Otto Kirchheimer gilt für Oberbürgermeister Harry Mergel als einer der „großen Söhne unserer Stadt“. 1905 kam er in Heilbronn zur Welt. Er studierte Rechts- und Staatswissenschaften, emigrierte als Jude und demokratischer Sozialist im Jahr 1933 nach Frankreich, erinnerte Harry Mergel in seine Rede zur Preisverleihung. 1937 wanderte er in die USA aus, lehrte unter anderem als Professor für Politische Wissenschaften an der Columbia University in New York. Vor 60 Jahren starb er, 1966 wurde er in Heilbronn beigesetzt. „Otto Kirchheimer hat in seinen Werken die Entwicklung von Volksparteien zu Allerweltsparteien scharfsinnig voreweggenommen“, sagte Harry Mergel. „Er hat die Mechanismen politischer Justiz aufgezeigt und den Begriff des Überwachungsstaates formuliert.“
„Pessimismus als Geschäftsmodell der Anti-Pluralisten“: Politikwissenschaftlerin zur Situation der Demokratie
Für herausragenden Verdienste im Bereich der Parteien- und Demokratieforschung bekommt Ursula Münch den Otto-Kirchheimer-preis. Die Direktorin der Akademie für Politische Bildung im bayrischen Tutzing hält eine mahnende Rede.

Gudrun Hotz-Friese und Harald Friese erinnern mit einem Preis an den 1905 in Heilbronn geborenen und in Heilbronn beigesetzten Parteienforscher und Staatsrechtslehrer Otto Kirchheimer. In diesem Jahr geht die Auszeichnung an Ursula Münch, die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. In ihrer Rede und einer Diskussion analysiert sie scharf die aktuelle Situation der Demokratie, spricht über das „Streben nach Populismus“.
Als einen „Teufelskreis“ beschreibt Ursula Münch die Situation, wenn es um die Unzufriedenheit von Wählern mit der Bundesregierung geht. Vielleicht agiere die Koalition in Berlin nicht gut, sagt sie im Ratssaal des Heilbronner Rathauses. Die Regierung habe allerdings auch eine kleine Mehrheit. Mit einer solchen tue man sich schwer, „Reformen voranzutreiben“. Mit einer Großen sei es leichter, sagt sie.
„Individualisierten Selbstdarstellung“: Deutliche Analyse des Politikbetriebs durch Politikwissenschaftlerin Ursula Münch
Hinzu kommen ihrer Ansicht nach Individualisierungstendenzen der Abgeordneten. Jeder Parlamentarier sei dank sozialer Medien sein eigener Sprecher, von einer „individualisierten Selbstdarstellung“ spricht sie. Zugleich nimmt die Politikwissenschaftlerin die Wähler in die Verantwortung: Die hätten zwar klare Erwartungen, „wählen gleichzeitig aber merkwürdige Parteien“.
Pessimismus bezeichnet Ursula Münch als „Geschäftsmodell der Anti-Pluralisten“, zugleich ist sie besorgt wegen der zunehmenden Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Außerdem analysiert sie „völkisch-ausgerichtete Parteien“, ohne einen Namen zu nennen. „Sie identifizieren treffsicher alles“, sagt sie, „was als Beleg dafür gelten kann, dass die Parteien der Mitte oder links der politischen Mitte angeblich falsch machen.“ In einer späteren Diskussion geht es um die AfD, für sie nicht nur ein Problem von CDU und CSU, sondern ein „massives“ der SPD.
Aspekte von Demokratie: Setzt intellektuelle Fähigkeit voraus, Verlierer nicht zu demütigen
Die Wissenschaftlerin geht in ihrer Rede unter anderem auf Details von Demokratien ein. Diese setze nicht nur die Bereitschaft voraus, eine Wahlniederlage zu akzeptieren, so die Direktorin der Akademie, „sondern auch sowohl die moralische als auch die intellektuelle Fähigkeit“, weder die Verlierer zu demütigen noch ihre Anhängerschaft zu ignorieren. Idee sei, eine Herrschaft auf Zeit und dass die Mehrheit „nicht der aktuellen Minderheit ihre Reche nimmt“, betont Ursula Münch.
Die baden-württembergische Kultusministerin Theresa Schopper hält die Laudatio auf die Preisträgerin, allerdings aufgrund eines Termins im Landtag nur per aufgezeichneter Video-Botschaft. Ursula Münch schaffe durch ihre Arbeit „Transparenz und Verständnis“. Auch Theresa Schopper geht auf Gefahren ein. „Einfache Wahrheiten haben Konjunktur“, betont sie. Der gemeinsame Austausch, Kompromisse seien aber die Basis von Demokratien.
Als „eine wichtige Stimme im öffentlichen Diskurs um den Zustand der Demokratie“ beschreibt Oberbürgermeister Harry Mergel die Preisträgerin. „Ihre Schwerpunkte reichen von der Parteienforschung und Politikfeldanalyse von der Asyl- und Einwanderungspolitik, der Inneren Sicherheit bis zu den Auswirkungen der Digitalen Transformation auf Politik und Gesellschaft“, so Harry Mergel. „Sie beschäftigt sich mit alldem, was unsere Demokratie tagtäglich herausfordert.“

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