Die Rückkehr des Schraubglases
Vom Mineralbrunnen bis zur Handelskette: Der Umwelt zuliebe boomt die Nachfrage nach Glasbehältern. Doch nicht immer ist selbst ein Pfandglas die umweltfreundlichste Verpackung. Ein Blick hinter die Kulissen.

Wer im Heilbronner Unverpackt-Laden Liva einkauft, hat meistens einen Stoffbeutel dabei, aus dem es verdächtig klimpert und klappert. "95 Prozent unserer Kunden bringen ihre Gefäße selbst mit", erklärt Inhaberin Linda Tiedemann. "Meistens sind diese aus Glas - alte Marmeladengläser oder aber auch hübsche Nudelgläser mit Bügelverschluss." Unter eine der zahlreichen Schütten des Unverpackt-Ladens gehalten, füllen sich die Gläser mit Fussili Tricolore, Erdnüssen oder Schokomüsli.
Unverpackt-Laden
Wer hier seine Einkäufe erledigt, dem liegt die Natur am Herzen. Die Kundschaft vom Liva verbindet, dass sie darauf achtet, dass die Lebensmittel, die sie nach Hause bringt, umweltfreundlich sind. Das gilt auch für die Verpackungen. "Viele Menschen denken, Glas ist eine umweltfreundliche Alternative", stellt Tiedemann fest. Doch das sei bei Einweggläsern ein großer Irrglaube.
Im Unverpackt-Laden werden beispielsweise Mandelmus, Milch oder Pesto im Glas verkauft. Viele Firmen, davon ist Tiedemann überzeugt, würden mit Glasbehältern ein sogenanntes Greenwashing betreiben. Das heißt, sie versuchen sich mit gezielten Marketingmethoden ein umweltfreundliches und verantwortungsbewusstes Image zu verleihen, ohne dass es dafür eine hinreichende Grundlage gibt. "Mir fallen da Beispiele wie Mehl im Glas ein", erzählt Tiedemann. Selbst Pfandgläser sieht die Händlerin kritisch: "Tatsache ist, dass auch Pfandgläser Teil des Greenwashings sind und Trockenprodukte wie beispielsweise Kaffee, Tee oder Linsen nichts in Pfandgläsern zu suchen haben." Die Umweltbilanz würde sich hier sogar verschlechtern. "Einwegglas ist die schlimmste Verpackungsalternative, danach kommt das Pfandglas für Trockenprodukte und nur beispielsweise flüssige Produkte wie Joghurt oder vakuumierte Produkte im Pfandglas sind wirklich sinnvoll."
Große Gefahr: Greenwashing
Eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Studie von 2021 kommt zu dem Schluss: Ein Einwegglas lässt sich zwar gut recyclen, weist aber dennoch den höchsten CO2-Ausstoß aller Verpackungen auf, wenn es zum Beispiel um passierte Tomaten geht. Vor allem die Glasherstellung verbraucht sehr viel Energie. Den geringsten CO2-Ausstoß hat der Einwegverbundkarton. Allerdings schneidet das Mehrwegpfandglas mit dem geringsten Abfall am besten ab. Wichtig sei es aber, dass Pfandbehälter immer schnell zurückgebracht werden und so im Umlauf gehalten werden. Wer den Altglascontainer auch für olle Gurkengläser ohne Pfand vermeiden möchte, kann beim Heilbronner Unverpackt-Laden an der Allee auch alte Gläser abgeben. "Wir reinigen diese noch einmal gründlich und stellen sie dann unseren Kunden zum Einkauf zur Verfügung, die keine eigenen Behälter dabei haben", sagt Linda Tiedemann, die das Geschäft mit ihrem Partner Patrick Wimmer seit 2019 betreibt.
Unverpackte Lebensmittel
Dabei gibt es Unverpackt-Stationen und Pfandgläser nicht nur in solchen spezialisierten Läden. Selbst die Neckarsulmer Kaufland-Kette ist auf den Zug aufgesprungen: Seit kurzem testet sie den Verkauf von Nahrungsmitteln in Pfandgläsern - zunächst aber nur in zehn Filialen, davon acht in Bayern sowie in Ravensburg und in Weingarten. Dieses Sortiment umfasst bis zu 90 Artikel in Bio-Qualität, darunter Müsli, Reis, Couscous, Zucker, Mehl, Porridge, Gummibärchen sowie diverse Nüsse und Trockenfrüchte. Die leeren Gläser werden über die Leergutautomaten zurückgegeben und gelangen so wieder in der Mehrwegkreislauf. "Mit diesen Pfandgläsern bieten wir eine weitere innovative und praktikable Lösung, um auf Verpackungsmaterialien wie Plastik zu verzichten", sagt Robert Pudelko, Leiter Einkauf Nachhaltigkeit. Die Lebensmittel in den Pfandgläsern kommen von Eco Terra, einem Lieferanten, der sich auf das Angebot unverpackter Lebensmittel spezialisiert hat. Mit ihm zusammen testet Kaufland derzeit in acht Filialen auch Unverpackt-Stationen.
Vorreiter Molkereien
Pfandgläser sind anderswo schon lange im Sortiment - etwa in Molkereien. Bei Friesland-Campina wird im Heilbronner Werk vor allem Landliebe-Joghurt im 500-Gramm-Glas abgefüllt. Aber auch generell kann Marketingleiterin Stefanie Jankowski berichten: "Wir verkaufen mehr als 50 Prozent unserer Frischmilch in der Mehrweg-Glasflasche, bei Joghurt liegt der Anteil an Glasgebinden sogar bei über 70 Prozent." Glas als Verpackungsmaterial spiele eine wichtige Rolle. "Gerade unsere Marke Landliebe steht für Molkereiprodukte in der Glasverpackung und wir planen den Ausbau dieser Kategorie." Voriges Jahr sei das Joghurt-Sortiment im Glas um drei neue Sorten erweitert worden. "Bei Verbrauchern ist Glas als nachhaltiges Verpackungsmaterial nach wie vor sehr beliebt", sagt die Sprecherin. Frischmilch in der Glasflasche entwickele sich über die letzten zwei Jahre positiv und damit entgegen dem übrigen Markt.
Demeter-Produkte
Noch stärker auf Glasgebinde konzentriert sich die Demeter-Molkerei Schrozberg. Mehr als 90 Prozent aller Abfüllungen entfallen hier auf Glasbehälter, berichtet Marketingleiter Timur Lauer. "Glas ist in den letzten Jahren regelrecht explodiert in der Nachfrage." Milch werde mittlerweile zu mehr als 95 Prozent in der Glasflasche abgefüllt. "Hauptgrund sind laut unseren Kunden die Verpackungsmüllvermeidung", erzählt er. Bei Produkten wie Crème Fraîche oder Quark, die nicht auf einmal konsumiert werden, sei aber auch ein Grund, dass sich ein Glas wieder verschließen lasse. "Gerade das kleine 250-Gramm-Mehrwegglas hat sehr stark an Beliebtheit dazugewonnen." Seit dem Vorjahr werde Skyr im Glas angeboten, mittlerweile gebe es so ziemlich jedes Molkereiprodukt bei den Schrozbergern auch im Glas. "Wir sehen immer noch Wachstum im Bereich Mehrweg und werden auch von Verbrauchern immer wieder angefragt, ob wir nicht weitere Artikel im Mehrwegglas bringen können."
Erwartungen
Bei den Mineralbrunnen kehrt mit wachsendem Umweltbewusstsein die Glasflasche sogar wieder zurück. "Glas wächst wieder stärker", sagt etwa Rainer Rössle, Geschäftsführer von Teusser Mineralbrunnen in Löwenstein. Und bei Aqua Römer, das sich seit vielen Jahren zwar auf PET-Mehrweg festgelegt und nur eine Linie im Werk Mainhardt mit Glasflaschen in Betrieb hat - dreht sich allmählich die Nachfrage. "Das Verhältnis Glas zu PET-Mehrweg liegt dabei ungefähr bei 30 zu 70", wird dort berichtet. Der Anteil an Glasgebinden sei in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. "Das hat sicherlich mit einem weiter gestiegenen ökologischen Bewusstsein der Verbraucher zu tun." Ein Unternehmenssprecher betont aber, dass die PET-Flasche besser sei als ihr Ruf - auch ökologisch, vorausgesetzt es handelt sich um Mehrweg. "Die PET-Mehrwegflasche wird bis zu 25 Mal wieder befüllt und punktet bei der Ökobilanz durch ihr geringes Gewicht, weil so beim Transport weniger CO2-Emissionen entstehen", erklärt er.
Gut für den Transport
Dennoch hat das Unternehmen reagiert und hat seit Anfang des Jahres ein neues Sechser-Glasgebinde mit Literflaschen im Sortiment. Dies sei leichter tragbar und insbesondere für kleine Haushalte attraktiv, meint der Sprecher. "Wir gehen davon aus, dass sich Glas weiterhin positiv entwickeln wird." Die zentrale Herausforderung der gesamten Branche bestehe eher darin, deutlich zu machen, dass Mineralwasser Vorteile gegenüber den Soda-Sprudlern habe, etwa natürliche Reinheit, streng kontrollierte Qualität und Mineralisierung. "Man kann Leitungswasser vielleicht zu Sprudelwasser machen, aber nie zu Mineralwasser."