Ermüdender Kampf gegen Lärm der A6
Anwohner in Biberach wollen die höhere Belastung durch den A6-Ausbau nicht hinnehmen. Sie zweifeln am Lärmschutzgutachten. Die zuständige Behörde verweist auf den Ausbau nach Plan und stellt klar: Nachgemessen wird nicht.

Sie fühlen sich nach dem Ausbau der A6 vor ihrer Haustür als Leidtragende der Planer. Anwohner in Biberach ärgern sich, dass der Lärm von der Autobahn trotz Schallschutzwand deutlich zugenommen habe. Antworten von Behörden auf Beschwerden sind für sie ernüchternd, weil Nachmessungen laut Gesetz offenbar nicht vorgesehen sind und stets auf das planfestgestellte Ausbauprojekt verwiesen werde. Jetzt legen die Bürger Unterschriftenlisten im Ort aus.
Gut einen Kilometer ist die neue Lärmschutzwand der A6 vom Balkon von Eugen Rak (66) entfernt. Er zeigt auf die Stelle etwas weiter ostwärts, wo die hohe Wand endet und in eine offene Fläche übergeht. Abends auf der Terrasse höre man die Lkw besonders, "manchmal denkt man, da rollen Panzer". Im Schlafzimmer, selbst auf der Toilette im Haus höre man die laute Autobahn. "So kann das nicht bleiben, der Lärm ist Wahnsinn", sagt Rak. Früher hätten an jener Stelle der A6 Büsche und Bäume gestanden. Dann kam der Ausbau. "Wie kann man das so offen lassen?" Gut 300 Meter mehr Lärmschutzwand, "dann wäre Ruhe", ist er überzeugt.
Anwohner zweifeln am Lärmschutzgutachten

Auch Nachbar Ralf Bahnemann bekräftigt, dass es deutlich lauter sei als vor dem Ausbau. Nach 21 oder 22 Uhr werde es richtig heftig, da höre man das laute Rauschen im Garten, "als ob ein Lkw um die Ecke Rennen fährt". Die Lebensqualität sei gesunken. Anwohner zweifeln am Lärmschutzgutachten, an den Planungen der Schutzwände. Ziel müsse sein, dass "es jemand prüft", findet Bahnemann. Er hat die Autobahn GmbH des Bundes angeschrieben. "Sie verstecken sich hinter dem Planfeststellungsbeschluss", findet er. Er nennt dies "Hinhaltetaktik". Dauernd andere Geräusche von der Autobahn, die "kolossal nerven", bestätigt Anwohnerin Andrea Fuchs.
Auch die Biberacher Stadträtin Marion Rathgeber-Roth sieht die Lage kritisch. "Lärm macht krank. Das ist fast schon Körperverletzung." Sie hat den Eindruck, irgendwer habe bei den Planungen geschlafen. Zumal nach den Unterlagen an 37 Gebäuden Grenzwerte überschritten seien. Höhe und Länge der Lärmschutzwand sind vom Lärmschutzgutachten von 2009 abgeleitet. Damals waren für den Bereich Böllinger Höfe an der A6 im Schnitt rund 72.000 Kfz in 24 Stunden ermittelt und für 2025 ein Anstieg auf 99.000 Kfz vorhergesagt worden. Die Lärm-Grenzwerte würden 2025 in Biberach und Kirchhausen tagsüber "im gesamten Untersuchungsgebiet eingehalten", hieß es. Aber: Nachts lägen Überschreitungen vor, hier müssten zusätzliche Lärmschutzfenster oder Schalldämmlüfter helfen.
Eine weitere Reduzierung der Pegel auf das Niveau der Grenzwerte sei "mit vertretbarem Aufwand nicht vollständig möglich", steht im schalltechnischen Erläuterungsbericht (2010). Geschätzte Mehrkosten für ein Nachbessern: zehn Millionen Euro. Das Geld wurde nicht investiert.
Laut Behörde kein Anspruch auf verbesserten Lärmschutz

Auf Basis der Beschwerden habe man den Fall geprüft, teilt die Autobahn GmbH des Bundes auf Stimme-Anfrage mit. Wiederholte Verkehrszählungen, zuletzt von 2019, hätten die Grundlagen der Prognose im Gutachten bestätigt. Nach aktuellen Verkehrszahlen könne ausgeschlossen werden, "dass sich ein Anspruch auf verbesserten Lärmschutz für Anwohner in Heilbronn-Biberach auf Grundlage einer fehlgeschlagenen Prognose ergeben kann", antwortet die Behörde. Aktuelle Verkehrszahlen würden "deutlich unter den prognostizierten Werten liegen".
Auch Anwohner Bahnemann erhielt von der Behörde eine Antwort. Die geplanten Lärmschutzmaßnahmen - die alle auf Berechnungen beruhen - und die Lärmvorsorge seien "abschließend rechtlich durch den Planfeststellungsbeschluss geregelt". Lärmschutzansprüche könnten 30 Jahre nach Verkehrsfreigabe geltend gemacht werden. Voraussetzung für nachträglichen Schallschutz sei eine fehlgeschlagene Lärmprognose und ein Überschreiten der Werte um drei Dezibel. Wer ein Fehlschlagen wie nachweisen müsste, schreibt die Behörde nicht.
Daten
Amtliche Kfz-Zähldaten weisen große Unterschiede auf. Die A6-Dauerzählstelle Neckarsulm registrierte 2019 im Vor-Corona-Jahr 99 368 Kfz von Montag bis Freitag (in 24 Stunden). Den Wert für die A6-Sonderzählstelle Böllinger Höfe/Untereisesheim gibt die Autobahn GmbH 2019 mit 72.599 Kfz an - also 27.000 Kfz weniger auf wenigen Kilometern Distanz. Die Autobahn GmbH erklärt dies damit, dass der von der B 27 bei Neckarsulm auffahrende Verkehr sich vorrangig ostwärts Richtung Weinsberger Kreuz, Stuttgart und Würzburg orientiere. Vergleichende Kfz-Zahlen von 2021 für die Böllinger Höfe gibt es bisher nicht.