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Schornsteinfeger als Glückssymbol: Völlig Fremde umarmen den Heilbronner Kaminkehrer Karl Bayer

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Mit seiner lustigen Art macht Kaminfeger Karl Bayer sich selbst und andere froh. Doch warum bringt ausgerechnet der schwarz gekleidete Schornsteinfeger dem Volksglauben zufolge Glück?

Kaminkehrer Karl Bayer grüßt seine Kunden mit dem Zylinderhut vom Wartberg aus, hoch über den Dächern seines Bezirks.
Kaminkehrer Karl Bayer grüßt seine Kunden mit dem Zylinderhut vom Wartberg aus, hoch über den Dächern seines Bezirks.  Foto: Berger

Wer dem Mann mit Zylinderhut auf der Straße begegnet, freut sich. Besonders um diese Jahreszeit. Denn Karl Bayer ist Kaminkehrer und damit ein wandelndes Glückssymbol. Kunden des Heilbronner Schornsteinfegermeisters lächeln aber schon, wenn sie an ihn denken. Was sicherlich mit seinem lustigen Zwirbelbart und freundlichen Wesen zu tun hat. Ob er sich selbst als Glücksbringer empfindet und was ihn glücklich macht, das verrät der 63-Jährige im Interview.

 

Machen Sie Menschen glücklich?

Karl Bayer: Ich denke schon. Es heißt ja, dass der Glaube Berge versetzt, und da ist was dran. Ich habe auch schon so Feedback bekommen: "Mensch, Herr Bayer, als ich Sie getroffen habe, ist es mir einfach gut gegangen." Und es kommt vor, dass Leute auf mich zugehen und an einem Knopf von meinem Anzug drehen.

 

Wieso denkt man denn, dass ausgerechnet der schwarz gekleidete Schornsteinfeger Glück bringt?

Bayer: Das ist so ein altes Klischee, weil er in Wirklichkeit auch Glück gebracht hat. Kaminfeger gab es ja schon im Mittelalter. Damals waren die Schornsteine nicht gemauert, sondern aus Holz und Lehm – da sind leicht ganze Städte abgebrannt. Deshalb gibt es schon seit ewig eine Kehr- und Kaminüberprüfungspflicht. Das hat schon der Herzog von Württemberg so gehändelt. Er hat seinen Leuten gesagt, sie müssten nach ihren Schornsteinen schauen lassen, damit solche Feuersbrünste nicht entstehen können. Wir bringen also Glück, weil wir verhindern, dass das Haus abbrennt.


 

Es gibt also Leute, die Sie anfassen?

Bayer: (wie aus der Pistole geschossen) Ja. (Er stockt) Anfassen, umarmen, küssen …

 

Völlig Fremde?

Bayer: Das können andere Kollegen bestätigen.

 

Die kommen auf Sie zu und sagen: "Darf ich Sie mal umarmen, das bringt mir Glück!" - wirklich?

Bayer: Ja, ja, ja, ja. Unzählige Male schon.

 

Sind diese Menschen abergläubisch?

Bayer: Wenn Sie das als Aberglaube bezeichnen (denkt nach). Aber okay. Ich glaube schon, dass einige dabei sind, die auch mit einer schwarzen Katze ein Problem haben oder damit, unter einer Leiter durchzulaufen.

 

Und Sie selbst?

Bayer: (schnell) Nee. Absolut nicht. Obwohl: Ich bin jetzt 63 Jahre alt, und ich habe in meinem Leben nur Glück gehabt.

 

Inwiefern?

Bayer: Gesunde Frau, gesundes Kind, einen guten Job. Das passt.

 

Sie betrachten sich selbst also als glücklichen Menschen.

Bayer: Auf jeden Fall.

 

Was ist denn das Schöne an Ihrem Job?

Bayer: Der Umgang mit Menschen. Du machst zwar jeden Tag so ziemlich dasselbe, aber kein Tag verläuft wie der andere. Dann komme ich zur Frau Schwarzbürger, dann komme ich zu Herrn Müller, zu der Frau Mayer und jeder, jede hat einen anderen Charakter und ist dir gegenüber reserviert oder nicht reserviert, euphorisch, freundlich, lieb. So wie man"s in den Wald rein schreit, so hallt es zurück. Nicht immer, aber oft (Bayer erzählt Beispiele von "bruddeligen" Kunden, die nach einer Weile freundlich wurden.)

 

Aber Sie haben den Beruf doch bestimmt nicht ergriffen, weil sie sich sagten: Da treffe ich so viele interessante Leute?

Bayer: Nein. Als ich 14 war, hat mich der damalige Schornsteinfeger von Untergruppenbach mal ein paar Meter mit dem Auto mitgenommen, der Hans Keck. Der hat mir die Story erzählt, wie toll und klasse der Beruf ist. Als ich nach Hause kam zu meiner Mutter, habe ich gesagt: "Mama, ich gehe nicht mehr weiter auf die Schule. Ich werde Kaminfeger." Und die fand: "Das ist kein schlechter Beruf." Irgendein Großonkel von ihr war auch Kaminfeger gewesen.

 

Und Sie haben das dann tatsächlich durchgezogen.

Bayer: Ja, Gott sei Dank. Nach dem Hauptschulabschluss in Untergruppenbach habe ich dann in Auenstein beim Karl Schwab gelernt. Das war ein toller Lehrmeister. Mit 18 Jahren war ich schon ausgelernt, da fangen viele heute erst an.

 

Sie gehen aber trotz der Begeisterung für Ihren Beruf nächstes Jahr etwas vorzeitig in Rente.

Bayer: Ja. Das hat auch was mit dem dauerndem Im-Büro-Sitzen zu tun. Das hat stark zugenommen, da ist immer mehr Bürokratie.

 

Sie stehen lieber auf dem Dach?

Bayer: Ja. Zum Teil ist die Aussicht auch unglaublich schön. Dafür habe ich auch meine Lieblingssträßle in meinem Bezirk: Die Bebelstraße gehört dazu, Karl-Wulle-Straße, Armsündersteige, Kraemerstraße. Wobei mir der Heilbronner Norden fast besser gefällt als der Osten.

 

Wenn Sie jetzt einen jungen Menschen im Auto mitnehmen würden, würden Sie ihm den Beruf dann heute noch empfehlen?

Bayer: Absolut, absolut.

 

Was würden Sie ihm dann erzählen?

Bayer: Das enorme Spektrum, das der Beruf bietet, das ist klasse. Und dann ist da der Umgang mit den Leuten: Man sollte leutselig sein, das wäre nicht schlecht. Empathisch sein.

 

Gut mit Leuten umgehen können, also.

Bayer: Ja. Ich habe in meinem Kehrbezirk wirklich ein tolles Klientel, vom Sozialhilfeempfänger bis zum Millionär. Der eine ist mir soviel wert wie der andere. Eine, schon längst verstorbene, in Heilbronn sehr bekannte Dame, war aber immer recht unfreundlich zu mir. Der habe ich mal gesagt: Sie braucht mich nicht behandeln wie einen ihrer Lakaien. Von dem Tag an stand jedes Mal ein Geschenk für mich bereit, wenn ich zu ihr ins Haus kam.

 

Die Leute finden Sie nicht nur wegen Ihrer freundlichen Art, sondern auch aufgrund Ihres lustigen Barts sympathisch. Seit wann tragen Sie den?

Bayer: 45 Jahre?

 

Wie kam es dazu?

Bayer: Aus einer Laune heraus. Ein paar Fußballkameraden und ich wollten dem Kaiser Wilhelm nacheifern, und ich bin der einzige, der übrig geblieben ist, der ihn behalten hat. Und so ist der Bart dann zu meinem Markenzeichen geworden.

 

Spielen Sie jetzt noch Fußball?

Bayer: Nein. Jetzt bin ich halt VfB-Fan.

 

Der macht Sie aber nicht so glücklich?

Bayer: Aber hallo! Momentan sehr. Tabellenplatz Drei!! Als VfB-Fan musst du demütig und leidensfähig sein. Die Spiele schaue ich mir immer in geselliger Runde an.

 

Weil Geselligkeit Sie auch glücklich macht.

Bayer: Ja, Geselligkeit, besonders mit der Familie. Um mit meinem Sohn in Garmisch wandern zu gehen, habe ich dieses Jahr sogar darauf verzichtet, zum internationalen Schornsteinfegertreffen nach Santa Maria Maggiore in Italien zu fahren. Da wäre ich sonst gerne mal wieder hingefahren. Viermal war ich schon dort.

 


Zur Person: Karl Bayer

Karl Bayer ist Untergruppenbach aufgewachsen. Seit Jahrzehnten ist der 63-Jährige der Bezirksschornsteinfegermeister des Heilbronner Nordens und Ostens, der unter die Postleitzahl 74076 fällt. Mit seiner Frau lebt er auch im Nordteil der Stadt. Obwohl er von den "vielen schönen Erlebnissen" schwärmt, die ihm sein Beruf bietet, hat sein Sohn ein Studium vorgezogen.

Da es immer weniger Azubis im Handwerk gibt, ist noch kein qualifizierter Nachfolger für seinen Bezirk in Sicht, wenn er 2024 in Rente geht. Notfalls müssen die Kollegen aus den Nachbarbezirken mitübernehmen.

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