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Über den Bildungscampus Heilbronn
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Wie die TU München Heilbronn zur Universitätsstadt machte

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Wachstum und Zusammenhalt: Helmut Krcmar erzählt, wie der TUM-Campus Heilbronn internationale Talente anzieht und was die Region zu bieten hat. 

Versteht sich als Brückenbauer: Helmut Krcmar ist Gründungsdekan und als Beauftragter des Präsidenten für den Campus Heilbronn der Technischen Universität München zuständig.
Versteht sich als Brückenbauer: Helmut Krcmar ist Gründungsdekan und als Beauftragter des Präsidenten für den Campus Heilbronn der Technischen Universität München zuständig.  Foto: Berger, Mario

Helmut Krcmar ist Gründungsdekan und als Beauftragter des Präsidenten für den Campus Heilbronn der Technischen Universität München zuständig. Er spricht über Wachstum - und warum es sich lohnt, wissbegierig zu sein.

Wegen der TU München ist Heilbronn Universitätsstadt. Wie oft dankt Ihnen die Stadt dafür?

Helmut Krcmar: Ich freue mich jedes Mal, wenn ich nach Heilbronn komme und die Ortsschilder sehe. Das Label liefert einen zusätzlichen Charakter. Da ist eine Institution zuhause, die als Universität sowohl kritisch hinterfragt als auch Neues weitergibt. Für die TUM war klar: Wir wurden 1868 gegründet, um den zündenden Funken der Wissenschaft in die Wirtschaft zu tragen, und das wollen wir seit 2018 auch in Heilbronn tun.

Machen Sie diesen Charakter auch bei anderen Institutionen auf dem Bildungscampus fest?

Krcmar: Ich will gar nicht mit einem solchen Vergleich beginnen. Denn die anderen Bildungsinstitutionen haben andere Aufträge, andere Charaktere, andere Verankerungen. In einem Ökosystem ist wichtig, dass nicht alle genau das Gleiche machen und man sich auch gegenseitig etwas gönnt.

Was bedeutet das?

Krcmar: Ich freue mich, wenn jemand wie die Programmierschule 42 gut vorankommt. Ich freue mich, wenn an der Hochschule Heilbronn neue Studiengänge entstehen und ich persönlich mitwirken kann, dort Professorinnen und Professoren auszubilden. Genauso freut es mich, wenn die DHBW Zuspruch erhält und neue Themen aufgreift. In diesem Bildungsökosystem geht es doch vor allem darum, dass alle jungen Menschen, die nach Heilbronn kommen wollen, das Passende für sich finden. 

Was zeichnet das Ökosystem Heilbronn aus?

Krcmar: Das ist in dieser Form einzigartig. Ich kenne keinen Standort weltweit, an dem so viele verschiedene Bildungsinstitutionen so eng in einer Wissensstadt zusammenarbeiten. Bald kommt noch die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich dazu. Neben Singapur ist Heilbronn dann die einzige Stadt, in der diese beiden Spitzenunis TUM und ETH Zürich vertreten sind. Normalerweise geht man sich respektvoll aus dem Weg. Hier habe ich aber gelernt: Das Miteinander in Heilbronn ist anders. Man kennt sich, man weiß, was man aneinander hat, und ich glaube nicht, dass künftig Neid und Konkurrenz dominieren werden.

Was nehmen Sie wahr, wenn Sie den Bildungscampus betrachten?

Krcmar: Ich bin erst sechs Jahre hier. Aber ich nehme mehr Vielfalt, mehr Zusammenarbeit und eine größere Bandbreite an Themen wahr.

Was fehlt? 

Krcmar: Ich nehme kein ausgeprägtes studentisches Leben auf dem Campus wahr. Das gilt aber für viele Universitäten, die nicht in einer Metropole liegen. Und studentisches Leben entsteht auch nicht von heute auf morgen.

Mit 40 Studenten ging es im Herbst 2018 los, jetzt starten Sie mit über 1000 ins neue Wintersemester. Haben Sie dieses Wachstum erwartet?

Krcmar: Es ist schneller gegangen als gedacht, aber überrascht bin ich nicht. Wir haben mit Managementstudiengängen angefangen und dann die Informatik etabliert, die Zahl der Professuren hat sich auf jetzt 22 erhöht, weitere zehn Professuren sind noch zu besetzen. Die Effekte verstärken sich gegenseitig. Das führt zu weiterer Attraktivität.

Sie verstehen sich ja nicht nur als Vertreter der TUM. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos warben Sie auch für die Region Heilbronn. Warum?

Krcmar: Die Attraktivität einer Region hängt davon ab, wie sie von außen wahrgenommen wird. Wenn man Spitzentalente anwerben möchte, sind Attraktivität und Bekanntheit äußerst wichtig. Beim Weltwirtschaftsforum konzentrierten wir uns mit der Mitwirkung im sogenannten AI House auf Künstliche Intelligenz und ihre Anwendungen. Von diesem Präsentsein haben wir enorm profitiert, und damit auch die Region. Menschen, mit denen wir in der Schweiz gesprochen haben, wollten wissen: Was macht ihr da? Können wir uns das mal ansehen? So ist es auch leichter, Firmen dazu zu motivieren, sich hier niederzulassen. Es ist zugleich relevant für die gesamte Region, dass sich weitere Unternehmen und internationale Forschungseinrichtungen hier ansiedeln.

Woran denken Sie beispielsweise?

Krcmar: Wir richten im November das Global Technology Forum mit sieben Partneruniversitäten des TUM Campus Heilbronn aus.  Uns freut, dass wieder viele Kollegen aus Paris, Oxford, Stanford, Zürich, Jerusalem und Singapur zum ersten Mal nach Heilbronn kommen, und uns freut noch viel mehr, dass die Teilnehmer des letztjährigen Treffens gern wieder kommen.

Weiß die Region, wie spannend es hier für andere ist?

Krcmar: Die Aufgabe des globalen Leuchtturms TUM als beste Universität der Europäischen Union ist es, nicht nur weltweit für Sichtbarkeit zu sorgen. Ein besonderes Anliegen ist es, auch nach innen, in die Region, in die Stadt Heilbronn hinein mit unserem einzigartigen Profil wahrgenommen zu werden.

Mittlerweile reicht ein Standort der TUM am Bildungscampus nicht mehr aus.

Krcmar: Das ist richtig. Aktuell sind wir auf sechs Gebäude verteilt. Das ist aber in einer dynamischen Entwicklungsphase nicht ungewöhnlich. Wir haben weit über 250 Mitarbeitende, hinzu kommen die über 1000 Studierenden. Für sie brauchen wir Gebäude und Räume unterschiedlicher Größe und für verschiedene Zwecke. Wir sind der Dieter-Schwarz-Stiftung sehr dankbar, dass sie uns hierbei nach Kräften und wirklich umfassend unterstützt. Wir werden sicherlich noch zwei, eher drei Jahre in einem ähnlichen Tempo wachsen.

Welche Größenordnung wollen Sie erreichen?

Krcmar: Lassen Sie mich andersherum anfangen. Wir tragen als Universität eine gesellschaftliche Verantwortung und haben uns als TUM verpflichtet, alle geeigneten Bewerberinnen und Bewerber auszubilden. Nach einem Auswahlverfahren prüfen wir, wer geeignet ist. Aber wir wollen keine geeigneten Bewerber ablehnen, weil irgendein Limit erreicht ist. Es ist toll, wenn sich so viele Talente für ein Studium an der TUM in Heilbronn begeistern. Insofern kann man keine genaue Vorhersage machen. Es werden aber sicherlich in näherer Zukunft zwischen 1500 und 2000 TUM-Studierende sein.

Was bedeutet das für die Region?

Krcmar: Rund 80 Prozent unserer Studierenden sind internationale und entscheiden sich für den TUM-Campus Heilbronn. Wenn wir ihnen helfen, sich hier wohlzufühlen, dann bleiben sie auch. Dafür engagieren sich viele Partner: die Stadt Heilbronn, Vereine wenn es zum Beispiel um Sport geht und auch die Partnerunternehmen. Bei manchen Unternehmen, mit denen wir kooperieren, nehmen wir noch Unsicherheiten bei der Integration wahr. Da ist sicher noch Luft nach oben.

Sie sind seit Herbst 2020 Professor im Ruhestand. Warum engagieren Sie sich so?

Krcmar: Wer mich kennt, würde das Wörtchen Ruhestand nicht gebrauchen. Ich bin seit September 2020 aufgrund gesetzlicher Vorschriften in den Ruhestand versetzt worden. Das heißt allerdings nicht, dass man nicht tätig ist. Die Chance, einen neuen Campus für das digitale Zeitalter in der Region aufzubauen, mit dieser Stiftungsunterstützung im Hintergrund, das findet man weltweit nicht oft. Schon gar nicht in den europäischen Ländern. Als Weltpräsident der Wirtschaftsinformatiker habe ich hier Einblicke und kann sagen: Heilbronn ist ein sehr spannendes Experiment im positiven Sinne. Es ist keine kleine Uni-Niederlassung, sondern es geschieht Großes auf dem Bildungscampus, der mit seinen neuen Elementen immer weiter Geschwindigkeit aufnimmt. Um noch einmal den Bogen zu unserer Region der Weltmarktführer zu schlagen: Durch den Transfer in die Wirtschaft, den wir leisten, entsteht eine Win-win-Situation: Die Unternehmen bekommen die dringend benötigten hochqualifizierten Fachkräfte. Unseren Absolventinnen und Absolventen wiederum bietet sich eine Vielzahl attraktiver Arbeitsplätze. Und von dem internationalen Flair, das sie in die Region tragen, profitieren wir letztlich alle.

Zur Person

Helmut Krcmar (69) ist Wirtschaftsinformatiker und Wirtschaftswissenschaftler und forscht auf dem Gebiet der Digitalen Transformation, des Informations- und Wissensmanagements, der plattformbasierten Ökosysteme, des Managements IT-basierter Dienstleistungen, des E-Governments und der Computerunterstützung für die Kooperation. Helmut Krcmar studierte BWL an der Universität des Saarlandes und promovierte dort. Nach mehreren Auslandsaufenthalten führte er von 1987 bis 2002 den Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik an der Universität Hohenheim. 2002 folgte er dem Ruf der TUM, wo er bis 2020 den Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik inne hielt. Er ist Gründungsdekan und Beauftragter des Präsidenten für den TUM-Campus Heilbronn. red

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