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Zum Tag der Zerstörung Heilbronns am 4. Dezember 1944: "Das Unfassbare nimmt kein Ende"

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Vor 78 Jahren wurde die Stadt Heilbronn bei einem Bombenangriff wenige Monate vor Kriegsende zerstört, über 6500 Menschen starben. Ein Zeitzeuge erinnert sich.

Vor 78 Jahren, am 4. Dezember 1944, fünf Monate vor Ende des Zweiten Weltkriegs, wird Alt-Heilbronn ausgelöscht. Zwischen 19 und 20 Uhr werfen 282 Lancaster-Flieger der British Air Force 1090 Tonnen Bomben über der Stadt ab. Zunächst markieren Leuchtraketen das Zielgebiet. Dann decken Trümmerbomben die Dächer ab. Brandbeschleuniger entfachen einen infernalischen Feuersturm, der alles niederwalzt. Im Stadtkern bleibt kein Gebäude heil. Mehr als 6500 Menschen – eine genaue Zahl gibt es nicht – kommen ums Leben. Sie verbrennen im Feuersturm, ersticken in Kellern, werden von Trümmern erschlagen, von Splittern getroffen.

 


 

Bis heute hat sich das Datum tief ins kollektive Bewusstsein eingebrannt, mit dem Ukraine-Krieg bekommt es eine neue Aktualität. Dies gab jüngst beim Volkstrauertag am Hafenmarktturm der evangelische Bundeswehr-Militärdekan Gerhard Kern zu bedenken. Er erinnerte als „Kind Heilbronns“ an die Nachkriegszeit, in der der 4. Dezember 1944 noch allgegenwärtig war: in den Wunden des Stadtbilds und in den Erzählungen der Zeitzeugen, die es als Mahnung wach zu halten gelte. Im Archiv der Heilbronner Stimme haben wir das Buch „Heilbronn – Die schwersten Stunden der Stadt“ entdeckt. Wilhelm Steinhilber schildert darin minutiös das Geschehen des 4. Dezember 1944. Wir geben seine packenden Worte zum Feuersturm auf dieser Seite gekürzt und leicht redigiert wieder.

Vorboten 

„Beim Voralarm erschienen im Nordwesten Ketten gelb-roter Leuchtzeichen, die wie Lampions im schwarzen Nachthimmel hingen. Dumpfer Motorenlärm ließ auf einen Verbund feindlicher Maschinen schließen. Während des Alarms kreisten schnelle Maschinen vom Typ Mosquito über der Stadt. Plötzlich stieß eine von ihnen eine Bombe ab, die östlich der Allee zwischen Altem Friedhof und Harmonie aufschlug und den Himmel mit einem sprühenden, grünweißen Magnesiumlicht bestrahlte. Eine halbe Minute später setzten hin- und herschießende Maschinen mit kaum hörbarem Klack-Klack eine Unzahl von „Christbäumen“ in den nächtlichen Himmel und warfen auch weitere Leuchtkaskaden ab, so dass die Stadt binnen einer Minute in ein grünweißes und die Wolken in fahlrotes Licht getauchten waren. Dem Zuschauer stockte das Blut in den Adern. Nun geschieht das Unfassbare, das Unglaubhafte: Heilbronn ist jetzt an der Reihe, überrascht von einem Großangriff aus dem Luftraum über der Wolkendecke.


In der siebten Folge der Sagenstimme spüren wir einem Phantom nach, welches im Herbst 1944 Heilbronn heimsucht: Der Bombenkarle. Ist er tatsächlich ein übergelaufener Heilbronner, der für die Briten nachts ungesehen Bomben abwirft?

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Fast pausenlos brausen die Bomber heran, öffnen ihre Schächte und werfen zunächst Brandmunition, Stabbrandbomben und Kanister mit hochexplosivem Benzol in solchen Mengen ab, dass es sich wie ferner Trommelschlag auf Blechdächern anhört. Noch hat sich das Ohr nicht an dieses seltsame Geräusch gewöhnt, als es schon vom Krachen und Bersten der Sprengbomben übertönt wird. Pulk um Pulk lädt seine Tod und Verderben bringende Last über der Stadt ab, die schon nach wenigen Minuten in Flammen steht. Viele Häuser geraten durch die schräg einfallenden Stabbrandbomben gleichzeitig in mehreren Stockwerken in Brand. Jetzt kommen die schweren Kaliber, die Luftminen. Die Erde erbebt von den Explosionen.


 

Es ist 19.30 Uhr. Das Entsetzliche, Unfaßbare will kein Ende nehmen. Immer wieder fliegt Welle auf Welle vom Osten her über die lichterloh brennende Stadt. Einzeln springende Menschen auf der Stuttgarter Straße, flüchtende Menschen ducken sich in den Straßengraben, in der Hoffnung, diesem Untergang zu entgehen.
Flächenbrand Gegen 19.45 Uhr ebben die Einschläge ab. Mit Angriffsende setzten die Explosionen der Kurz- und Langzeitzünder-Bomben ein, die die nächsten zehn Stunden unsicher machten. Die noch Lebenden in den Kellern waren wohl des Glaubens, der Angriff dauere noch an. In dieser tödlichen Zeit schmolzen Hunderte von Einzelbränden zu einem riesigen Flächenbrand zusammen, der an manchen Stellen über den Stadtkern hinausleckte und erst an der aufgelockerten Bauweise zum Stillstand kam. Der Stadtkern war eine einzige flammende Glut, ein Hochofen, der die Atmosphäre darüber so erhitzte, dass es zu orkanartigen Luftwirbeln und dadurch zu einem mit Hitze geladenen Sturmtief kam, das von 20 Uhr an in grauenhafter Weise fast vier Stunden lang über der Stadt unbeschreibbar schrecklich tobte und brüllte. (...)


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Zusammengestellt von Archiv und Dokumentation der Heilbronner Stimme 

Boulevard 1907: Blick auf die nördliche Allee. Die 45 Meter breite Flaniermeile wird von der Grünanlage in der Mitte beherrscht. Rechts vorn das Gesellschaftshaus der Harmonie. Davor thront das Kaiser-Wilhelm-Denkmal (1893).
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Lebende Fackeln 

Inzwischen brannten die Häuser herunter. Giebel, Mauern und Dächer stürzten ein und verschütteten die Ausstiege. Die Straßen und Gassen füllten sich mit brennenden Trümmern, glühenden Steinen und qualmenden Schuttmassen. Wer nicht spätestens zwischen 20 und 20.15 Uhr aus der brennenden Innenstadt herausgeflohen war, stand jetzt in Todesgefahr. Zu diesem Zeitpunkt war der Feuersturm bereits so stark, dass er in den Ohren wie das Brausen eines riesigen Schweißapparates dröhnte. Die von den Glutstößen und dem Funkensturm erfassten Menschen wurden zu Boden geworfen und verbrannten. Wieder andere sprangen als lebende Fackeln, entsetzlich schreiend, in der 44 Meter breiten Allee von Baum zu Baum und erlitten dasselbe Schicksal. Noch morgens um zwei Uhr lagen in der Turmstraße brennende Leichname auf dem zerschmolzenen Asphalt der Bürger- steige. Alle, die sich aus den Gassen der unteren Altstadt in die Allee gerettet hatten, vorwiegend Frauen und Kinder, in der Hoffnung, unter der doppelten Lindenreihe Schutz zu finden, er- stickten im Qualm, verbrannten, verkohlten.“


Gedenken

Am Sonntag gibt es verschiedene Gedenkveranstaltungen: ab 15 Uhr die zentrale Feier auf dem Ehrenfriedhof im Köpfertal mit Reden von OB Harry Mergel und Dekan Christoph Baisch. Um 19 Uhr findet im Deutschordensmünster ein Gottesdienst statt, um 20 Uhr in der Kilianskirche das Gedenkkonzert des Philharmonischen Chors mit dem Brahms-Requiem. Das Haus der Stadtgeschichte hat bis 20 Uhr geöffnet und zeigt unter anderem um 17 und 19 Uhr einen Film.

Die Aktion Heilbronner Friedensweg mit Berichten zum Schicksal einer jüdischen Familie startet um 18 Uhr am Heinrich-Fries-Haus, Bahnhofstraße 13, und endet gegen 18.45 Uhr im Deutschhof. Das Netzwerk gegen Rechts lädt um 17 Uhr ins Gewerkschaftshaus, Gartenstraße 64, zum Vortrag von Archivdirektor Christhard Schrenk. Ab 18.30 Uhr heißt es an verschiedenen Standorten, vor allem am Wartberg, „Kein Platz für Nazis in Heilbronn!“: als Reaktionen auf braune Umtriebe in Vorjahren.

 

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