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Rückblick auf Katastrophe
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Dachstein-Unglück jährt sich: Als 1954 eine Heilbronner Schulklasse ums Leben kam

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Vor 70 Jahren kamen im Schneesturm am Dachstein in den österreichischen Alpen zehn Schüler und drei Lehrer aus Heilbronn ums Leben. Warum nur? Die Chronologie einer Tragödie.

Eines der letzten Bilder der verhängnisvollen Bergtour. Es stammt aus der Kamera von Dieter Steck, die neben dem toten 16-jährigen Schüler gefunden wurde.
Foto: Archiv
Eines der letzten Bilder der verhängnisvollen Bergtour. Es stammt aus der Kamera von Dieter Steck, die neben dem toten 16-jährigen Schüler gefunden wurde. Foto: Archiv  Foto: privat

Drei Ereignisse haben sich tief ins kollektive Bewusstsein der Heilbronner eingegraben und sie jedes auf seine Art enger zusammenrücken lassen: im Schrecken, im Protest, in der Trauer: die Zerstörung der Stadt am 4. Dezember 1944, der Pershing-Unfall vom 11. Januar 1985 und das Dachstein-Unglück an Ostern 1954, also vor 70 Jahren. Zehn Schüler und drei Lehrer der Knabenmittelschule, der heutigen Dammrealschule, kommen damals bei einer Wanderung am Dachsteinmassiv im Schneesturm ums Leben.

Das Unglück erschüttert die Menschen weit über Heilbronn und Oberösterreich hinaus. Zeitungen und Rundfunkanstalten aus aller Welt berichten damals ausführlich. Trauerfeiern scheinen kein Ende zu nehmen. Aufsätze, aber auch Bücher und Filme dokumentieren das Unfassbare bis heute. In einem Band des Stadtarchivs Heilbronn findet sich eine Chronologie der Ereignisse. Wir geben sie gekürzt und überarbeitet wieder.


Die Chronologie der Dachstein-Katastrophe, die das Leben einer Heilbronner Schulklasse forderte

Gründonnerstag, 15. April 1954: Die Schülergruppe unter Leitung von Lehrer Hans Georg Seiler bricht um 6 Uhr früh auf. Das Wetter ist gut. Seiler will die Route in umgekehrter Richtung gehen wie zunächst besprochen. Er wandert zuerst zur Schönbergalm. Dort werden die Heilbronner mit Tee bewirtet. Inzwischen hat das Wetter umgeschlagen, Lehrer Seiler wird davor gewarnt, weiterzuwandern. Die Gruppe setzt aber ihren Weg fort. Nach etwa einer Stunde begegnen die Heilbronner einem Bautrupp der Dachstein -Seilbahn. Auch diese Männer warnen vor dem Weitergehen. Was danach geschieht, kann man nur erahnen. Ein orkanartiger Schneesturm nimmt jede Sicht und Orientierung. Wahrscheinlich hat die folgende Nacht niemand der 13 überlebt. Weil die Gruppe am Abend nicht nach Obertraun zurückkehrt, wird sofort eine erste Suchaktion gestartet. Sie bleibt erfolglos.

Karfreitag, 16. April: Am frühen Morgen wird die Suche wieder aufgenommen. Das Oberösterreichische Landesgendarmeriekommando und die Bergrettung unternehmen alles, was in ihrer Macht steht, um die Gruppe zu finden.

Karsamstag, 17. April: Die Nachricht, dass 13 Menschen aus Heilbronn vermisst sind, dringt nach und nach an die Öffentlichkeit. Während die Suche weitergeht, organisiert die Heilbronner Stadtverwaltung eine Fahrt nach Obertraun.

Ostersonntag, 18. April: In Obertraun machen sich der Oberösterreichische Landeshauptmann Dr. Heinrich Gleißner und andere Persönlichkeiten ein Bild von der Lage. Am Abend trifft eine Heilbronner Gruppe mit Oberbürgermeister Paul Meyle ein.

Ostermontag, 19. April: Zum ersten Mal seit vier Tagen legt sich der orkanartige Sturm, plötzlich herrscht Sonnenschein. Aber die Vermissten werden immer noch nicht gefunden. Nun besteht keine Hoffnung mehr, dass sie noch leben.

20. April: Inzwischen sind 170 Suchkräfte im Einsatz. Sie sondieren im Schnee. Auch Lawinensuchhunde sind in Aktion. Als erster greifbarer Hinweis auf die Vermissten wird südlich des Niederen Speikbergs ein Biwakplatz mit vielen Gegenständen entdeckt und aus dem Schnee ausgegraben. Für viele Medienvertreter wirken diese Funde elektrisierend. Es entbrennt ein Kampf um eine von nur zwei Telefonleitungen.

23. April: Die überlebenden Heilbronner reisen nach Hause zurück.

24. April: Für das Wochenende ist eine Suchaktion mit 400 Beteiligten angesagt. Am Vormittag werden das Lehrerpaar Hans-Werner Rupp und Christa Vollmer sowie der Schüler Wilfred Dengier gefunden. Nachmittags stößt man auf Herbert Kurz, Peter Mössner, Roland Rauschmaier, Karl Heinz Rienecker, Kurt Seitz und Dieter Steck. Die Toten werden in die Sportschule Obertraun gebracht.

25. April: In Heilbronn treffen immer mehr Beileidsbekundungen ein: Telegramme, Briefe, kleine Päckchen. Währenddessen reist wieder eine Gruppe unter Leitung von Oberbürgermeister Paul Meyle nach Obertraun.

26. April: Die Opfer sind in offenen Särgen in der Turnhalle der Bundessportschule Obertraun aufgebahrt. Die Angehörigen nehmen Abschied. Der Landtag von Baden-Württemberg gedenkt der Dachsteinopfer und würdigt die große österreichische Hilfsbereitschaft.

27. April: In einer Trauerfeier nimmt Obertraun Abschied von den Verunglückten. Die Toten werden anschließend nach Heilbronn überführt. An diesem Tag beginnt der Unterricht nach den Osterferien wieder. Kultusminister Wilhelm Simpfendörfer hat in allen Schulen eine Gedenkminute und Halbmast angeordnet.

28. April: Bundespräsident Heuss und Bundeskanzler Adenauer danken Österreich für die Hilfsmaßnahmen. Die Suchtrupps finden den toten Schüler Klaus Strobel. Er wird noch in der Nacht zum 29. April nach Heilbronn überführt.

29. April: In Heilbronn findet unter großer Anteilnahme eine Trauerfeier und die Beisetzung der Toten im Hauptfriedhof statt. Währenddessen wird im Unglücksgebiet die Suche fortgesetzt. Zahlreiche Beileidsbekundungen treffen ein. Viele schicken Geld- oder Sachspenden.

30. April: Christa Vollmer und Hans-Werner Rupp werden in Pfullingen beigesetzt.

30. April und die folgenden Tage: Im Dachsteingebiet wird die Personalstärke der Suchtrupps reduziert. Der Schnee schmilzt. Es werden weitere Gegenstände gefunden.

8. Mai: Die Familien der Verunglückten veröffentlichen in der Stimme eine Danksagung.

9. Mai: Die Gendarmerie-Bergführer errichten in der Nähe des Biwakplatzes ein Holzkreuz.

16. Mai: Die Suchmannschaften stoßen auf die Leiche des Schülers Peter Lehnen.

17. Mai: Im Suchgebiet werden unter anderem ein Fotoapparat und eine Heilbronner Stimme vom 8. April 1954 gefunden.

18. Mai: Trauerfeier in Obertraun für den Heilbronner Schüler Peter Lehnen.

21. Mai: Peter Lehnen wird im Dachstein-Grab auf dem Hauptfriedhof Heilbronn beigesetzt.

28. Mai: Suchmannschaften entdecken die zwei letzten Vermissten, den Schüler Rolf Mössner und Lehrer Hans Georg Seiler. Eine der größten Berg-Suchaktionen in den Alpen ist zu Ende.

 

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