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Hinter den Toren von Fuyao

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Manches muss der Chef gar nicht mehr aussprechen: Wie der Autoglashersteller in Leingarten sein fragwürdiges Image als chinesischer Arbeitgeber nutzt, um Druck gegen die eigene Belegschaft aufzubauen.

50 Millionen Euro investierte der chinesische Mutterkonzern für die neue Europazentrale in Leingarten. Wer bezahlt die Rechnung? Foto: Archiv/Maier
50 Millionen Euro investierte der chinesische Mutterkonzern für die neue Europazentrale in Leingarten. Wer bezahlt die Rechnung? Foto: Archiv/Maier  Foto: Maier, Manuel

Cho Tak Wong hat seinen Laden im Griff. Der 74-jährige Gründer und "Chairman" des Autoglasherstellers Fuyao würde mit einigen seiner Charaktereigenschaften gut in die Region Heilbronn-Franken passen. Ein Selfmademan, der seine Wurzeln kennt und sich den Erfolg hart erarbeiten musste. In seinem Unternehmen mit weltweit 26.000 Mitarbeitern passiert wenig ohne sein Wissen.

Damit verbunden ist die implizite Drohung: Passiert etwas gegen seinen Willen, dann hat das massive Konsequenzen. Da liegt es nahe, dass die Order für die jüngste Entlassungswelle in Leingarten, der Dutzende Mitarbeiter und der kurz zuvor gewählte Vertrauensrat zum Opfer fielen, aus China kam.

Fast jeder hat die Dokumentation "American Factory" gesehen

Eines weiß im Unternehmen inzwischen jeder: Cho Tak Wong mag keine Gewerkschaften. 2019 erschien die Oscar-prämierte Dokumentation "American Factory". Spätestens im Herbst hatte wohl so gut wie jeder Fuyao-Mitarbeiter mit Netflix-Abo diesen Film gesehen, die anderen hatten zumindest davon gehört.

Darin erweckt ein selbstherrlicher Cho Tak Wong "seine" amerikanische Fabrik - ein geschlossenes GM-Werk - wieder zum Leben. Für die Einweihungsfeier lässt er Feuermelder und riesige Tore versetzen, Geld oder Gesetze spielen dabei eine untergeordnete Rolle. In der Folgezeit hält langsam, aber unaufhaltsam ein neuer Arbeitsethos Einzug.

Noch ist in der Produktion des Glasherstellers Fuyao vieles Handarbeit. Vermehrt kamen hier zuletzt auch Mitarbeiter aus China zum Einsatz.  Foto: Christian Gleichauf
Noch ist in der Produktion des Glasherstellers Fuyao vieles Handarbeit. Vermehrt kamen hier zuletzt auch Mitarbeiter aus China zum Einsatz. Foto: Christian Gleichauf  Foto: Gleichauf, Christian

Im Vergleich zu China ist die Produktivität im amerikanischen Werk dürftig. Der Umgang mit den Mitarbeitern wird ruppiger, Arbeitnehmerrechte gelten plötzlich wenig. So gewinnt die Gewerkschaft an Einfluss, was dem Chairman nicht verborgen bleibt. Die amerikanische Werkleitung wird durch eine chinesische ersetzt. Der Druck wächst, ebenso der Widerstand.

Als die Mitarbeiter aber vor der Wahl stehen, glauben sie dem chinesischen Management: eine Arbeit nach chinesischen Prinzipien ist besser als gar keine. Offen wird mit der Entlassung von Gewerkschaftsunterstützern und der Schließung des Werks gedroht. Die Gewerkschaft verliert, die Fabrik besteht weiter, und dennoch verlieren in der Folgezeit viele Arbeiter ihren Job, weil ihre Tätigkeit von Robotern noch billiger erledigt wird.

Auffällige Parallelen zum Film

Die Dokumentation "American Factory"

2008 schloss die GM-Fabrik in Dayton, Ohio. 2014 öffnete sie wieder unter dem Namen "Fuyao Glass". Der Film "American Factory" dokumentiert die anschließende Entwicklung in dem Werk mit schonungsloser Offenheit, zu der auch der chinesische Firmenchef Cho Tak Wong bereit war. Der Film wurde nach Fertigstellung von Barack und Michelle Obamas Firma Higher Ground Production unterstützt und ab Mitte 2019 über Netflix verbreitet. In diesem Jahr erhielt er den Oscar als bester Dokumentarfilm.

In Leingarten sind gerade Roboter für zwei neue Produktionslinien aus China eingetroffen. Verpackt warten sie in der Produktionshalle darauf, in Betrieb genommen zu werden. Im vergangenen Jahr wollten Mitarbeiter im Leingartener Fuyao-Werk einen Betriebsrat wählen lassen. Sie entschieden sich dagegen und gaben sich mit einem informellen Vertrauensrat zufrieden.

Sie sagen, die Botschaft lautete damals unverblümt: Wenn ihr einen Betriebsrat gründet, dann wird der Geldhahn abgedreht. In "American Factory" sagt ein chinesischer Manager: "Ist das Boot in Sicherheit, sind wir alle in Sicherheit. Sinkt das Boot, verlieren alle ihre Arbeit. So einfach ist das."

Fuyao: "Betriebsratswahl in keiner Weise behindert"

An Drohungen kann sich die Unternehmensführung in Leingarten nicht erinnern. Ohnehin könne man nicht für den Chairman sprechen, sagt Geschäftsführer Jun Sun. Der treffe seine eigenen Entscheidungen. In einem Anwaltsschreiben an unsere Zeitung betont Fuyao: "Die Geschäftsleitung und das Management (...) haben in keiner Weise die Wahl eines Betriebsrates behindert oder durch Androhung von Nachteilen beeinflusst." Von sieben Mitgliedern des Vertrauensrats, der im Februar 2020 gewählt wurde, sind jetzt fünf entlassen.

Wie im Unternehmen argumentiert wird, zeigte sich vor wenigen Tagen. Nachdem die Firma hatte verbreiten lassen, dass sie coronabedingt 60 Mitarbeiter entlassen muss, berief Europa-Geschäftsführer Sun kurzfristig eine Betriebsversammlung in Leingarten ein. Eine zentrale Nachricht: Der "Chairman" sei sehr zufrieden mit der "Stabilität des Teams" in Leingarten. Das führe dazu, "dass er das Vertrauen in den Standort erhöhte und Investitionen in weitere Produktionslinien genehmigte." Übersetzt heißt das wohl: Gut gemacht. Das "Team" hat den Segen von ganz oben.


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Entlassungskriterien als Mahnung an die Mitarbeiter

Was da angeblich gut gemacht wurde: Alleinerziehende, ein Paar mit Kindern und missliebige Familienväter wurden mit sofortiger Wirkung vor die Tür begleitet und bekommen als Abfindung für jedes Jahr ihrer Firmenzugehörigkeit ein halbes Monatsgehalt. Auswahlkriterium war nach selbstbewusster Darstellung der Firma ausschließlich "die Leistung" der Mitarbeiter. Sun sagt bei der Betriebsversammlung, dies zeige, dass es nicht egal ist, ob man schlecht oder gut arbeitet.

So kam es, dass in der Produktion nach übereinstimmenden Berichten junge Kräfte mit befristetem Vertrag bleiben durften, während langjährige Mitarbeiter mit Familie, die die gleiche Arbeit erledigten, ihre Kündigung erhielten.

Dass solch ein Vorgehen nicht mit deutschem Recht vereinbar ist, davon ist die Anwältin eines Fuyao-Mitarbeiters überzeugt: "Hier muss zwingend eine Sozialauswahl stattfinden." Von der Fuyao-Geschäftsführung heißt es pauschal, dass die gekündigten Personen nicht für andere Positionen geeignet waren. Deshalb habe eine Sozialauswahl nicht stattfinden können.

Ungereimtheiten

Ende Juni informierte Fuyao, dass von 355 Mitarbeitern in Leingarten 60 betriebsbedingt entlassen werden. Mitarbeiter berichteten daraufhin von Stellenabbau in noch größerem Umfang. Auf Nachfrage unserer Zeitung erklärte die Firmenleitung dies mit auslaufenden Verträgen von befristet Beschäftigten. Inzwischen ließ Fuyao durch eine Anwaltskanzlei mitteilen, dass nur 39 Mitarbeiter entlassen wurden. Bei weiteren 15 seien die Verträge ausgelaufen. Die Differenz der Angaben wurde auch auf Nachfrage nicht erklärt.

Und schon kommen neue Leiharbeiter in die Firma

Mitarbeiter beobachteten zudem, dass bereits am 1. Juli vier Mitarbeiter einer Leiharbeitsfirma eingelernt wurden - teilweise in Bereichen, in denen Fuyao-Mitarbeitern fünf Tage zuvor betriebsbedingt gekündigt worden war. Ivan Curkovic, der zuständige Gewerkschaftssekretär der IG Metall, schüttelt nur den Kopf: "Selbst in Krisenzeiten erwarten wir von Arbeitgebern noch einen gewissen Anstand."

Die Firma hat zu kämpfen, und nicht erst mit Corona. Jährlich liefen in den vergangenen Jahren Millionenverluste auf. Sie explodierten förmlich ab 2018 - ausgerechnet in dem Jahr, in dem die neuen Firmengebäude bezogen wurden. Diese Gebäude gehören einer Holding von Firmenchef Cho Tak Wong.

Die Fuyao Europe GmbH sollte im ersten Jahr einen zweistelligen Millionenbetrag als Kaution bezahlen und dann jährlich knapp drei Millionen Euro Miete. Zu viel. Ihr Verwaltungsgebäude hat sie wieder geräumt. Es wurde weitervermietet.

Marktanteile ließen sich nicht so leicht erobern

Selbst mit einer aggressiven Preispolitik gelang es Fuyao nicht so schnell wie erhofft, neue Marktanteile in Europa zu gewinnen. Gut zehn Prozent sind es erst. Als der damalige Europa-Geschäftsführer Norbert Geisinger vor zwei Jahren Cho Tak Wong in Leingarten begrüßte, war dies seine letzte Amtshandlung. Auf der Stelle wurde er ersetzt durch Yiqun "Sunny" Sun, die zum engeren Zirkel um den Firmenchef zählt. Wenig später folgte der heutige Geschäftsführer Jun Sun.

Auch die sonstige Zusammensetzung der Belegschaft hat sich verändert. Insider berichten, dass vor zweieinhalb Jahren vermehrt Mitarbeiter aus China in die Firma kamen - teils vom Mutterkonzern geschickt, teils direkt in Deutschland eingestellt.

Mehr als 50 chinesische Namen am Boardinghouse

Mitarbeiter aus China wohnen zum Teil im Boardinghouse im Leingartener Gewerbegebiet, wenige hundert Meter von der Produktionshalle entfernt. Foto: Christian Gleichauf
Mitarbeiter aus China wohnen zum Teil im Boardinghouse im Leingartener Gewerbegebiet, wenige hundert Meter von der Produktionshalle entfernt. Foto: Christian Gleichauf  Foto: Gleichauf, Christian

Wie viele Mitarbeiter aus China in Leingarten beschäftigt sind, will die Firma auf Anfrage nicht mitteilen. Mehr als 50 chinesische Namen stehen allein am firmeneigenen "Boardinghouse" wenige hundert Meter vom Werk entfernt, wo ein Teil dieser Mitarbeiter wohnt.

Ehemalige Mitarbeiter berichten von Freundschaften mit den Kollegen aus dem Reich der Mitte, aber auch von unüberwindbaren sprachlichen Barrieren. Fast alle erzählen, wie europäische Selbstverständlichkeiten wie ein Acht-Stunden-Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende für die Belegschaft aus China nicht gilt. "Täglich wurde die Arbeitszeit überstrapaziert und am Wochenende häufig durchgearbeitet", erzählt ein Ehemaliger, der das Unternehmen vor längerer Zeit verlassen hat. Fuyao lässt dazu mitteilen, die Firma halte das Arbeitszeitgesetz ein.

Ein anderer Mitarbeiter erzählt von Maschinen, die am Montag regelmäßig verstellt waren, weil am Wochenende jemand damit gearbeitet hat. Die Kommunikation dazu laufe auf separaten Chatkanälen auf chinesisch, sodass europäische Vorgesetzte keinen Einblick haben und wenig Einfluss nehmen können.

Und plötzlich ist der Mitarbeiter dein Chef

Spätestens seit dem Film "American Factory" wissen allerdings auch Führungskräfte, dass man sich über solche Vorkommnisse besser nicht beklagt. Wenn von einheimischen Mitarbeitern auch nicht explizit unbezahlte Mehrarbeit gefordert wird, so sollte man das freiwillige Engagement der chinesischen Kollegen doch keinesfalls kritisieren. Manches Vorgesetzten-Mitarbeiter-Verhältnis wurde kurzerhand umgedreht - in Dayton, Ohio, wie auch in Leingarten.

So spielt die Dokumentation, die kein schmeichelhaftes Bild dieser chinesischen Firma zeichnet, der Geschäftsführung in die Hände. Sie müsse damit gar nicht mehr so explizit drohen, erklärt Ivan Curkovic von der IG Metall. "Der Film schürt bei den Mitarbeitern Ängste. Sie bekommen vor Augen geführt, was passiert, wenn sie sich organisieren und für ihre Rechte stark machen.

Audi und sein Zulieferer

Fuyao war schon Audi-Zulieferer, bevor die Firma in Deutschland Fuß fasste. Weil für die Produktion des A6 in China bereits Scheiben geliefert wurden, sollten durch die Übernahme des Zulieferers Fümotec 2007 in Heilbronn Synergien genutzt werden. Heute macht Fuyao Europe nach eigenen Angaben 50 Prozent seines Umsatzes mit Audi. Angesprochen auf die Vorgänge bei dem Zulieferer hält sich Audi mit einer Kommentierung zurück. Eine Sprecherin erklärt allerdings, es gälten Grundsätze von Compliance und Integrität.

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