Stimme+
Heilbronn
Lesezeichen setzen Merken

Polizistenmord: Schriftzug nicht vom NSU

   | 
Lesezeit  3 Min
Erfolgreich kopiert!

Die Bundesanwaltschaft schließt aus, dass der am Tatort des Kiesewetter-Mordes entdeckte NSU-Schriftzug von den Terroristen des NSU selbst stammt.

Von Hans-Jürgen Deglow und dpa
 Foto: Foto: rbb/dpa

Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft sagte der Heilbronner Stimme: „Nach jetziger kriminalistischer Einschätzung ist nicht davon auszugehen, dass der Schriftzug vom NSU selbst stammt. Dies würde auch allem widersprechen, was wir bisher vom NSU wissen, der immer konspirativ gehandelt hat und darauf geachtet hat, unerkannt zu bleiben.“ Auch die Schreibweise passe nicht zum NSU, wie ein Vergleich mit dem Logo der NSU ergeben habe.  

Den Mord an Kiesewetter rechnet die Bundesanwaltschaft der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ zu.

Die Polizistin Michèle Kiesewetter war am 25. April 2007 auf der Theresienwiese erschossen worden. Kurz vor dem zehnten Todestag Kiesewetters war auf einer auf Ende April 2007 datierten Aufnahme vom Tatort der Schriftzug NSU identifiziert worden.

Das inzwischen übermalte Graffito auf der Wand eines Trafo-Häuschens war also lange, bevor der NSU aufflog, entstanden. Der Generalbundesanwalt übernahm die Ermittlungen und die Prüfung des Schriftzugs. Die wie ihre Mörder aus Thüringen stammende Polizistin wurde nur 22 Jahre alt. 

NSU-Untersuchungsausschuss will dem Thema weiter nachgehen

Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Landtag, Wolfgang Drexler, sagte der Deutschen Presse-Agentur, das Gremium gehe dem Thema weiter nach. Es stimme zwar, dass die Rechtsterroristen an ihren anderen Tatorten keine Hinweise auf den NSU hinterlassen hätten. Allerdings sei die Tötung Kiesewetters der letzte Mord des Trios gewesen. Der Ausschuss habe den SWR-Film angefordert, in dem der Schriftzug zu sehen ist. Zudem hoffe er, an Aufnahmen zu kommen, die vor dem Tattag im April 2007 gemacht wurden. Wenn der Schriftzug vorher schon da gewesen sei, komme er sicher nicht vom NSU.

Der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) ist nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft für zehn Morde zwischen 2000 und 2007 verantwortlich, darunter an Kiesewetter. Der Untersuchungsausschuss betrachtet die Bezüge der Rechtsterroristen nach Baden-Württemberg.

 


 

 


 

War Kiesewetter ein Zufallsopfer? 

Noch immer unklar ist, ob der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) Kiesewetter als Zufallsopfer und Repräsentantin des Staates umgebracht hat. Diese These des Generalbundesanwalts zieht der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags, Clemens Binninger (CDU),in Zweifel. Es spreche vieles dafür, dass die Beamtin gezielt ermordet wurde. „Die Zusammenhänge, Zeitabläufe und andere Details sind so außergewöhnlich, dass ich nicht mehr an Zufall glauben kann.“ Es gibt bis heute allerdings keine konkreten Anhaltspunkte für persönliche Beziehungen zwischen den Tätern und dem Opfer, die alle aus Thüringen stammen.

Jedoch ist es für die Chefin des Thüringer NSU-U-Ausschusses, Dorothea Marx (SPD), offenkundig, dass Kiesewetter und ihr bei der Thüringer Polizei tätiger Onkel bei Ermittlungen eingesetzt waren, die über das Milieu organisierter Kriminalität Verbindungen zur Neonazi-Szene und nach Baden-Württemberg aufwiesen. Nach Überzeugung von Marx wird die Aufklärung der NSU-Verbrechen „immer noch und immer wieder von Behörden und Verantwortlichen torpediert“.

Mittagspause auf der Theresienwiese

Kiesewetter, Beamtin der Böblinger Bereitschaftspolizei, hatte sich nach einem Besuch in der Heimat für den 25. April 2007 eigentlich frei nehmen wollen. Wenige Tage zuvor entschied sie jedoch, sich für den Dienst in Heilbronn zu melden. Während der Mittagspause im Streifenwagen auf der Theresienwiese wurde sie aus nächster Nähe erschossen. Ihr Kollege erhielt ebenfalls einen Kopfschuss, überlebte die Attacke aber. An die Tat kann er sich nicht erinnern.

Zu den Merkwürdigkeiten zählt für Binninger, dass die Täter sich in Zwickau entschieden haben, mit einem Wohnmobil nach Heilbronn zu fahren, um zwei Polizisten auf der Theresienwiese umzubringen - zumal die örtliche Polizei dort nie Pause macht. Zu diesem Zeitpunkt liefen auf dem Gelände überdies Vorbereitungen für ein Fest. „Es gibt 230.000 Polizisten in Deutschland und die Täter landen ausgerechnet bei dieser Streife in Heilbronn?“, fragt er.

 

Rechtsextremistische Szene in Heilbronn untersuchen

Für den Chef des Stuttgarter Untersuchungsausschusses, Wolfgang Drexler, ist es wichtig, die rechtsextremistische Szene in Heilbronn und im ganzen nordwürttembergischen Raum zu beleuchten. Mehr als 30 Kontakte - Treffen, Briefe, Telefonate - vor allem in den Raum Ludwigsburg seien belegt.

Dass die Heilbronner Bluttat zur Serie von Morden des NSU an neun Migranten gehört, stellte sich erst 2011 heraus. Am 7. November jenes Jahres teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg mit, dass die Dienstpistolen der Polizistin und ihres Kollegen in einem ausgebrannten Wohnmobil in Eisenach entdeckt wurden, das die Rechtsextremisten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gemietet hatten. Zuvor hatten Ermittler auf Basis einer am Dienstwagen gefundenen DNA-Spur eine vermeintliche Serientäterin gejagt. Die „Frau ohne Gesicht“ entpuppte sich 2009 als Mitarbeiterin eines Produzenten von Wattestäbchen, die Ermittler bei der Spurensuche nutzen. Im Gegensatz zu ihr hinterließen Mundlos und Böhnhardt am Tatort keine DNA-Spuren.

Zeugen wollen blutverschmierte Männer gesehen haben

Für Binninger (Wahlkreis Böblingen) ist das unverständlich. Beide Täter müssen ihm zufolge mit ihren blutenden Opfern Körperkontakt gehabt haben. Ihre Hautschuppen, Schweiß oder Speichel hätten gefunden werden müssen, ist er überzeugt. Stattdessen seien auf dem Rücken des schwer verletzten Mannes zwei DNA-Spuren gefunden worden, die bis heute nicht zugeordnet werden können. Nicht nur deshalb geht er von mehr als zwei Tätern vor Ort aus. Zeugen wollen zwei blutverschmierte Männer in der Nähe des Tatortes gesehen haben.

Wird es je volle Aufklärung geben? Binninger ist skeptisch. Eventuell brächten die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen unbekannt neue Erkenntnisse. Dass Zschäpe das Rätsel um den Polizistinnenmord löst, sei unwahrscheinlich: „Da erwarte ich nichts mehr.“

 

25. April 2007: Ein Verbrechen, das alles in Heilbronn zum Erliegen bringt

 

Eine Stadt im Ausnahmezustand. Es ist, als ob alles Alltägliche stehen geblieben wäre und sich nur noch die Polizei bewegt. In der Fußgängerzone halten die Menschen an und sehen hinauf zu den Polizeihubschraubern, die den ganzen Tag kreisen. Am Bahnhof und anderswo muss die Polizei den Verkehr nicht erst stoppen, um Autos zu durchsuchen: Der Verkehr ist zusammengebrochen, alles steht. >>Hier weiterlesen ...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung
Keine Kommentare gefunden
  Nach oben