Heilbronner Stimme für alle: Eine gute Tat am Tag
Ulrich Wagner legt seine Ausgabe der Heilbronner Stimme grundsätzlich in einen öffentlichen Bücherschrank. Die Passanten sind dankbar.

Die schwere Glastür des öffentlichen Bücherschranks am Bollwerksturm in Heilbronn ist mit Graffiti beschmiert und hat schon einige Kratzer. Mindestens zwei Mal am Tag wird sie bei jedem Wind und Wetter geöffnet. Einmal legt Ulrich Wagner seine Ausgabe der Heilbronner Stimme vom Vortag auf die Bücher des untersten Regalbretts - dieser Ort hat sich zum Stammplatz entwickelt. Das zweite Mal nimmt sich jemand genau diese Ausgabe wieder heraus. Das läuft schon seit sechs Jahren so.
Täglicher Spaziergang
Die Idee hatte Wagner schon ganz am Anfang, als der Bücherschrank noch neu und unbekannt war. Er und seine Frau hatten aussortiert und einen Stapel Krimis übrig, die sie zum Bücherschrank brachten. Dabei sei ihm dann die Idee gekommen, nicht nur alte Bücher, sondern auch die Zeitung vom vorherigen Tag dort zu platzieren. Also geht er jeden Morgen mit einem hölzernen Gehstock in der einen und der Stimme in der anderen Hand die wenigen Meter von seiner Haustür zum Schrank - für ihn ist das zu einer Routine geworden.
An die Pfadfinder angelehnt
"Im Durchschnitt dauert es eine Stunde, bis jemand die Zeitung mitgenommen hat", erzählt der ehemalige Unternehmer lächelnd. Wenn er mit Menschen spricht, die an seiner Zeitung interessiert sind, erzählen sie ihm wie dankbar sie sind, die Stimme auf diesem Wege lesen zu können.
Wagners Leitspruch, nach dem er sein Leben ausrichtet, lautet: "Jeden Tag eine gute Tat." Diesen Spruch habe er von Pfadfindervereinen übernommen, sei allerdings nie selbst Mitglied einer solchen Gruppe gewesen.
"Ich versuche, mich so sozial wie möglich zu verhalten", erklärt Ulrich Wagner. Nicht nur mit der Zeitung, es geht ihm auch um andere kleine Gesten. Mal bringt er Obdachlosen Nahrungsmittel und unterhält sich mit ihnen. Bei anderen Gelegenheiten hält er anderen Menschen die Tür auf. "Ich helfe gerne. Das war schon immer so."
Er sei ein grundsätzlich positiver Mensch: "Bei mir ist das Glas immer halb voll." Mit der Abgabe seiner Zeitung möchte er Bedürftigen ein bisschen den Tag verschönern. Der 81-Jährige sagt, die Presse sei eine wichtige Kommunikations- und Informationsquelle. Deshalb will er die Nachrichten so vielen Menschen wie möglich zur Verfügung stellen. "Ich schätze die Arbeit, die in der Zeitung steckt, sehr und sehe die Ausgabe vom Vortag nicht als Altpapier an", erklärt der Rentner. Ihm sei vor allem der Bildungsaspekt wichtig.
Geändert habe er sein Leseverhalten trotz der späteren Abgabe nicht: "Ich kreise nach wie vor wichtige Aussagen, die ich am Abend noch mal lesen möchte, ein." Wer auch immer die gelesene Zeitung am nächsten Tag aus dem Bücherschrank nimmt, wird auf die Kringel stoßen und diesen Passagen möglicherweise besondere Aufmerksamkeit schenken.
Stimme.de