Lauter junge Mutmacher bei der Traubenlese in Heilbronn
Im Heilbronner Weingut Albrecht-Kiessling haben bei der Trollinger-Traubenlese Jungwinzer die Oberhand. Ein Lehrling aus Nepal steigt sogar vom Himalaya in den Weinberg um.
Fast überall in Württemberg kommt die Traubenlese auf Touren. Zum Beispiel beim Heilbronner Weingut Albrecht-Kiessling, wo zwischen den Rebzeilen ein auffallend buntes und junges Leseteam unterwegs ist, das trotz der Schieflage im Weinbau fest an die Zukunft des Wengerterstandes glaubt: lauter Jungwinzer, lauter echte Mutmacher.
Pema Sherpa stammt aus Nepal, aus einem 60 Seelen zählenden Dorf in der Himalaya-Region Solukhumbu. Doch heute blickt er nicht auf den Mount Everest, sondern auf den keine 300 Meter hohen Ochsenberg im Heilbronner Süden. Der 19-jährige Winzer-Lehrling ist dort in einer 38 Jahre alten und 50 Ar großen Trollinger-Lemberger-Anlage zugange – und hat mit Anspielungen auf seinen Nachnamen zu leben gelernt. Sherpa, so erklärt er lächelnd, stehe für sein Volk, aber auch für Lastenträger – wobei die Lasten, die er heute zu tragen hat, also Eimer voller Trollinger, leicht zu schultern sind. „Trollinger-Trauben schmecken super.“ Aber als Wein bevorzuge er Weißburgunder. Über ein Entwicklungshilfeprogramm habe er sich für den Beruf des Winzers entschieden, „weil ich etwas Neues machen wollte“. In seiner Heimat trinke man kaum Wein, eher Maisbier, Hirsebier – oder eben Wasser.
„Es wird immer Leute geben, die Wein trinken“
Dort, wo Azubi Lina Ehlert aufgewachsen ist, bevorzugt man Pils: Essen im Ruhrpott. „Nach einer Ausbildung in der Industrie wollte ich was Handwerkliches machen. Außerdem liebe ich es, in der Natur zu sein“, erklärt die 22-Jährige. So habe sie online und über ein Schnupperpraktikum zu Familie Albrecht gefunden, wo sie auch die Arbeit in Keller und Verkauf zu schätzen gelernt habe. Nach der Lehre will sie in Weinsberg ihren Weinbautechniker draufsatteln und später sogar ihr eigenes Weingut gründen. Der Grundstein sei fast schon gelegt: „Mein Freund stammt aus Bietigheim und sein Bruder hat Weinberge.“ Um die Zukunft der Branche ist ihr nicht bange. „Es wird immer Leute geben, die Wein trinken.“
Ähnlich sieht es Lara Schönleber, die im familieneigenen Winzerhof mit Häckerstube in Ipsheim/Franken aufgewachsen ist und dort vor einem Jahr sogar zur Weinkönigin avancierte. Mit Blick auf die Winzerkrise meint sie: „Man darf nicht alles schlecht reden“. Mit guter Qualität und richtiger Vermarktung lasse sich „schon was machen“. Im Übrigen auch beim Trollinger, den sie gar nicht gekannt hat, den sie aber sehr schätze.
Aus der Starkbier-Hochburg Kulmbach in die Weinmetropole Heilbronn
Die frisch gebackene Winzer-Gesellin Lilli Hahnel (20) stammt aus der Starkbier-Hochburg Kulmbach und schwört auf Chardonnay: nicht nur bei der Lese, sondern auch beim Verkosten. „Ich freue mich schon aufs Weindorf“ – aber auch aufs Studium der Getränketechnologie in Weihenstephan, wo sie sich über den Weinbau hinaus „einen größeren Überblick verschaffen“ will. Zwischen den Rebzeilen groß geworden ist auch Maurice Kirschenlohr aus Heilbronn-Sontheim, dessen Familie auf 15 Hektar Reben kultiviert. „Heute Nacht um zwölf Uhr haben wir mit dem Vollernter Weißburgunder geerntet“, berichtet der 23-Jährige, der bei Albrechts als Schlepperfahrer die vollen Butten zu sieben 700-Kilo-Zubern bugsiert.
Alles ist im Wandel, gerade im Weinbau
Juniorchefin Luisa Albrecht (29) nimmt das Lesegut in Augenschein. „Wir werden daraus Saft machen“, erklärt die Oenologin, denn am 21. Juli habe es die Rebanlage ziemlich verhagelt. Bevor sie mit ihrem Fendt die Ausbeute quer durch die Stadt ins Weingut am Wartberg fährt, wo ihre Schwester Viola (31) den Keller managt, ruft sie: „Wer ist heute Vesper-Chef?“ „Ich!“, sagt Lilli, wobei Senior-Chefin Annette Albrecht schon alles vorbereitet hat: Tomatensalat, Linsen-Feta-Salat, Wurst, Käse, Kuchen und Kaffee. Am nahen Wengerthäuschen schaut Patron Peter Albrecht nach dem Rechten. „Da sind wir früher oft noch im November gesessen, haben uns gewärmt und die Gummistiefel versenkt“, sagt er mit Blick auf einen vorsintflutliche Feuerstelle. Alles ist im Wandel, gerade im Weinbau.