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Autorin Iris Wolff: Wenn Klares unscharf wird

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Iris Wolff spricht im Interview über ihre verlorene Heimat Siebenbürgen und die Fähigkeit, sich zu beheimaten. In den vergangenen Wochen haben viele Hohenloher im Rahmen von "Öhringen liest ein Buch" ihr preisgekröntes Werk gelesen.

Was ist Realität? Was Fiktion? Die Grenzen verschwimmen in den Werken von Iris Wolff. Öhringen hat "Die Unschärfe der Welt" gelesen. Foto: Yvonne Tscherwitschke
Was ist Realität? Was Fiktion? Die Grenzen verschwimmen in den Werken von Iris Wolff. Öhringen hat "Die Unschärfe der Welt" gelesen. Foto: Yvonne Tscherwitschke  Foto: Tscherwitschke, Yvonne

Ihre Sätze sind Poesie. Der Inhalt ihrer Bücher hat immer auch etwas mit ihr zu tun. Dafür wurde Iris Wolff etwa mit dem Evangelischen Buchpreis und vier weiteren ausgezeichnet. "Heimat ist kein Ort, aus dem man vertrieben werden kann", ist so ein Satz aus ihrem jüngsten Werk "Die Unschärfe der Welt", der für sich allein stehen kann. Und den ganz viele Menschen verinnerlicht haben, die im Rahmen von "Öhringen liest ein Buch" in die Regionen Banat und Siebenbürgen abgetaucht sind.

 

Man muss es nach der Lektüre des Buches einfach fragen: Was ist Heimat für Sie?

Iris Wolff: Heimat ist eine Suchbewegung für mich. Ich suche sie immer noch. Es ist ein Gefühl, auf das ich mich zubewege und mehr und mehr erfahre. Ich hatte lange Jahre das Gefühl, dass es etwas ist, das ich nicht mehr habe. Ein Gefühl von Verlust. Das hat sich geändert. Ich verbinde mit Heimat nicht nur jene Region, in der man geboren worden ist. Es ist das Gefühl, ganz bei sich zu sein.

 

Das hört sich sehr philosophisch an. Ist es das, wenn ihre Figuren davon sprechen, im Augenblick beheimatet zu sein?

Wolff: Ja.

 

Sie können also fühlen wie die Figuren, oder fühlen Ihre Figuren wie Sie?

Wolff: Ich bin all meinen Figuren nah. Auch den Nebenfiguren. Aber nicht alle sind ich. Durch literarische Figuren haben wir Anteil an der Wahrnehmung anderer Leute, die gar nichts mit uns zu tun haben.

 

Das ermöglicht dann aber auch, andere Leben zu leben, anderes auszuprobieren?

Wolff: Schon, man kann sich intensiv mit Möglichkeiten auseinandersetzen, in Gedanken Dinge durchspielen, etwas ausprobieren, kann da auch mal was riskieren.

 

Was ist Ihr Seelenort?

Wolff: Ich bin in der Natur beheimatet. Das muss keine exotische Natur sein. Ich bin sehr gern am Meer, ich mag aber auch ganz karges Gelände. Aber auch einfach die bekannten Wege in den Wald oder über die Felder. Die Natur gibt mir Kraft.

 

Und was zieht Ihnen Kraft?

Wolff: Nachrichten. Ich habe den Eindruck, dass wir als Menschen noch nie mit so vielen Nachrichten konfrontiert waren wie derzeit. Die Herausforderungen der letzten Jahre sind groß. Erst die Pandemie, dann der Krieg in der Ukraine. Mann muss informiert sein. Aber sich das alles immerzu bewusst zu machen, das zehrt auch.

 

Haben Sie einen Trick, damit umzugehen?

Wolff: Es klingt nach Weltflucht, sich auf das zu besinnen, was man selbst sieht, hört und erlebt. Denn nur darauf haben wir auch Einfluss und können gegebenenfalls etwas daran ändern. Das wirkt der Hoffnungslosigkeit und der Machtlosigkeit entgegen.

 

Wäre Ihre Literatur Musik, was für ein Stück wäre es?

Wolff: Es wäre ein klassisches Stück - Klavier. Genauer kann ich es nicht definieren.Musik hat auch immer mit einem selbst zu tun. Getragen sein, jemanden mitnehmen, berühren, verwandeln.

 

Literatur kann das nicht?

Wolff: Oh ja, gute Literatur berührt uns, zeigt uns, dass etwas, das weit entfernt ist, dennoch etwas mit uns zu tun haben kann - wie etwa eine Geschichte, die im Banat spielt, einer Gegend, die man vielleicht bislang noch nicht kannte.

 

Was ist ihr Traumort, an den Sie sich hindenken, wenn die schlechten Nachrichten überwiegen?

Wolff: Das ist für mich eine ländliche Gegend, ein Garten, gern mit Tieren. Ich sehne mich nach einem Stück Land, das ich gestalten kann.

 

Würden Sie auch gern auf dem Land leben?

Wolff: Die Taktzahl gerade ist hoch, mit den Lesungen, den vielen Reisen. Ich freue mich schon auch wieder auf eine Phase der Ruhe und der Einkehr. Bei uns in Siebenbürgen gibt es ein Sprichwort: Gottes Garten ist groß. Augenzwinkernd kann man das übersetzen mit: Wenn man zu lange unter Menschen war, sollte man sich unter einen Baum zurückziehen und den Vögeln zuhören.

 

Wo darf etwas vage sein, wo brauchen Sie Klarheit?

Wolff: Unschärfe ist ein künstlerisches Mittel in der Fotografie, der Malerei, der Literatur. Wenn wir etwas unscharf lassen, dann lädt das ein, dass man das Bild selber vervollständigt. So ist es auch aktuell. Mir fehlt da manchmal die Klarheit. In den sozialen Medien fühlen sich viele berufen, ihre Meinung zu sagen. Wieder andere, in der Politik beispielsweise, scheuen sich, klar zu formulieren, bleiben vage, wollen nicht anecken. Da vermisse ich die Ecken und Kanten, die Klarheit.

 

Was ist für Sie nicht verhandelbar?

Wolff: Das Maß der inneren Freiheit.

 

An was denken Sie dabei?

Wolff: Als erstes denke ich da an die Schulzeit. Ich habe es als Zwang empfunden, mich in den 45-Minuten-Rhythmus fügen zu müssen, nicht die Möglichkeit zu haben, ein Thema zu vertiefen oder künstlerisch zu bearbeiten. Irgendwann fielen die künstlerischen Fächer wie Musik oder Malerei weg. Ich kann mich noch gut an die Phase erinnern, wo man noch abhängig ist von anderen, sich nicht traut, zu widersprechen, zu sich selbst zu stehen. Das ist der Weg des Erwachsenenwerdens. Wenn man Glück hat, findet man Unterstützung von Menschen, die etwas in einem sehen, die sagen, dass es in Ordnung ist, wie man ist.

 

Dürften Sie die Figur in einem Buch sein, in welchem wäre es?

Wolff: "Frau Sorgedahls schöne weiße Arme" von Lars Gustafsson. Oder in Urs Widmers Roman "Liebesnacht". In beiden Büchern wäre ich der Ich-Erzähler, der die (Erinnerungs-)Fäden in der Hand hält.

 

Und in welchem Buch würde man Sie nicht finden?

Wolff: Schwer zu sagen, wahrscheinlich in einem Buch, das den Fokus auf exzessive Gewalt legt. Ich mag Geschichten, in denen die Sprache selbst im Mittelpunkt steht, Beziehungsgeschichten, Entwicklungsromane, die Raum für eigene Deutungen lassen. Ich finde es spannend, wenn es darum geht, die eigene Identität zu finden.

 

Und wie stellen Sie sich Ihre vor?

Wolff: Ich sehe mich mit 80 Jahren in meinem Garten sitzen, umgeben von Schafen, Hühnern, Katzen, mit einem großen Schreibtisch voller Papier und Bücher.

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