Spätes Glück: Boutiquebesitzerin wechselt in den Pflegeberuf
Maria Birritella arbeitet in der Modebranche. Bis sie spürt, dass ihr der Beruf nichts mehr gibt. Jetzt hilft sie alten Menschen im Pflegeheim - und ist glücklich.

Die Heimbewohner nennen sie liebevoll Schwester Maria. Dabei ist sie gar keine gelernte Pflegeschwester. Ja, Krankenschwester sei immer ihr Traumberuf. gewesen, erzählt sie. Diesem Traum ist sie nie gefolgt. Aber jetzt, mit 57 Jahren, macht sie das, was sie erfüllt, worin sie einen Sinn sieht. Maria Birritella pflegt alte Menschen in einem Pflegeheim in Heilbronn. Ihr Werdegang ist ein ungewöhnlicher.
Frauen, die in Heilbronn einkaufen, wird Birritella als Boutique-Besitzerin bekannt sein. Kleider verkaufen erfüllt sie nicht mehr. Das Geschäft schien ihr zu oberflächlich. Sie entschließt sich, es als Altenpflegerin zu versuchen. Obwohl sie erst seit neun Monaten im Pflegeheim Domizil in Heilbronn arbeitet, ist aus ihren Erlebnissen, von denen sie erzählt, die Begeisterung herauszuhören.
Die Menschen sollen sich wohlfühlen
Sie nennen sie "ihre Lieblingsschwester". Sie sei immer so freundlich und nett, sagen sie. "Zu hören, dass sie einen mögen, ist sehr schön." Die Freude erkenne man in den Augen, im Blick der Menschen. Die Heilbronnerin, die zuvor lange in Eppingen wohnte, möchte, dass sich ihre Schützlinge wohlfühlen.
Dazu gehört auch die Körper- und Intimhygiene. Ein sensibles Thema, wenn es um Altenpflege geht. Auch für Birritella. "Ich bin ein sehr empfindlicher Mensch, was das betrifft." Anfangs überwiegt der Ekel. Schnell legt sich die Scheu. Menschen zur Toilette zu begleiten, sie anzuziehen oder ihnen die Windeln zu wechseln und in den Rollstuhl zu setzen, gehört heute zu den Routineaufgaben. "Man baut ein Vertrauen zu den Menschen auf und wäscht sie ja auch für sich selbst." Es sei viel angenehmer einen frisch gewaschenen Menschen anzufassen, erklärt sie. Was sie erfährt, ist Dankbarkeit. Aber auch Frust. Männer fühlten sich zum Teil entwürdigt, wenn sie von einer Frau gewaschen werden. Der körperliche Verfall sei für viele schwer zu akzeptieren.
Nur wenige bekommen Besuch von der Familie
Darüber macht sich auch Birritella Gedanken. "Ich verdränge oft, wie es mir später mal gehen könnte." Gedanken, bei denen sie sich ertappt, wenn sie einen ihrer Bewohner sieht, der den ganzen Tag im Bett liegt und an die Decke starrt. "Manchmal denke ich, so möchte ich nicht enden." Solche Gedanken werden verstärkt, wenn sie sieht, wie wenig Besuch die Bewohner von ihren Familien bekommen. "Das Besuchsverhalten ist sehr schlecht. Die Menschen sind vereinsamt. Das finde ich sehr traurig. Oft haben sie den Wunsch, ihre Angehörigen anzurufen und sie zu bitten zu kommen." Vereinzelt kommen Angehörige täglich. Wie der Staatsanwalt, der seinen Vater besucht. Oder der 95-Jährige, der zu seiner 95 Jahre alten Frau kommt. "Sie sind seit 70 Jahren verheiratet. Die Frau sitzt im Rollstuhl und er nennt sie ‚Mein Schmetterling"".
In solchen Momenten weiß Birritella, dass ihre Entscheidung richtig war. Die Bewohner sind ihr ans Herz gewachsen. Das spürt sie auch in Zeiten des Abschieds. "Eines morgens bat mich eine Frau, sie heute besonders hübsch zu machen. Sie war kühl, ihre Haut war fahl. Sie hatte hohe Zuckerwerte. Ich habe ihre Hand gehalten." Die Frau habe seit langem mal wieder die Augen weit aufgemacht und an die Decke geschaut. Dann sei der Notarzt gekommen. Birritella verlässt den Raum. Zehn Minuten später sei die Frau tot gewesen. "Sie wusste am Morgen, dass sie an diesem Tag stirbt."
Abends gehe sie zufrieden nach Hause. "Man hat Menschen etwas Gutes getan, anstatt einfach nur einen Pulli zu verkaufen."
Ausblick und Forderungen
Berufe im Gesundheitswesen sind während der Pandemie in den Fokus gerückt. Um sie attraktiver zu machen, fordert der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe ein Einstiegsgehalt von 4000 Euro für Fachkräfte und mehr Personal.
Nach Angaben des Barmer-Pflegereports 2021 sollen bis in acht Jahren mehr als 180. 000 Pflegekräfte fehlen. Familienfreundliche Arbeitszeiten sollen eingeführt werden. Außerdem müsse mehr getan werden, um die Belastungen der Arbeit abzufedern.