in den Köpfen der Menschen bleiben.“ Mors hat mit seiner Mannschaft die ganze Nacht Häuser evakuiert. Die Feuerwehr hat rosa Kreuze auf die Karosserien gesprüht. „Damit wir nicht alles zweimal durchsuchen“, sagt er. Ein Feuerwehrmann hat sich beim Einsatz die Hand verstaucht. Selbst die Retter können kaum glauben, dass sonst niemand verletzt wurde. „Wir sind froh, dass alle überlebt haben“, sagt Michael Knaus vom Landratsamt Schwäbisch Hall. 

Kurt Walter sitzt auf dem Dach einer Garage und beobachtet, wie die schweren Bagger Bäume aus dem Weg räumen. In dem Haus wohnt seine 81-jährige Mutter. „Ihr geht's dementsprechend gut. Aber in die Seele kann man nicht reinschauen“, sagt Walter. Er schüttelt den Kopf. „Wer in einem Tal wohnt, muss damit rechnen“, sagt er. Der 56-Jährige kam in der Nacht aus Ludwigsburg und wollte helfen. In das Haus kann er nicht. „Da würde ich durch Öl laufen.“ Heizöl ist aus vielen Kellern gelaufen, der Gestank sticht in der Nase. 

War die Katastrophe vorhersehbar? „Es hat sich keiner der Experten vorstellen können, dass diese Bäche, die eigentlich kleine Rinnsale sind, solche Wassermassen bringen können“, sagt Knaus. „Das war ein punktuelles Ereignis.“ Auch Bürgermeister Harsch sieht das so. „Das sind Ausmaße, das kann man sich nicht vorstellen“, sagt er. „Das ist wahrscheinlich nichts Menschliches möglich, um das zu bändigen.“ 

 

 

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