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Volksfest Stuttgart
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Wasenschule: Ehrenamtliche stehen Kindern von Schaustellern zur Seite

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Besonderer Unterricht: Einmaliges Erfolgskonzept aus Stuttgart findet keine Nachahmer. Jetzt kommt Unterstützung aus Heilbronn.

Die Wasenschule bietet besonderen Unterricht für Schaustellerkinder.
Die Wasenschule bietet besonderen Unterricht für Schaustellerkinder.  Foto: Gajer, Simon

Nach wenigen Wochen in der ersten Klasse hat Ellen ihre Lieblingsfächer gefunden. Mathe zählt sie als erstes auf. "Ich kann schon bis 20 rechnen", sagt sie ganz glücklich. Deutsch findet das Mädchen eigentlich nicht so gut, aber Lesen? Also das mache ihr Spaß, erzählt sie. Dass Ellen in der ersten Klasse schon so weit ist, hat auch mit der Wasenschule zu tun. Das Volksfest in Stuttgart ist für Besucher seit einer Woche Geschichte. Solange aber der Abbau läuft, hat die Wasenschule für die Schaustellerkinder noch geöffnet. Eine Handvoll kommt bis diesen Freitag. Die Wasenschule ist mehr als ein Klassenzimmer mit Unterricht unweit der Königs-Karl-Brücke - sie ist eine Idee. Mittlerweile wird sie von der Akademie für Innovative Bildung und Management (AIM) in Heilbronn unterstützt.

Schaustellerkinder erhalten üblicherweise den Stoff als Lernpaket von ihrer sogenannten Heimatschule. In den Unterricht gehen sie dann in Schulen in jenen Orten, wo ihre Eltern Station machen. Ansprechpartner sind auch Bereichslehrer, die sich in bestimmten Gebieten eben um die Schaustellerkinder kümmern. Wie es während eines Rummels aber in den Schulen abläuft, hängt von den dort tätigen Lehrern ab.

Wasenschule beim Volksfest und beim Frühlingsfest in Stuttgart: So lange gibt es das Konzept schon

Die Wasenschule, hinter der die Bereichslehrer Michael Widmann und Sabine Biebries seit dem Frühlingsfest 2016 stehen, geht einen anderen Weg und setzt auf Ehrenamtliche, Lehrer im Ruhestand oder ehemalige Rektoren sind dabei. Und findet sie. "Plötzlich haben wir eine Eins-zu-Eins-Unterstützung", sagt Michael Widmann. "Über 50 Personen stehen auf der Liste." Die Kinder kommen mit den Plänen ihrer Heimatschulen in den Raum, die Ehrenamtlichen helfen ihnen. In dieser engen Beziehung getrauten sich die Kinder und Jugendlichen auch, eigene Schwächen anzusprechen. Dass es beispielsweise mit dem kleinen Einmaleins noch nicht so gut klappe, zählt Michael Widmann auf. Oder dass ein Jugendlicher davon träumt, endlich einmal Schreibschrift zu können, anstatt nur Druckschrift. Auch das vermittelt die Wasenschule. "Wir machen Schule, ohne dass wir Schule sind." Korrekterweise ist die Wasenschule keine Schule im eigentlichen Sinn. Rechtlich korrekt sind es "Projektwochen Intensivlernen mit dem Lernplan für Schaustellerkinder".

Das Konzept mit den Bildungspaten als direkte Ansprechpartner für jedes Kind funktioniert. Die Jugendlichen lernen zugleich, mit ihren Lernpaketen umzugehen. Was zu Beginn nach einem großen Berg aussieht, wird in kleine Häppchen aufgeteilt. Das hilft weit über die Zeit auf dem Volksfest und das Frühlingsfest hinaus, weiß Michael Widmann: Die Kinder könnten dann auch andernorts besser mit dem Stoff, um den sie sich kümmern müssen, zurechtkommen.

Andernorts nimmt sich niemand der Idee Wasenschule an

Was sich in Stuttgart simpel anhört, klappt längst nicht überall. Ob Mannheim, Karlsruhe, Heilbronn: Einen Ableger der Wasenschule gibt es nicht, obwohl viele Städte und Gemeinden die Einrichtung bereits angeschaut hätten, dort Broschüren und Unterstützung erhielten. "Es lohnt sich für jeden Platz", ist Michael Widmann überzeugt. Nur sei das System oft zu übermächtig.

Die AIM in Heilbronn ist eingestiegen. "Schülerinnen und Schüler aus beruflich reisenden Familien erleben Schule meist nicht so wie wir uns das vorstellen: kein regelmäßiger Unterricht, keine ständige Lernbegleitung, keine Ausflüge und kein Miteinander in einer Klasse", so AIM-Geschäftsführer Marco Haaf. Mit einem individuellem Angebot und Projektunterricht schaffe die AIM in Kooperation seit 2023 während der Stuttgarter Volksfeste "diesen Kindern gemeinsame Lernerlebnisse und somit auch Lernfreude und -erfolge“ zu vermitteln. Für Grundschüler gab es beispielsweise dieses Mal beim Volksfest Teambuilding und ein Kreativangebot, für Ältere war es Teambuilding und Graffiti. Neu war Projektunterricht mit Unterrichtsbezug, Thema war das Kulturgut Volksfest.

Die Wasenschule kommt bei Eltern an. Ellens Mutter Nathalie Rampold ist begeistert. So etwas sollte es an allen Rummelplätzen geben. "Warum bekommen es andere nicht hin?" Michael Widmanns Vermutung: "Die Kollegen haben Angst vor Ehrenamtlichen."

Ellen mit ihrer Bildungspatin Heidi Puschmann: Die Wasenschule bietet besonderen Unterricht für Schaustellerkinder.
Ellen mit ihrer Bildungspatin Heidi Puschmann: Die Wasenschule bietet besonderen Unterricht für Schaustellerkinder.  Foto: Gajer, Simon

Das sagen die Kultusminister

Die Kultusministerkonferenz hat sich ebenfalls mit "Unterricht für Kinder von beruflich Reisenden" befasst. Die Reisetätigkeit führe zur Verkürzung der Unterrichtszeiten, "wodurch eine ausreichende Begleitung der schulischen Laufbahn dieser Kinder und Jugendlichen, angefangen von der vorschulischen Betreuung bis hin zur beruflichen Bildung, vielfach erschwert wird". Es gebe in Abstimmung mit Verbänden und Elternvertretern dieser Berufsgruppen viele Bemühungen der Länder, die Lernbedingungen dieser Kinder zu verbessern und ihnen einen Schulabschluss zu ermöglichen. Ein wichtiger Schritt sei der 2003 gefasste Beschluss der Kultusministerkonferenz gewesen, den Lernweg und den Lernstand der Kinder in einem Schultagebuch zu dokumentieren. red


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