Neues Gedenkkonzept für ehemaliges KZ in Neckargartach
Vor 80 Jahren wurde das KZ Neckargartach aufgelöst. Bei der offiziellen Gedenkfeier wurden am Jahrestag erste Elemente einer ganz neuen Form der Erinnerung vorgestellt.

Genau 80 Jahre nach der Auflösung des Konzentrationslagers (KZ) erinnerten auf dem kleinen Friedhof oberhalb des alten Neckargartacher VfL-Sportplatzes am 1. April rund 100 Menschen an die Opfer, die dort in den letzten sieben Monaten des Zweiten Weltkriegs eingesperrt, geschunden, ermordet und in Massengräbern verscharrt wurden. Die genaue Zahl ist schwer zu beziffern.
OB: „Wachsam bleiben gegenüber Ausgrenzung, Hass, Intoleranz“
Oberbürgermeister Harry Mergel verband das Erinnern mit einer „eindringlichen Warnung, wachsam zu bleiben gegenüber Ausgrenzung, Hass, Intoleranz“. Der Holocaust und die Verbrechen des NS-Regimes seien heute schwer zu fassen. Aber an Orten wie diesem werde „das Abstrakte konkret und spürbar als Teil unserer persönlichen und der Heilbronner Geschichte“. Von Baracken, Stacheldraht, Leichenhaus und Wachtürmen des KZs sei zwar nichts mehr zu sehen. „Doch das Erinnern darf nicht verschwinden“, betonte der OB.

Neues Gedenkkonzept mit großen Stahlwänden an drei Standorten
Deshalb greife hier bald ein neues Gedenkkonzept, dessen erste von drei Stationen – neben einem frisch gepflanzten, besonders robusten Elsbeerbaum – bereits teilweise steht: eine zehn Meter lange und 2,50 Meter hohe Wand aus Cortenstahl, in die Info-Texte, Zitate und ein Lageplan eingebrannt sind, aber auch ein Fenster den Blick aufs freie Feld ermöglicht: „Im Glauben daran, dass die Menschheit eine bessere werde“, wie der federführende Grünflächenamtsleiter Oliver Toellner mit Blick auf ein Zitat sagte. Neben einer Stele mit Modell sollen ähnliche Wände schon bald auch am Treppenaufgang zum Friedhof an der Böllinger Straße sowie am Standort des einstigen KZs an der Mosbacher Straße installiert werden.

Während Kaiya Yang, Marie Schilling und Iva Obadovic von der Musikschule die Gedenkstunde mit Borodins Trio in g-Moll begleiteten, betonte Bernhard Löffler: „Wir müssen aufklären, über das, was geschehen ist und aufzeigen, wie wichtig der Kampf um Freiheit und Demokratie, gegen jeglichen Rechtspopulismus ist.“ Im Namen der privaten Gedenkstätten-Initiative sprach er Dankesworte in viele Richtungen: vor allem in Richtung Rathaus, das die Gedenkstätten-Idee schon anderthalb Jahre nach dem ersten Impuls umgesetzt habe und an Dr. Heinz Risel, der die KZ-Historie schon 1987 in einem Buch aufgearbeitet hat, das jetzt in Kooperation mit dem Stadtarchiv aktualisiert und neu aufgelegt wurde.
Zwangsarbeit unter katastrophalen Lebens- und Arbeitsbedingungen
Auf Risels Recherchen stützte sich in ihrem historischen Abriss auch Miriam Eberlein. Wie die neue Leiterin des Stadtarchivs ausführte, gehörte das Neckargartacher KZ wie das in Kochendorf und in Neckarelz zu den sogenannten Neckarlagern, in die Zwangsarbeiter aus Natzweiler/Elsass vor den heranrückenden alliierten Truppen verlegt worden waren. Im Winter 1944/45 hausten hier bis zu 1100 Häftlinge, die in den Salzbergwerken Kochendorf und Heilbronn für die Rüstungsindustrie und im Stollenbau arbeiten mussten. Nach der Bombardierung Heilbronns 1944 wurden sie auch bei der Bergung und Beerdigung von Opfern sowie beim Beseitigen von Trümmern eingesetzt. Die Zwangsarbeit geschah laut Eberlein unter katastrophalen Lebens- und Arbeitsbedingungen, viele Häftlinge starben jämmerlich.
Familie eines Opfers aus Italien suchte lange vergebens – und fand das Grab in Neckargartach
In der ersten Aprilwoche 1945 räumte die SS wegen der von Westen nahenden Alliierten das Lager. Die Insassen wurden teils zu Fuß, teils in Güterwaggons ins KZ Dachau gebracht. Nach der Befreiung fanden Neckargartacher Bürger oberhalb der Böllinger Straße weit über 200 Tote, bestatteten sie und errichteten – aus Steinen der von Nazis gesprengten Neckargartacher Brücke – das Mahnmal. Im Sockel ist von 246 Opfern die Rede. Eines hob Miriam Eberlein besonders hervor: Ferruccio Sutil, dessen italienische Familie erst 1962 dessen Tod bestätigt bekam, lange vergeblich nach seinem Grab suchte – und erst über die Ankündigung zur Gedenkfeier 2024 im Internet fündig geworden sei.
Kommentare öffnen


Stimme.de
Kommentare