Das verschwundene Mineralwasser von Heilbronn
Käthchen, Kilianskirche, Cluss: Über Jahrzehnte war die Brauerei am Rosenberg eines der Markenzeichen der Stadt am Neckar. Seit Mitte der 1990er-Jahre wird in der Cäcilienstraße allerdings kein Bier mehr gebraut. Cluss ist trotzdem ein Begriff geblieben. Anders ist das beim Rosenberg Mineralbrunnen. Das Mineralwasser gehörte einst zur Brauerei dazu. Was ist daraus geworden?

Wie die Flasche so auf dem Tisch steht, könnte man meinen, dass der Rosenberg Mineralbrunnen noch immer existiert. "Perlfrisch" steht auf dem blauen Etikett, es ist die kohlensäurehaltige Variante des Mineralwassers. Doch die Glasflasche, klassisch in der 0,7-Liter-Form, dürfte die letzte sein, die es noch gibt. Hans-Wilhelm Dietel bewahrt sie in seinem Keller auf, "aus Nostalgie". Die Flasche stammt aus der letzten Abfüllung im Dezember 1995. "Es müsste der 15. Dezember gewesen sein", erinnert sich der 81-Jährige.
Dietel ist der letzte Brauereidirektor der Heilbronner Traditionsmarke Cluss. Rosenberg Mineralbrunnen gehörte als Tochtergesellschaft zum Unternehmen dazu. Mitte der 1990er-Jahren häufen sich die Gerüchte, dass die Braustätte am Heilbronner Rosenberg, die letzte innerstädtische Brauerei der Käthchenstadt, schließen muss. Das Ende der Cluss-Produktion in Heilbronn bedeutet auch das Ende des Mineralbrunnens. Er erlebte eine kurze Geschichte.
Der Brunnen, aus dem das Mineralwasser stammt, befindet sich zunächst nicht auf dem Cluss-Gelände. 1968 steigt Cluss als Gesellschafter bei der Rosenau-Brauerei ein, ein paar Jahre später wird der Betrieb komplett übernommen. Die Untersuchung der drei Brunnen auf dem früheren Rosenau-Areal an der Innsbrucker Straße ergibt, dass sich einer davon für Mineralwasser anbietet. Kurt Rothmaier, Vorgänger von Hans-Wilhelm Dietel als Cluss-Direktor, eröffnet ein Genehmigungsverfahren - und "am 13. Mai 1977 konnte das erste Heilbronner Mineralwasser abgefüllt werden", heißt es in einem Stimme-Artikel. Der Name: Rosenberg Mineralbrunnen.
Eine Wasserleitung in der Straße
Die Flaschenabfüllung erfolgt aber immer am Cluss-Standort. "Über eine Leitung in der Straße gelangte das Wasser von der Innsbrucker, über die Berg- in die Cäcilienstraße", sagt Dietel. Paragraf 7 der Mineral- und Tafelwasserverordnung, der vorschreibt, dass natürliches Mineralwasser immer am Quellort abgefüllt werden muss, habe man dadurch nicht verletzt. "Quellort stimmt in diesem Fall insofern, als dass eine direkte Leitung von der Quelle zu Cluss gelegt wurde", berichtet Dietel.

Sechs Jahre geht das so. 1983 wird ein Brunnen auf dem Cluss-Gelände gebohrt. "Nicht weil das bisherige Wasser verunreinigt war, sondern weil der Nitratgehalt angestiegen war", sagt Dietel - wohl weil Wasser aus höheren Gesteinslagen eingedrungen war. Der neue Brunnen hat laut Dietel eine Tiefe von 140 Metern, aus 120 Metern wird das Wasser entnommen.
Neubauten auf dem Rosenau-Areal
Wie die Stadt Heilbronn mitteilt, wird das einstige Areal der Rosenau-Brauerei ab 1983 mit Wohnhäusern bebaut. Zwei Brunnen werden dabei "verschlossen". Eine Wasserentnahme aus dem dritten Brunnen, laut Dietel derjenige mit dem Anschluss an die Wasserleitung, ist aber trotz der Bebauung noch immer möglich. Theoretisch.
Der 81-Jährige erinnert sich, dass sich Cluss das Recht gesichert hatte, die Wasserleitung und den Brunnen, der sich dann im Keller eines Neubaus befand, weiterzubetreiben. "Während und nach der Bebauung ist aber nicht mehr viel Wasser heruntergepumpt worden." Schließlich existiert nun ja bereits der neue Brunnen direkt auf dem Cluss-Gelände.
1995 endet die Geschichte des Mineralwassers - es ist gleichzeitig das letzte Produktionsjahr von Cluss in Heilbronn. Ohne Bier also auch kein Sprudel? "Der Brunnen hätte sich mit den großen Abfüllkapazitäten und Räumlichkeiten überhaupt nicht wirtschaftlich betreiben lassen können", berichtet Dietel im Gespräch mit der Stimme.
An sich sind die Zeiten für Mineralwasser nicht schlecht. Neun Millionen Mineralwasserflaschen vom Rosenberg werden laut eines Stimme-Artikels aus dem Jahr 1986 jährlich verkauft. "Der Griff zum Mineralwasser oder den Diät-Säften wird immer beliebter", schreibt die Stimme, auch wenn sie einschränkt, dass sich "der Name Rosenberg Mineralquelle im Großraum Heilbronn noch nicht im gewünschten Maße durchsetzen" konnte.
Ohne Brauerei keine Mineralwasser-Produktion
Bis heute hat sich der Trend fortgesetzt, fast 150 Liter Mineralwasser trinkt jeder Deutsche pro Jahr. 1990 waren es etwa 82 Liter. Dennoch, auch wenn man noch Wachstumschancen beim Wasserverkauf sah: Mit der Schließung der Brauerei "hatte sich das Thema von selbst erledigt", sagt Dietel. "Das war allen Insidern klar."
Der neue Rosenbergbrunnen war übrigens nicht der einzige auf dem Cluss-Gelände. Hans-Wilhelm Dietel kann sich allein an fünf weitere für Brauch-, also Betriebswasser erinnern, wobei einige schon seit Jahrzehnten stillgelegt waren.
Es hätte sogar noch einen weiteren Mineralbrunnen, den Fortuna-Brunnen, geben sollen. Sozusagen die Zweitmarke vom Rosenberg. "So eine Brunnengenehmigung ist eine endlos lange Geschichte", sagt der 81-Jährige hierzu. "Am Tag, als die Stilllegung der Brauerei Cluss in der Zeitung stand, erhielt ich einen Anruf vom Regierungspräsidium. Man teilte mir mit, dass die Genehmigung für den Fortuna-Brunnen jetzt da wäre." Da hatte sich das Thema schon erledigt.
Warum die Marke Cluss von Heilbronn nach Stuttgart umsiedelte
Bernhard Schwarz ist mit den Bieren von Dinkelacker vertraut wie kaum ein Zweiter. Seit 1984 ist er - mit fünfjähriger Unterbrechung - im Unternehmen, heute als Geschäftsführer von Dinkelacker-Schwaben Bräu, Mitte der 1990er-Jahre als Regionaldirektor Nord. "Eine unheimlich spannende Zeit", sei das damals gewesen. Dinkelacker fusioniert 1996 mit Schwaben Bräu - es ist genau das Jahr, ab dem Cluss in Stuttgart produziert wird.
Dass ihr Bier nun aus Stuttgart kommt, "das haben die Heilbronner nicht verstehen können", erinnert sich Schwarz. "Für uns und die Marke Cluss war das nicht einfach." Der Hauptgrund für die Verlagerung ist derselbe, der auch für die Schließung des Mineralbrunnens gilt: die fehlende Kapazitätsauslastung. "Auslastung ist für jedes Industrieunternehmen ein entscheidender Faktor, Cluss war nicht ausgelastet", sagt Schwarz.
Regionalität ist noch kein Trumpf
Hinzu kommen die generellen Entwicklungen im Biermarkt. "Zur Zeit der Schließung haben die überregionalen Biere an Marktanteilen in Baden-Württemberg gewonnen", berichtet Schwarz. Regionalität, heute ein Trumpf, ist kein Thema. Und klar: Der Durst der Bundesbürger auf Bier nimmt schon damals ab.
Beim Bierkonsum der Heilbronner ist die Entwicklung nicht anders. Hans-Wilhelm Dietel dachte sich schon länger: "Wenn die Heilbronner das Cluss nicht trinken, ..." Dann, ja dann wird es irgendwann schwierig. "Zum Schluss haben wir in Heilbronn 65.000 Hektoliter produziert, zu Glanzzeiten waren es 170.000", sagt Dietel. "In Stuttgart war ohnehin Kapazität frei, da hat man keinerlei Investitionen in Bauten gebraucht." Der neue Produktionsort habe sich angeboten.
Cluss kommt 1982 zu Dinkelacker
Zum Mehrheitsaktionär an der Cluss AG ist Dinkelacker 1982 geworden, das Unternehmen übernimmt damals die Anteile von der Baden-Württembergischen Bank. "Wir sind ein Kreditinstitut und keine Brauer", so werden die Vorstandsmitglieder der Bank daraufhin in der Stimme zitiert.

Wie es am Rosenberg weitergeht, ist schon damals Thema. Die Produktion in Heilbronn läuft zunächst weiter, andere Abteilungen werden mit der Zeit nach Stuttgart verlagert. Am 19. September 1995 ist dann ein Stimme-Artikel so überschrieben: "Brauerei Cluss dreht den Bierhahn zu." Zum Jahresende hin ist es so weit. Das Ende der Braustätte nach fast 130-jähriger Geschichte bedeutet aber nicht das Ende der Marke.
Seitens Dinkelacker-Schwaben Bräu gibt es sogar die Überlegung, Cluss weiterhin - in kleinerem Ausmaß - in Heilbronn zu brauen - in Form einer Hausbrauerei im Hagenbucher-Gebäude, das später zur Experimenta wird. Die Idee scheitert. "Schade", findet das Schwarz. Ebenso wie den Umstand, dass Palmbräu 2002 Bierlieferant für das Unterländer Volksfest wird - und nicht mehr Cluss, wie Jahrzehnte lang zuvor.
Spezielle Biere liegen im Trend
Heute sieht Schwarz für die Marke eine gute Rolle innerhalb des Unternehmens. "Es ist wichtig, einen Regionalmarkt mit einer eigenständigen Marke bedienen zu können", sagt der Brauerei-Geschäftsführer. 2016 hat Dinkelacker-Schwaben Bräu 20.000 Hektoliter Cluss abgefüllt - das ist mehr als im Vorjahr und mengenmäßig vergleichbar mit einer kleineren bis mittleren Regionalbrauerei.
"Vor allem das Kellerpils wächst, besonders in der Gastronomie", berichtet Schwarz. Erfinder dieses Bieres ist übrigens Hans-Wilhelm Dietel. "Naturtrübe Biere befinden sich derzeit in der Gunst der Verbraucher", erklärt Schwarz. Klassische Pils- oder Exportsorten haben es schwerer.

Ein weiterer Trend trifft laut Schwarz auch für sein Haus und Cluss zu. "Die Menschen wollen wissen, wo ihre Produkte herkommen." Und: "Die aktuelle Craftbierwelle hilft, dass Regionalität und handwerkliche Braukunst wertgeschätzt werden." Da passt es gut, dass Dinkelacker inzwischen wieder ein Familienunternehmen ist. Knapp zwei Jahre gehört die Brauerei zum Großkonzern InBev, 2007 erfolgt der Rückkauf.
Auf dem Brauerei-Gelände entstehen die Neckarterrassen
Wo sich einst die Brauerei Cluss befand, stehen heute die Wohngebäude der Neckarterrassen. Lediglich die Direktorenvilla von einst ist noch erhalten. Das Immobilienprojekt ist von der Stadtsiedlung, der Immobiliengesellschaft der BW-Bank und der Cluss-Wulle AG realisiert worden - Hans-Wilhelm Dietel ist damals als Vorsitzender der Cluss-Nachfolgegesellschaft mit dabei: "Mein Wunsch war, dass etwas Gescheites entsteht. Etwas, das dem Grundstück gerecht wird." Blickt man auf die bunten Bauten der Anlage, darf man das - bei aller Wehmut über die Heilbronner Brauereien-Diaspora - als gelungen ansehen.

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