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Professor zu sinkendem Niveau: "Brauchen eine Rückkehr zu einer Kultur der Exzellenz"

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Javier Villalba-Diez von der Hochschule Heilbronn bedauert, dass das Leistungsniveau sinkt. Kunde einer Hochschule ist seiner Ansicht nach nicht der Student, sondern es sind die Steuerzahler. Das steckt dahinter.

Javier Villalba-Diez ist Professor an der Hochschule Heilbronn.
Javier Villalba-Diez ist Professor an der Hochschule Heilbronn.  Foto: privat

Javier Villalba-Diez sorgt sich um das Niveau an der Hochschule. Der Professor betont: "Unsere Absolventen müssen international bestehen, in einem globalen Wettbewerb mit China, Korea und den USA."

Das Semester hat begonnen, wie zufrieden sind Sie mit den Studenten?

Javier Villalba-Diez: Die Studierenden sind sehr gemischt. Sie kommen mit vielen Fragen und unterschiedlichen Hintergründen zu uns. Einige wirken ängstlich, andere freuen sich auf den Start. Diese Heterogenität – manche kommen nach dem Abitur, andere haben Real- oder Hauptschule gemacht – stellt uns als Lehrende vor eine große Herausforderung.

Worin liegt die Herausforderung?

Villalba-Diez: Das Niveau der Studierenden hat in den letzten zehn bis 15 Jahren stark nachgelassen. Dabei geht es nicht nur um Wissen, sondern um grundlegende Fähigkeiten wie Leseverständnis, Mathematik und schriftlichen Ausdruck. Es wird immer schwieriger, den steigenden Anforderungen der Gesellschaft und des Arbeitsmarkts gerecht zu werden, wenn gleichzeitig die Voraussetzungen der Studierenden sinken. Wir als Lehrende stehen auf einem schmalen Grat: Wir müssen die Studierenden durch das Studium führen, ohne das Niveau zu stark zu senken.

Machen Sie das?

Villalba-Diez: Es ist schwierig. Der wahre "Kunde" ist nicht der Studierende, sondern es sind die Steuerzahler, also Unternehmen und Arbeitnehmer. Diese erwarten, dass wir qualifizierte Arbeitskräfte hervorbringen. Wenn wir die Anforderungen zu stark senken, haben die Unternehmen am Ende das Nachsehen und müssen viel Geld in die Weiterbildung der Absolventen investieren. Aber, und hier liegt das Problem: Hochschulen bekommen mehr Mittel, je mehr Studierende sie durchbringen. Also wird der Druck, Abbrecherquoten niedrig zu halten, immer größer. Das führt dazu, dass Professoren, die nicht bereit sind, das Niveau zu senken, in andere Bereiche verschoben werden – ein klassischer Fall von Goodhart’s Law. Sobald die Durchfallquote selbst zum Ziel wird, verliert sie ihren eigentlichen Zweck als Qualitätsindikator.

Was bedeutet das für Sie?

Villalba-Diez: Es entsteht ein Dilemma. In Studiengängen mit genügend Einschreibungen kann das Niveau noch halbwegs gehalten werden. Dort, wo die Zahlen sinken, wächst der Druck, die Anforderungen zu senken. Tatsächlich brauchen wir eine institutionelle Diskussion darüber, wie wir mit diesen Herausforderungen umgehen können, denn es geht nicht nur um die Quantität, sondern um die Qualität.

Was sollte sich ändern?

Villalba-Diez: Wir brauchen eine Rückkehr zu einer Kultur der Exzellenz. Nicht alle Studierenden haben dasselbe Niveau, und es ist auch nicht notwendig, dass alle einen Abschluss erhalten. Wir müssen das System von der reinen Anzahl der Studierenden abkoppeln. Jeder, der in einer Fabrik gearbeitet hat, weiß, dass Qualität wichtiger ist als Stückzahl. Zuerst muss die Qualität stimmen, dann kann die Menge kommen. Grundlegende Fähigkeiten wie Ausdrucksweise, Mathematik, Problemlösung und kritisches Denken müssen wieder gestärkt werden. Unsere Konkurrenz ist nicht regional – unsere Absolventen müssen international bestehen, in einem globalen Wettbewerb mit China, Korea und den USA.

Zur Person

Javier Villalba-Diez ist als Professor an der Fakultät Wirtschaft der Hochschule Heilbronn tätig. Zu seinen Forschungsbereichen gehört unter anderem Künstliche Intelligenz.


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Kommentare

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Jürgen Mosthaf am 05.10.2024 08:52 Uhr

Wenn über Jahrzehnte jungen Menschen eingeflüstert wird, dass nur derjenige etwas im Leben erreicht hat, der ein Studium vorweisen kann bekommt eben Masse statt Klasse. Uns brechen in den klassischen Ausbildungsberufen die jungen Leute weg die dort besser aufgehoben wären als in einem Hörsaal. Im Handwerk und Dienstleistung gehen in den nächsten Jahre die Boomer in den Ruhestand. Mit ihnen geht unwiederbringlich wertvolles Fachwissen und Erfahrung verloren das nicht mehr weitergegeben werden kann. Die KI wird uns keine Wasser-, und Elektroleitungen verlegen können. Wer soll denn das alles Umsetzen was die Politik beschlossen hat? Kinderbetreuung, Pflege, Wärmepumpen, Ausbau der Stromnetze, Wohnungsbau, Klimaschutz, nachhaltige Landwirtschaft, Tierwohl und und und… Akademiker bestimmt nicht. Es wird der Tag kommen an dem derjenige mit einem Studium in der Tasche mehr für einen Handwerker bezahlen muss, als er selbst verdient. Wir haben heute schon Stundensätze von weit über 100 €.

Jürgen Mosthaf

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Javier Villalba-Diez am 12.10.2024 19:37 Uhr

Vielen Dank, Jürgen, für Ihren wertvollen Beitrag. Sie sprechen einen entscheidenden Punkt an: das Ungleichgewicht zwischen akademischer und beruflicher Bildung. Es ist in der Tat bedenklich, dass der Erfolg oft nur über einen Hochschulabschluss definiert wird, was die Bedeutung von Handwerks- und Dienstleistungsberufen schmälert – Berufe, die für viele unserer Zukunftsaufgaben unverzichtbar sind, wie etwa im Bauwesen, in der Pflege oder im Bereich der erneuerbaren Energien.

Ihr Hinweis auf das „Masse statt Klasse“-Phänomen und den bevorstehenden Ruhestand der "Boomer"-Generation im Handwerk ist äußerst relevant. Die Wissenslücke, die dadurch entsteht, wird eine große Herausforderung darstellen. Allerdings müssen wir auch berücksichtigen, dass die Zukunft immer mehr von Automatisierung und Künstlicher Intelligenz geprägt sein wird. Roboter und intelligente Systeme werden in vielen Bereichen die Arbeitsabläufe übernehmen, von der Fertigung bis hin zu Dienstleistungen. Was wir daher benötigen, sind nicht nur handwerkliche Fähigkeiten, sondern auch Menschen, die in der Lage sind, diese neuen Technologien zu verstehen, mit ihnen zu arbeiten und sie zu steuern.

Die Herausforderung der kommenden Jahre wird darin bestehen, eine Balance zu finden. Ja, wir brauchen weiterhin hochqualifizierte Handwerker, die unsere Infrastruktur instand halten und ausbauen. Gleichzeitig brauchen wir aber auch eine neue Generation von Fachkräften, die in der Lage sind, eine zunehmend automatisierte und digitalisierte Arbeitswelt zu gestalten. Akademische Bildung und berufliche Ausbildung müssen sich also ergänzen – und beide müssen darauf abzielen, Menschen für die Zusammenarbeit mit Technologien wie Künstlicher Intelligenz zu befähigen.

Die Zukunft wird denjenigen gehören, die nicht nur handwerkliche oder akademische Fähigkeiten haben, sondern die auch die Fähigkeit besitzen, diese neuen, komplexen technologischen Systeme zu nutzen und zu lenken. Daher ist es nicht nur notwendig, dass wir über das sinkende Niveau der Hochschulbildung sprechen, sondern auch, dass wir sicherstellen, dass sowohl akademische als auch berufliche Ausbildungen darauf ausgerichtet sind, die Menschen auf die Zusammenarbeit mit dieser "robotischen" Arbeitskraft vorzubereiten.

Letztlich geht es also um ein Gleichgewicht: Wir brauchen sowohl gut ausgebildete Akademiker als auch Handwerker, die im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz erfolgreich arbeiten können. Nur so können wir die Herausforderungen der Zukunft meistern.

Es grüßt Sie herzlich aus der Hochschule H4. https://www.profh4.com

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