"Mit dem Einkaufsverhalten abstimmen, was angeboten wird"
Martina Boehm ist Professorin im Studiengang Food-Management an der Hochschule Heilbronn. Im Interview der Woche spricht sie über billige Kleidung, gutes Essen und über die Lücken zwischen Anspruch und Wissen und tatsächlichem Handeln.

So viel Wissen um Zusammenhänge gab es noch nie. Doch wie beeinflusst das unser Konsumverhalten? Professor Martina Boehm lehrt an der Dualen Hochschule auf dem Heilbronner Bildungscampus Food-Management. Ein Interview über persönlichen Anspruch und konsequentes Handeln.
Was haben Sie heute schon für Ihren Anspruch an nachhaltiges Verhalten getan?
Martina Boehm: Ich bin die Treppen gelaufen und nicht mit dem Fahrstuhl gefahren. Der Hauptknackpunkt bei dieser Fragestellung ist, wie es gelingt, das Bewusstsein um die Themen ins alltägliche Verhalten einzubinden.
Warum ist das so schwierig?
Boehm: Verständnis zu wecken, ist nicht der Punkt, die Argumente sind einleuchtend. Die Problematik ist die praktische Umsetzung, sich an die eigenen Vorsätze zu halten. Wo könnte ich mein Konsumverhalten ändern? Wie konsequent kaufe ich ein? Wie viel werfe ich selbst weg?
Wie erleben Sie da Ihre Studenten?
Boehm: Die Food-Management-Studierenden haben naturgemäß ein großes Interesse an den Themen, die sie auch aus der Unternehmenspraxis kennen. Die Frage bleibt, ob man bereit ist, sein eigenes Einkaufsverhalten zu verändern.
Gelingt es?
Boehm: Wir haben unlängst in einer Vorlesung darüber diskutiert, wer von der Wertschöpfung profitiert, wenn ich ein billiges T-Shirt kaufe. Mit schmalem Studenten-Budget findet man es trotzdem attraktiv, solche Käufe zu tätigen.
Also doch zu Billigläden wie Primark?
Boehm: Eine Studie haben wir dazu nicht erhoben. Aber ich vermute, es ist die Minderheit, die sich für ein fair oder nachhaltig gehandeltes Kleidungsstück entscheidet und nicht nach dem Preis schaut. Es gibt Untersuchungen, die besagen, dass bei Kosmetik oder Kleidung Nachhaltigkeitsfragen durchaus in den Hintergrund rücken. Sehe ich damit gut aus, wie wirke ich auf andere? Das steht im Vordergrund. Da verhalten sich Studierende nicht anders, wenn man zudem deren Budget noch mit berücksichtigt.
Muss man reich sein, um in unserer Gesellschaft verantwortungsbewusst zu konsumieren?
Boehm: Nein. Es ist vielmehr die Frage, wo man seine Prioritäten setzt. Es ist eine Grundsatzentscheidung, wie ich mich in bestimmten Bereichen verhalten will und welches Lebensmodell ich anstrebe. Das würde ich nicht nur am Einkommen festmachen. Brauche ich wirklich zehn neue T-Shirts? Man kann Börsen zum Kleidertausch nutzen oder dem guten, alten Second-Hand-Gedanken folgen, Gebrauchtes nicht wegzuwerfen, sondern einer neuen Nutzung zuzuführen. Man muss also nicht zwangsläufig reich sein. Nichtsdestotrotz erleichtert es manches.
Werden Sie oft gefragt, wie konsequent Sie selber sind?
Boehm: Natürlich wird mein Verhalten hinterfragt, und das ist durchaus berechtigt. Ich selber empfinde mich nicht als konsequent genug. Dennoch würde ich mich zu den „Lohas“ zählen, das steht für Lifestyle of Health and Sustainability. Es ist eine Zielgruppe, deren Lebensstil auf Gesundheit und Nachhaltigkeit gerichtet ist. Trotzdem habe ich nicht in allen Lebensbereichen den gleichen Schwerpunkt im nachhaltigen Verhalten.
Wo liegen Ihre persönlichen Prioritäten?
Boehm: Bei Lebensmitteln entscheide ich mich, wenn es die Alternative gibt, für das Bioprodukt. Ich ernähre mich nicht vegetarisch oder vegan, aber wenn ich Fleisch esse, dann selten und nur mit einem entsprechenden Qualitätshintergrund.
Bei der Fleischproduktion geht es neben der Tierhaltung auch um Futtermittel. Warum kümmert es uns so wenig, dass in Südamerika Regenwald für Sojaanbau gerodet, Ureinwohner vertrieben und die Böden mit Pestiziden verseucht werden?
Boehm: Der Regenwald ist weit weg. Wären wir vor der eigenen Haustüre von den Folgen der Monokulturen betroffen, hätte das eher einen Einfluss. So gelingt es einem gut, eine Distanz einzuschieben.
Wir haben mit dem Insektensterben ein Beispiel vor der Haustüre, das in Zusammenhang mit der Agrarproduktion steht. Auch da gibt es kaum Interesse.
Boehm: Das empfinden viele vermutlich gar nicht so sehr als Belastung. Wenn Insekten sterben, dann ist das nicht wie wenn es den eigenen Hund oder die Katze trifft. Da ist man nicht so nah dran.
Wundern Sie sich, dass es mit Blick auf kommende Generationen nicht mehr Widerstand gibt gegen unseren Umgang mit Ressourcen?
Boehm: Jein. Wenn ich Kinder hätte, fände ich es eine Überlegung wert, ganz im Sinne des Nachhaltigkeitsgedankens nur das zu beanspruchen und zu verbrauchen, damit für zukünftige Generationen noch genügend Ressourcen auf der Erde bleiben. Andererseits wundere ich mich auch nicht. Das liegt an dem Attitude-Behaviour-Gap, der Lücke zwischen Anspruch und Handeln. Viele entlasten sich damit, dass man als einzelner Konsument mit seinem Verhalten sowieso nichts ausrichten kann.
Ist das richtig?
Boehm: Nein. Man kann mit seinem Einkaufs- und Konsumverhalten darüber abstimmen, was angeboten und verkauft wird. Wenn viele Verbraucher Produkte verlangen, die ökologisch, fair und nachhaltig hergestellt werden, glaube ich unbedingt, dass sich die Akteure innerhalb der Wertschöpfungskette bei Lebensmitteln sehr schnell darauf einstellen.
Haben Sie ein Beispiel?
Boehm: Biolebensmittel waren in den 70er und 80er Jahren ein absolutes Nischenprodukt und standen für ein alternatives Lebens- und Gesellschaftsmodell. Heute ist Biokonsum in allen Gruppen normal geworden.
Konsumenten von heute können sich über alle Hintergründe informieren. Kann Konsum da überhaupt noch Spaß machen?
Boehm: Wenn Konsum Genuss ist, dann schon. Wenn man sich Zeit nimmt, kauft man anders ein, sucht Sachen gezielt aus. Das bedingt einen anderen Umgang mit Lebensmitteln, und es steckt eine andere Wertschätzung dahinter, allein durch die Zeit, die man investiert. Und man produziert vermutlich nicht so viel Müll.
War Einkaufen früher einfacher?
Boehm: Da war die Auswahl nicht so groß. Man braucht sich nur an das Warenangebot im Obst- und Gemüsebereich vor 30 Jahren erinnern. Auswahl heißt auch, sich für ein Produkt entscheiden zu müssen, und sich damit gleichzeitig gegen ein anderes zu entscheiden. Das bewirkt einen Konflikt beim Konsumenten. Deshalb kann es leichter sein, wenn die Auswahl nicht so gigantisch groß ist.
Stehen Sie im Supermarkt vor dem Regal und denken darüber nach, dass Palmöl den Regenwald kaputt macht?
Boehm: Produkte mit Palmöl kaufe ich nicht, und ich achte auch auf Nährwertangaben. Ich kaufe gerne regional und saisonal. Spargel oder Erdbeeren im Dezember schmecken einfach nicht. Außerdem kann man sich dann wieder freuen. Alles hat seine Zeit. Ich will auch nicht das ganze Jahr Weihnachtsplätzchen essen. Das nervt mich kolossal, wenn im August die ersten Lebkuchen im Regal stehen.
Der Handel lebt davon, dass auch viele nicht nachhaltige Produkte konsumiert werden. Erdbeeren im Winter sind dafür ein gutes Beispiel.
Boehm: Das wird angeboten, weil es gekauft wird. Wenn der Handel bei der fünften Aktion auf seinen Wintererdbeeren sitzen bleibt, dann wird es Folgen haben. Damit sind wir wieder bei der Macht des Kunden. Man kann nicht erwarten, dass ein Wirtschaftsakteur bestimmte Dinge nicht anbietet, obwohl es einen Bedarf dafür gibt. Wer das erwartet, muss auch sein eigenes Verhalten entsprechend hinterfragen. Practice, what you preach, lebe was du predigst. Zu sagen, nur die anderen müssen handeln, ist mir zu einfach.
Ist der Handel sich seiner Verantwortung bewusst?
Boehm: Es gibt gute Projekte und gute Ansätze. Und bei erfolgreichen Konzepten legt man inzwischen das Augenmerk auf Nachhaltigkeit. Das ist mehr als Greenwashing. Es ist aber auch nicht selbstlos. Ich bin ein Freund von Selbstverantwortung. Der allergrößte Hebel ist der Verbraucher, das zeigt das Beispiel Lebensmittelverschwendung.
Welche Rolle spielt Bequemlichkeit?
Boehm: Die allergrößte. Der Mensch ist bequem, und das lässt die Konsequenz schwächeln.
Wie viel Inkonsequenz ist vertretbar?
Boehm: Ich finde es gut, wenn man zunächst mal Zwischenschritte erreicht. Zu sagen, etwas ist nur gut, wenn ich 100 Prozent erreicht habe, wird gerne als Entlastungsargument genutzt. Dann fange ich erst nicht an, etwas zu tun, weil die 100 Prozent unrealistisch sind. Sich unrealistische Ziele zu setzen, ist aber nicht motivierend. Es ist jedoch schon ein guter Anfang, weniger Fleisch zu essen oder einmal pro Woche auf bestimmte Dinge zu verzichten und mit dem Fahrrad oder der Bahn statt mit dem Auto zu fahren.
Zur Person
Dr. Martina Boehm, Jahrgang 1971, trat 2016 ihre Professur im Studiengang BWL-Food- Management an der DHBW an und ist Studiengangsleiterin. Geboren in Homburg/Saarland, studierte sie BWL, Psychologie und Soziologie. Als Marketing- und Vertriebsexpertin war sie seit 1995 in leitenden Positionen in der Lebensmittelindustrie, darunter Karlsberg, Bionade und Veltins, national und international tätig. Sie lebt in Bad Rappenau.
          
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