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Der 4. Dezember lässt Heilbronnern keine Ruhe

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Wer den Luftangriff auf Heilbronn am 4. Dezember 1944 erlebt hat, kann die Tragödie nicht vergessen. Drei Zeitzeugen erinnern sich.

Hinweis: Hier handelt es sich um einen Artikel aus dem Stimme.de-Archiv aus dem Jahr 2019.

 

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Erst war der 4. Dezember ein "normaler" Tag im Krieg

Der aus Sontheim stammende amerikanische Literaturprofessor Helmut Ziefle (80) berichtet in dem seiner Mutter gewidmeten Roman „Eine Frau gegen das Reich“, wie seine Familie den 4. Dezember erlebte.

„Das Abendessen war fast fertig, als Georg an jenem frühen Dezemberabend die Treppe heraufgestapft kam und ins Wohnzimmer ging. Maria trat aus der Küche, um ihn zu begrüßen. Ohne seinen Mantel abzulegen, streckte er sich auf der Couch aus und seufzte: „Ich hoffe, wir haben heute Nacht nicht wieder einen Alarm. Der um halb fünf war der fünfte heute. Ich versuchte, die verwundeten Soldaten zu transportieren, die mit dem Lazarettzug angekommen sind, und der ständige Alarm hat die Arbeit doppelt schwer gemacht. Aber schließlich haben wir sie doch alle wegbekommen – 102 waren es. Ich bin total erledigt.“

 Foto: Helge Kempf
Ziefles Roman in der US-AusgabeFoto: Helge Kempf

Maria antwortete lächelnd: „Ich hoffe auch, dass du ein bisschen Ruhe bekommst. Und ich habe auch dein Lieblingsessen zubereitet – die Koteletts, die du neulich von dem Bauern hast kaufen können.“ Sie kehrte in die Küche zurück. „Wo sind denn Ruth und Helmut, Maria?“ „Sie müssten jeden Augenblick zurück sein. Sie wollten spazieren gehen. Ruth erzählte mir, sie wäre heute Abend so gerne mit ihren Freundinnen ins Kino gegangen, doch die Klassenarbeit zog sich in die Länge, so dass der Film bereits angefangen hatte, als sie die Schule verlassen konnte. Mehrere ihrer Freundinnen gingen trotzdem noch hin, aber sie entschied sich, nach Hause zu gehen. Ich bin froh darüber, denn sie hatte keine Erlaubnis, dorthin zu gehen.“

Der ständige Alarm war zu einer lästigen Störung geworden

Gerade in diesem Moment betraten die beiden Kinder das Haus. „Hallo, Papa!“ riefen sie aus. „Kommt zum Essen!“ ertönte Marias Stimme von der Küche her. In Heilbronn und seinen Vororten herrschte zu dieser Zeit ein Gedränge von geschäftigen Menschen, die von der Arbeit kamen, einkauften, im Kino saßen oder auf Züge warteten. Der ständige Alarm war zu einer ebenso alltäglichen wie lästigen Störung geworden. Täglich mit Gefahr und Tod zu leben, hatte die Gemüter abstumpfen lassen.

Aber als sich die Ziefles um den Abendbrotisch versammelten und die Heilbronner ihren Beschäftigungen oder Vergnügungen nachgingen, kam eine junge russische Zwangsarbeiterin, die in Heilbronn wohnte, jedoch in Sontheim arbeitete, zwischen 18 und 19 Uhr von der Arbeit nach Hause und verschwand eilig mit leisen Schritten im Keller. Verwirrt gingen ihre Hausleute hinterher und stellten sie zur Rede, weil sie den Keller auch zum Abendbrot nicht verlassen wollte, fragten sie: „Was ist los? Was machst du hier unten?“ Ängstlich erwiderte das Mädchen: „Heute Abend kommt Heilbronn dran. Ich werde hier unten bleiben.“

Niemand hat je in Erfahrung bringen können, woher einzelne Fremdarbeiter diese Vorwarnung erhalten hatten. Georg wurde mitten im Tischgebet unterbrochen, als mit einem leisen Grollen die Sirenen zu heulen anfingen.“


Von der Angst während des Bombenangriffs

Der Künstler Arthur J. Elser (79) hat den Angriff als kleiner Bub in einem Keller erlebt und später auf Bildern und in Worten festgehalten.

„Am Abend war ich schon im Bett. Meine Mutter kam in mein Zimmer, sagte mir, ich solle mich schnell anziehen und in den Keller gehen, weil Flugzeuge kamen und die Sirenen heulten. Vater stand auf dem Balkon und sagte: Heute geht es los, die haben Christbäumchen gesetzt. Im Keller an der Lixstraße waren dann neun Personen. Kurz darauf gab es gewaltige Explosionen. Die kamen immer näher. Plötzlich wurde das Luftschutztürchen weggerissen.

Wir waren in einem alten Sandsteingewölbe, in dem auch Wein gelagert wurde. Dieser Keller war unter einer Scheune mit Stall, wo Ziegen und ein Maultier untergebracht waren. Es muss dann eine Bombe neben dem Stall explodiert sein. Die Tiere schrien jämmerlich – und verbrannten.

 Foto: Helge Kempf
Jahre nach dem Luftangriff setzte sich Arthur J. Elser auch künstlerisch mit seinen Erinnerungen auseinander. Foto: Helge Kempf

Unser Vater war kurz zuvor aus gesundheitlichen Gründen ausgemustert worden und durch drei Jahre in Russland ziemlich angeschlagen. Er tauchte einen Strohsack von einer Pritsche in einen mit Wasser gefüllten Bottich und hielt ihn zusammen mit einem polnischen Kriegsgefangen an das fehlende Kellerfenster. Dadurch kamen weniger giftige Gase in den Keller.

Auch Atheisten fingen an zu beten

Plötzlich gab es eine große Explosion sehr nahe bei uns. Das Licht ging aus. Man setzte mir wie allen anderen eine Gasmaske auf. Die Kellertüre aus Stahl glühte rot und begann zu schmelzen. Man sah durch die geschmolzene Türe den brennenden Phosphor, wie er wie Lava die Treppe herunterlief. Wir hatten natürlich unheimliche Angst, und fingen zu beten an. Alle beteten, auch die Atheisten. Wir durften selbst nach über einer halben Stunde nicht ins Freie, weil unser Vater vor Spätzündern warnte.

Nach gut drei Stunden kletterten wir schließlich durch das kleine Kellerfensterchen hinaus. Es brannte überall, die Luft war voller Rauch. Unheimlich. Bald war unser Wohnhaus völlig abgebrannt. Wir liefen dann durch die Lerchenstraße, an manchen Stellen brannte der Asphalt. Unsere Familie eilte zu einem Klassenkameraden in die Ludwig-Pfau-Straße, wo wir sehr nett aufgenommen wurden. Wir mussten dann alle spucken, weil wir eine Rauchvergiftung hatten.

Am anderen Morgen gingen wir zur Allee, wo unsere Eltern eine gute Freundin suchten. Im Mittelstreifen lagen 40 bis 50 Körper von toten Menschen. Meinen Bruder und mich hielt man dann gleich von der Stelle fern. Später landeten wir in Baracken vom Arbeitsdienst am Trappensee. Die Luftangriffe gingen weiter, und wir suchten Schutz im Eisenbahntunnel nach Weinsberg.“


Nur wenige Gebäude wie etwa der Hafenmarktturm (links) oder die Kilianskirche wurden nach dem Krieg wieder aufgebaut. Foto: Hermann Eisenmenger
Nur wenige Gebäude wie etwa der Hafenmarktturm (links) oder die Kilianskirche wurden nach dem Krieg wieder aufgebaut. Foto: Hermann Eisenmenger  Foto: Hermann Eisenmenger

Das zerstörte Heilbronn am Morgen danach 

Manfred Plieninger (87) aus Nordheim näherte sich am Morgen danach der Geisterstadt.

 Foto: Krauth, Kilian

Manfred Plieninger. Foto: Kilian Krauth

Der gebürtige Nordheimer besuchte in jenen Tagen die Dammschule in der Heilbronner Nordstadt. „Vormittags hatten wir Unterricht, nachmittags frei,“ erinnert er sich an den 4. Dezember. Gegen Abend dann „kam erst der Motorenlärm, dann der Fliegeralarm. Die ersten Bomber setzen zur Orientierung sogenannte Christbäume. Dann fielen die Bomben.

Bis zu uns nach Nordheim raus war es taghell. Alle haben in den Himmel über Heilbronn geguckt. Wie gebannt. Dann sind wir heim und haben gut geschlafen. Wir waren damals wohl schon abgestumpft von den ständigen Angriffen.“

Der Zwölfjährige macht sich am Morgen des 5. Dezember 1944 mit Freuden von Nordheim aus auf den Weg nach Heilbronn. „Wir wollten sehen, wie es aussieht, ob unsere Schule auch kaputt ist.“ „Der Horizont war noch um 10 Uhr morgens rot gefärbt. Der Himmel schwarz. Er wurde gar nicht Tag.“ Entlang der Bahnlinie erreichten die Vier über Böckingen – den Neckarkanal gab es damals noch nicht – die Theresienwiese.

„Unsere erste Station war der General-Wever-Turm“, der heute Theresienturm heißt. Hunderte Menschen hatten sich damals regelmäßig in dem Schutzbunker verschanzt, ganze Familien hausten dort tagelang.


In der siebten Folge der Sagenstimme spüren wir einem Phantom nach, welches im Herbst 1944 Heilbronn heimsucht: Der Bombenkarle. Ist er tatsächlich ein übergelaufener Heilbronner, der für die Briten nachts ungesehen Bomben abwirft?

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Von den meisten Häusern standen nur noch die Fassaden

Über einen Zugangssteg vom Schlachthof her erreichten die Freunde den Eingang. „Aber kein Mensch war da. Es war gespenstisch.“ Auch auf dem weiteren Weg, der vorbei am Schießhaus durch die Frankfurter Straße führte, sei ihnen „keine Menschenseele begegnet. Sonst hätten die uns junge Kerle sicher heimgeschickt. Nur einmal haben wir von weitem eine Frau vorüberhuschen sehen, mit Bettzeugs oder so. Fast überall hat es noch gebrannt, wobei sich das Feuer dem Ende näherte.“

Und weiter: „Von den meisten Häusern standen nur noch die Fassaden. Der Bahnhof war schon am 10. September zerstört worden. Davor stand eine Baracke, in der Wehrmachtssoldaten stationiert waren, davor lagen zehn Gewehre. Das Postamt hat alles überstanden, womöglich weil die Nachtwache die Brandbomben rausgeschmissen hat. Gegenüber brannten Hotels und Lokale. Im Cafe Royal blieben einige Geschosse heil, nur die Scheiben waren kaputt.

Im Erdgeschoss standen noch die Möbel und an der Theke sah es noch so aus wie am Abend vorher. Auf der linken Seite der Bahnhofstraße hat alles gebrannt. Wir kamen weiter bis zur Neckarbrücke, dahinter lag eine einzige Trümmerlandschaft. Wir sahen keinen Menschen, keine Feuerwehr nichts, nicht einmal Leichen, die Stadt war leer und tot wie eine Geisterstadt.“

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