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Zum Tod von Hans Küng: Theologen-Popstar und Weltethos-Guru

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Der Tübingen Theologe und Weltethos-Vordenker Hans Küng ist im Alter von 93 Jahren gestorben, Mit ihm geht ein weltoffener Katholik, dessen Geist in dieser engen Kirche irgendwann keinen Platz mehr hatte.

Der Theologe Hans Küng starb im Alter von 93 Jahren in Tübingen.
Der Theologe Hans Küng starb im Alter von 93 Jahren in Tübingen.  Foto: picture alliance / dpa/archivbild

Als ihm die Amtskirche mitten im Wintersemester 1979/80 die Lehrerlaubnis entzieht, "da sind wir auf die Straße gegangen und voll hinter unserem Prof gestanden. Bei seinen Vorlesungen waren die Hörsäle sowieso immer proppenvoll". Cornelia Abt aus Bretzfeld erinnert sich gut an die Studienzeit in Tübingen. Doch mit Hans Küng verbindet sie mehr. Besonders stolz ist die Religionslehrerin, dass ihr Justinus- Kerner-Gymnasium Weinsberg für seine interreligiösen Konzepte und humanistisch-integrativen Werte von Küngs Stiftung mit dem Titel Weltethos-Schule ausgezeichnet wurde.

Als am Dienstagabend die Nachricht vom Tod des großen katholischen Theologen, Papstkritikers und Humanisten Hans Küng um die Welt geht, halten viele inne, auch in der Region. Der Heilbronner Dekan Roland Rossnagel hat einst seine Diplomarbeit bei ihm geschrieben: über die Trinität bei Karl Barth. "Er dachte vom zeitgenössischen Menschen her, nicht vom scholastischen System. Das machte ihn für die Presse und besonders für die Religionslehrer, die an der Front standen, interessant. Das brachte ihn aber eben auch in Konflikt mit dem geschlossenen kirchlichen System."

Heilbronner Literaturhaus-Chef kannte Küng

"Dabei war er bei allem sehr freundlich und zugewandt, mit weitem Herzen und weitem Horizont, gleichzeitig fokussiert, prägnant, nie weitschweifig, klar im Denken und in der Sprache. Mit einer ungeheuerlichen Ausstrahlung." So hat der Leiter des Heilbronner Literaturhauses Dr. Anton Philipp Knittel den Schweizer kennengelernt, den er einst als junger Mitarbeiter im Beirat des Heinrich-Fabri-Instituts der Uni Tübingen immer wieder trifft - und mit dem ihn nicht nur der geerdete alemannischen Zungenschlag verbindet.

Zwei ungleiche Freunde und Feinde

Ein anderer Tübinger Theologe dürfte Küng am Dienstag in sein Abendgebet eingeschlossen haben - nachdem er sich mit seinem Erzrivalen erst im Alter von 78 Jahren ausgesöhnt hatte: Joseph Ratzinger. Beide gelten in den 1960er Jahren als Pop-Stars der Theologie, werden prompt vom vielversprechenden damaligen Papst Johannes XXIII. zu Beratern des Zweiten Vatikanischen Konzils berufen. Doch während der Bayer, schockiert von den 1968er-Studenrevolten das Fenster zur Welt zuschlägt, um bald hinter den dicken Mauern des Vatikan - bis hin zu Papstwahl 2005 - Karriere zu machen, bleibt Küng den Idealen der Aufklärung treu.

Als ihm schließlich wegen seiner Zweifel an der Unfehlbarkeit auf Druck Ratzingers, dem damaligen Leiter der Inquisition, und des polnischen Papstes Woityla vom Rottenburger Bischof Georg Moser schweren Herzens die Lehrerlaubnis entzogen wird, die Mission Canonica, beginnt Küngs zweite, im besten Sinne katholische, da allumfassende Karriere. Das Land Baden-Württemberg lässt den Guru nicht ziehen und richtet ihm einen eigenen Lehrstuhl ein. Hinter dem mit seiner Stiftung verbundenen "Projekt Weltethos" steht Küngs Überzeugung "ohne Frieden unter den Religionen gibt es keinen Frieden unter den Staaten". In seinem zum Klassiker avancierten Weltethos-Buch geht er in Anlehnung an den Immanuel Kant der Frage nach einer alle Menschen und alle Religionen verbindenden Wertehaltung nach. Weltbürger wie der Dalai Lama oder Kofi Annan gehen bei ihm ein und aus.

Unzählige Würdigungen

Seine Veröffentlichungen füllen ganze Regale. Er erhält mehr als ein Dutzend Ehrendoktortitel, Ehrenbürgerwürden, das Bundesverdienstkreuz mit Stern, wissenschaftliche Preise und andere Auszeichnungen. Trotzdem hebt er nie ab. Küng füllt zusammen mit Walter Jens beim Studium Generale den Audi Max der Neuen Aula, hält auch noch lange nach seinem "Kirchenbann" in der Theologen-Kaderschmiede Wilhelmsstift Vorträge und Gottesdienste - auf Einladung des damaligen Direktors Kilian Nuss, einem gebürtigen Duttenberger. Den letzten großen öffentlichen Auftritt hat der lange zeitlos wirkenden und nun sichtlich vom Alter gezeichnete Vordenker im Frühjahr 2018 anlässlich seines 93. Geburtstags bei einem wissenschaftliches Symposium, an dem auch viele theologische Schüler eine Bilanz seines Schaffens ziehen.

Das Recht auf den eigenen Tod

Aus seiner Parkinson-Krankheit macht er keinen Hehl, thematisiert im hohen Alter gar das Recht auf den selbstbestimmten Abschied. Nun ist er im Alter von 93 Jahren, so teilt eine Sprecherin der Weltethos Stiftung mit, "friedlich eingeschlafen", in seinem Haus hoch über Tübingen, auf dessen Terrasse ihm die Universitätsstadt über alle Höhen und Tiefen stets zu Füßen lag - während ihn seine Kirche, die sich katholisch nennt, mit Füßen trat.

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am 20.04.2021 22:41 Uhr

In einer Würdigung von Person und Werk Hans Küngs schreibt Medard Kehl (deutscher Jesuit u. kath. Dogmatiker) vor über 40 Jahren: „Für sehr viele Gläubige und nach dem Glauben Suchende und Fragende …, für solche, die dem Glauben interessiert oder kritisch oderzweifelnd gegenüberstehen, ist Küng zum Symbol einer offenen Kirche geworden, die fähig ist, ihre Grenzen immer wieder auf die Begegnung mit dem modernen Bewusstsein des Menschen hin zu überschreiten, ohne dabei ihre Identität zu verlieren“. Hans Küng hat auch nach dem Verlust der Lehrerlaubnis immer wieder betont, dass er sich selbst bleibend als katholischen Theologen verstand und seine Arbeit weiter als missionarischen Dienst für den Glauben und für eine Kirche gesehen hat, die ihre institutionellen Grenzen immer wieder als ‚Kirche für die anderen‘ überschreitet. Dafür gebührt ihm unser aller Dank.

Dieser Einschätzung, die vor über 40 Jahren geschrieben wurde, ist nichts hinzuzufügen und zeigt die ganze Klasse auf, die dieser blitzgescheite Theologe besaß. Dass der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, nicht zur Trauerfeier gekommen ist, lässt tief blicken und sagt aus, dass eine alte Spruchweisheit nach wie vor ihre Berechtigung hat. Sie lautet: „Wie weit ist Rottenburg von Tübingen entfernt? – 100 Jahre.

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