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Beim Erdbeben in der Türkei sterben Vater und Mutter

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Vier Söhne der Familie Isikli leben in Sontheim. Sie fliegen ins Katastrophengebiet und beerdigen ihre Eltern. Die Hilfsbereitschaft der freiwilligen Helfer beeindruckt sie.

 Foto: Isikli, Cüney-Can

Noch immer sind sie fassungslos. Sie wissen zwar, dass ihre Eltern beim Erdbeben in der Türkei ums Leben gekommen sind. Wirklich wahrhaben können sie es nicht. Zur persönlichen Trauer kommt die Tragik der Erdbebenkatastrophe. Das unermessliche Leid, das über abertausende von Familien hereingebrochen ist.


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Hakan Isikli ist der älteste von vier Brüdern. Er lebt mit seiner Familie in Heilbronn-Sontheim. Am 6. Februar morgens um 3 Uhr klingelt plötzlich sein Mobiltelefon. Ein Bekannter ruft an. In der Türkei habe es ein Erdbeben gegeben. Die Region Hatay, in der seine Eltern leben, sei betroffen. Isikli versucht, seine Eltern telefonisch zu erreichen. Niemand nimmt ab. Er erreicht seinen Cousin, der ihm vom Erdbeben erzählt und erhält zwei Stunden später die traurige Gewissheit: "Das Haus unserer Eltern in Iskenderun ist einfach nicht mehr da. Es ist in sich zusammengefallen", sagt der 49-Jährige. Vater (74) und Mutter (68) sind tot.

Die vier Brüder möchten zu ihren toten Eltern. Sie organisieren, sie telefonieren. Der Flughafen in ihrer Heimatstadt ist zerstört, erfahren sie. Also fliegen sie noch am selben Tag nach Istanbul. Von dort möchten sie nach Adana weiterfliegen. Doch kein Platz mehr ist frei. Am Flughafen in Istanbul sind bereits unzählige Menschen. Sie alle wollen zu ihren Familien in die Erdbebengebiete. Zusätzliche Flüge werden organisiert. Und die Brüder Isikli treffen schon wenige Stunden nach der Katastrophe auf Hilfstrupps aus Serbien und aus Taiwan, die mit ihnen acht Stunden später doch noch nach Adana fliegen. "Als die ins Flugzeug eingestiegen sind, haben die Menschen vor Freude geklatscht", sagt der 47-jährige Okan Isikli.

Verschüttete Straßen, eingestürzte Häuser

Das enorme Ausmaß der Katastrophe wird der Familie bewusst, als sie in der Stadt ankommen. Verschüttete Straßen, eingestürzte Häuser. "Wir konnten es uns nicht vorstellen." Wasser, Gas und Strom gibt es nicht mehr. Und doch immer wieder diese Lichtblicke. Bäcker, die ihre Brote in einem Holzofen backen und nicht auf die Stromversorgung angewiesen sind, versorgen die Menschen.

Hakan, Volkan, Okan, Oguzhan Isikli (von links) haben dort ihre Eltern verloren, Cüneryt-Can Isikli seine Großeltern. Sie alle leben in Sontheim.
Hakan, Volkan, Okan, Oguzhan Isikli (von links) haben dort ihre Eltern verloren, Cüneryt-Can Isikli seine Großeltern. Sie alle leben in Sontheim.  Foto: Kümmerle, Jürgen

Die Isiklis sprechen vom Glück im Unglück. Ihre Cousins haben ihre Eltern bereits geborgen. Sie haben deren Pässe in den Trümmern gefunden. "Somit konnten wir bei der türkischen Staatsanwaltschaft beglaubigen, dass es unsere Eltern sind", sagt Hakan Isikli. Und sie wissen, wo genau in der Notfallstation des Krankenhauses die Leichen ihrer Eltern liegen. "Hätten wir das nicht gewusst, hätten wir von Leichnam zu Leichnam gehen und unter die Leintücher schauen müssen", sagt Oguzhan Isikli (40).

Sie bereiten die Trauerfeier vor. Da die Bestattungsinstitute dafür eingesetzt werden, die Leichen aus den Häusern in die Krankenhäuser zu transportieren, fahren die Isiklis selbst ihre Eltern zwei Tage nach deren Tod zum Friedhof. Eine ausgiebige Trauerfeier findet nicht statt. "Es sind Hunderte Leute da, die ihre Angehörigen begraben wollen."


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Suche nach Überlebenden

Trotz des Verlustes ihrer Eltern sind die Isiklis dankbar für die Hilfe vor Ort. Freiwillige aus allen Ländern hätten nach Überlebenden gesucht. "Keine 24 Stunden nach dem Erdbeben. Ich habe eine Gänsehaut bekommen. Man sieht, dass ein Mitgefühl der Menschen da ist", sagt Hakan Isikli. Und sie sehen Unmenschliches. Plünderer, die in den Trümmern nach Wertgegenständen suchen.

Die verheerenden Auswirkungen vor Ort macht es ihnen unmöglich zu trauern. Immer wieder sagen sie, dass sie vor Ort funktioniert haben. Das Verhältnis zu den Eltern sei ein gutes gewesen. Jeder der Brüder habe täglich mit ihnen telefoniert. "Wenn sie mich mal nicht erreicht haben, haben sie meinen Bruder angerufen und gefragt, wo ich bin", sagt Volkan Isikli (35).

Eisige Temperaturen

Die Stadt Iskenderun liegt in der türkischen Mittelmeerregion. Zwei Wochen vor dem Erdbeben habe es dort tagsüber bis zu 18 Grad gehabt, erklärt Hakan Isikli. Durch ungewöhnlich kalte Temperaturen unter dem Gefrierpunkt seien die Arbeiten in der Erdbebenregion erschwert gewesen. Betroffenen sei verboten worden, zurück in die Häuser zu gehen, da nicht klar gewesen sei, ob Nachbeben weitere Häuser zerstören. Viele Menschen hätten die Nächte in Autos verbracht und immer wieder den Motor gestartet, um den Innenraum aufzuheizen. 

 
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