Die Stadt Heilbronn wirbt um junge Ärzte
Theoretisch ist die Versorgung mit Medizinern in Heilbronn gut. Trotzdem herrscht in der Versorgung im Kinder- und Jugendbereich Notstand.
Eltern kennen das Dilemma. Wer ein beunruhigend krankes Kind daheim hat und dringend einen Arzt braucht, verzweifelt oft am Telefon. Dauerbesetzt ab Praxisöffnung in aller Frühe. Aufnahme in die Warteschleife? Fehlanzeige. Direkt vorstellig werden mit fieberndem Nachwuchs stößt in überfüllten Praxen auch auf wenig Begeisterung. „Mein Mann wurde zurechtgewiesen, das gehe so nicht“, erzählt eine Mutter. Auch wenn der Arzt das Kind mit Verdacht auf Lungenentzündung dann doch angeschaut hat.
„Kinder- und Jugendärzte sind am Anschlag“. Das sagte Dr. Peter Liebert, Leiter des städtischen Gesundheitsamts jetzt im Heilbronner Verwaltungsausschuss. Auch die Hausärzte seien teils überlastet. Nicht nur, weil die Influenzawelle viel früher gekommen ist als sonst. Einen Antrag auf Information zur Versorgung mit Haus- und Kinderärzten in Heilbronn, deren Altersverteilung und Nachfolgeplanungen hatte zuvor Stadtrat Rainer Hinderer (SPD) gestellt.
Das Paradoxe: Laut den Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) liegt der Versorgungsgrad gerade bei Kinder- und Jugendärzten in Heilbronn bei 111,2 Prozent. Ab einer Versorgung von 110 Prozent dürfen sich keine neue Kollegen mehr niederlassen. „Und das, obwohl Bedarf besteht,“ so Liebert. Aus diesem Grund wollten sich unter anderem der Sprecher der Kinder- und Jugendärzte im Stadt- und Landkreis Heilbronn, Dr. Hans Ulrich Stechele und weitere Mitstreiter für eine Entsperrung einsetzen.
Der Anteil in Heilbronn liegt über dem Landesdurchschnitt
„Der Bereich ist katastrophal unterversorgt und gehört schon lange entsperrt“, sagte Stechele abseits der Sitzung. Eine hohe Geburtenrate und ein großer Zuzug Minderjähriger sorgten dafür, dass der Anteil von Kindern und Jugendlichen in Heilbronn überproportional hoch sei im Vergleich zum Landesdurchschnitt. Dazu kommt: Spezialisierte Mediziner wie etwa Kinderkardiologen behandeln auch viele junge Patienten aus dem Landkreis. Das Ergebnis: „Der Versorgungsnotstand ist schon da.“
Bei Hausärzten liegt der Versorgungsgrad in Heilbronn bei 94 Prozent und ist damit recht gut. „Brisant ist aber die Altersverteilung“, sagte Peter Liebert. 38,8 Prozent der Ärzte in diesem Bereich sind in Baden-Württemberg im Schnitt 60 Jahre und älter. In Heilbronn sind es sogar 43,2 Prozent. „In der medizinischen Versorgung kommt ein Problem auf uns zu“, so Liebert. Es betreffe den gesamten Bereich, „alle Regionen konkurrieren miteinander.“ Dabei brauche die älter werdende Gesellschaft wohnortnahe Praxen.
Gute Infrastruktur im Interesse aller
Dazu komme, dass junge Allgemeinmediziner keine 70-Stunden-Woche absolvieren wollten, sondern wegen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf Teilzeit und nicht Selbstständigkeit favorisierten. Es sei wichtig, mehr Ärzte auszubilden, deren Niederlassung zu fördern, Kooperationsformen zu finden und ihnen Angestelltenverhältnisse zu bieten. Stadtrat Rainer Hinderer (SPD) begrüßte das. „Auch wenn wir keine originäre Zuständigkeit haben, muss es im Interesse aller sein, eine gute Infrastruktur zu erhalten.“ Unterstützung beim Bau von Arztpraxen, Stipendien, all das mache Sinn.
„Wir müssen Fachkräfte hegen und pflegen, damit sie nicht ins Ausland auswandern“, sagte Thomas Randecker (CDU). Stipendien für 18-jährige Studierende finde er schwierig, denn wer wisse in dem Alter, ob er Landarzt werden wolle?
Personen mit Sprachbarrieren finden nicht ins System
Ein Zusatzproblem, das mit Einführung des niederschwelligen Impfbusses in Heilbronn offenbar wurde: „Die ärztliche Versorgung erreicht bestimmte Teile der Bevölkerung nicht“, so Sozialbürgermeisterin Agnes Christner. Sozial benachteiligte Personen fänden etwa wegen der Sprachbarriere nicht ins System. „Wir merken das daran, dass den Kinder beim Schulanfang Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen fehlen.“
Eine Arbeitsgruppe will sich für Verbesserungen einsetzen. Mit dabei: Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, der Vorsitzende der Kreisärzteschaft, der Sprecher der Kinder-und Jugendärzte, Gesundheits- und Liegenschaftsamt.
Mehr Anreize schaffen
Mehr junge Mediziner, die sich als Hausärzte in der Region niederlassen: Das war das Ziel einer Besprechung zum vom Land geförderten Programm „Modellregionen für ärztliche Ausbildung“ im Sommer. Mit dabei: Vertreter der Ärzteschaft, der SLK-Kliniken, des Landratsamtes, der medizinischen Fakultät Heidelberg, Sozialbürgermeisterin Agnes Christner und Dr. Peter Liebert, Leiter des städtischen Gesundheitsamts.
Wegen der Verzahnung der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung zwischen Landkreis und Stadt Heilbronn werden auch Ärzte der Stadt als Projektpartner angenommen, obwohl das Programm zur Stärkung des ländlichen Raums konzipiert wurde. Für Studierende soll es Einheiten in Hausarztpraxen in Stadt- und Landkreis geben. Sie wenden sich an eine Koordinierungsstelle an der Uni Heidelberg. Das Liegenschaftsamt Heilbronn begleitet anfragende Ärzte, am Neckarbogen werden Interessierte direkt an Bauherren vermittelt.