„Eines der außergewöhnlichsten Feste": Was die Muswiese so besonders macht
Wenn Muswiese ist, kommen Hohenloher aus aller Welt zurück in die Heimat. Gründe dafür gibt es viele. Es ist das größte und älteste Hohenloher Volksfest.
Die Muswiese ist das größte Volksfest Hohenlohes – ach, was: der Welt! Davon ist Patrick Schenk überzeugt: „Wenn man die Besucher pro Einwohner zählt.“ Der Sockenverkäufer auf dem Krämermarkt ist der Sprecher der Händler und weiß: „Die Muswiese ist eines der außergewöhnlichsten Feste.“ Und zwar nicht nur als umsatzstärkste Veranstaltung. Nicht nur, weil der 37-Jährige in 38 Jahren Muswiese – „Ich war zum ersten Mal hier, da war meine Mutter noch schwanger mit mir“ – rund um den 10. Oktober schon alle Jahreszeiten erlebt hat. Sondern weil dieses Volksfest eine Atmosphäre ausstrahlt, die einzigartig ist.

Hohenloher aus allen Himmelsrichtungen, alteingesessene wie vor Jahrzehnten fortgezogene, zieht es für diese fünf Tage hierher. Viele nehmen extra Urlaub, um ihre Muswiesen-Bekanntschaften zu treffen. In einer Woche im Oktober fallen Abertausende Menschen in den kleinen Weiler Musdorf ein, der mit rund zwei Dutzend Wohnhäusern und Scheunen vor den Toren von Rot am See liegt.
Muswiesen-Besucher sind Stammgäste – auch mittwochs am "Läddichedooch"
Wobei einfallen das falsche Wort ist. Die Höflichkeit, mit der sich alle hier begegnen, ist bezeichnend. 90 Prozent der Besucher seien Stammgäste, so der Sockenhändler, und bilden eine eingeschworene Gemeinschaft. Ein eigenes Muswiesen-Volk. Jeder kennt hier jeden, auf eine eigenartige Weise, und wen man nicht kennt, der wird sofort integriert – wenn er guter Laune und ein etwas geduldig ist. „Dass Leute grummelig sind, gibt es hier nicht. Man ist raus aus dem Alltag“, erklärt Kristin Schöller, die mit ihren Söhnen Tom (11), David (8) und Linn (6) über den Rummel schlendert. Sie wollen essen, Boxauto fahren und den Metzgertanz sehen.

Die Muswiese ist ein Phänomen. Alle rücken eng zusammen. Nah beieinander stehen Bierzelte neben der Gewerbeschau, Krämer neben Landmaschinen, und der Vergnügungspark neben den Scheunen der örtlichen Landwirte. Selbst die haben geöffnet und verwandeln sich in Party-Locations. Die eingefleischtesten Einheimischen bitten Besucher sogar in ihre Stube.
Heute ist Ledigentag, in Mundart der „Läddichedooch“, der früher vor allem unverheirateten Besuchern offen stand – aber die sechs gerade volljährigen Jungs, die an einem Bierstand ums Eck ziehen, suchen eher etwas Flüssiges als was Festes. Der Alkohol gehört auch dazu, geben sie offen zu. Ansonsten tummeln sich hier alle kreuz und quer: Singles, Paare, Familien mit kleinen Kindern. „Heute sind wir alle ledig“, lautet das Motto, das oft zu hören ist, mit dem sich aber niemand namentlich zitieren lassen möchte. Aber wie beim Shoppen an den Marktständen gilt auch für Männlein und Weiblein untereinander: Erstmal gucken, nicht gleich kaufen.

Nicht nur Party: Was Landwirte am Volksfest Muswiese so fasziniert
Ralf Hofmann, Gunter Borski und Ali Becker sitzen im Festzelt. Sie sind Muswiesen-„Gribbl“, aber „Krüppel“ ist hier kein Schimpfwort. Das heißt: Sie kommen jedes Jahr – wobei ein echter „Gribbl“ jeden Tag das Fest besucht und quasi dort lebt. So viel Zeit haben die Landwirte aus Vellberg nicht: „Um 20 Uhr gehen wir, wir müssen noch das Vieh einsperren.“ Aber auch sie lassen sich die Halbe Bier schmecken. „Das Familiäre ist ganz wichtig hier. Das gibt es so nirgends“, sagt Hofmann. Die Bauern interessieren sich vor allem für die Neuerungen in der Landtechnik. „Die Schlepper werden immer größer. Da bist Du ja schon müde, bis Du im Führerhaus bist.“

Das bestätigen Rafael (9) und Henry (11) nicht. Sie witschen im Zickzack zwischen Erntemaschinen und Grubbern durch und schwingen sich ins Führerhaus vom größten Fendt. Für Kinder ist der Landmaschinenpark ein Abenteuerspielplatz, und den Fahrersitz mit Aussicht geben sie auch nicht mehr her, bis Gerold Marschick kommt, um abzuschließen.
Für den Werkstattleiter von Baywa in Blaufelden endet um 18 Uhr der Arbeitstag. Verkauft hat er heute wenig, aber darum gehe es hier gar nicht: „Es ist der Austausch“, betont er. Stammkunden kämen bis aus Heilbronn, Nördlingen, Nürnberg. Marschick nimmt sich Zeit für ihre Fragen. Er schaut auch, mit was die Konkurrenz vorfährt.

„Die Nachfrage nach neuer Technik ist immer da, und der Andrang wird immer größer“, berichtet er. Auch der Werkstattleiter ist jeden Tag da, doch einen nimmt er sich bewusst frei, um sich selbst ins Getümmel zu stürzen. Beeindruckt vom Flair ist Marschick jedes Mal aufs Neue: „Die Muswiese, das ist schon ewig Tradition. Dafür nimmt man sich Zeit. Man kann jeden Tag hierher kommen und hat trotzdem nicht alles gesehen.“
Metzgertanz als krönender Abschluss des Muswiesen-Mittwochs
Der Metzgertanz gehört zu den eindrucksvollsten Bräuchen der Muswiese. Nach Einbruch der Dunkelheit tanzen Männer in weißen Schürzen mit ihren Mädchen in Tracht im Reigen ums Lagerfeuer. Barden bringen uralte Gedichte und Lieder dar.

Vor 300 Jahren bewachten die Metzger nachts das Festgelände und bekamen dafür das Recht, am ersten Hauptmarkttag einen eigenen Programmpunkt zu gestalten. Er feiert die Tradition und das Heimatgefühl der Franken und nicht zuletzt den Stolz einer ganzen Zunft.