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Wird's noch heißer? Klimaforscher Mojib Latif äußert sich in Heilbronn zur Hitze

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Klimaforscher Mojib Latif will kein Pessimist sein bei seinem Vortrag an der Bürger-Uni auf dem Bildungscampus in Heilbronn. Doch ist das Klima wirklich noch zu retten?

„Mit Physik kann man nicht verhandeln“: Mojib Latif auf dem Bildungscampus der Dieter-Schwarz-Stiftung.
„Mit Physik kann man nicht verhandeln“: Mojib Latif auf dem Bildungscampus der Dieter-Schwarz-Stiftung.  Foto: Berger, Mario

Dass es nicht mehr vor, sondern nach zwölf ist, steht für Mojib Latif außer Frage. „Ich weiß zwar nicht, wie viel nach zwölf, aber auf jeden Fall haben wir schon zu hohe Temperaturen auf unserem Planeten“, sagt der renommierte Klimaexperte. So steigt etwa auch in Deutschland laut Deutschem Wetterdienst die Zahl der Hitzetage – also jener Tage mit mehr als 30 Grad Celsius.

Klimaforscher Mojib Latif bei Heilbronner Bürger-Uni: "Prognosen für Zukunft verheißen nichts Gutes"

Waren es in den 1970er Jahren im bundesweiten Durchschnitt nur einmal mehr als zehn – nämlich 1976 –, ist das seit 2015 in fast allen Jahren der Fall. Am stärksten betroffen ist der Osten und Südwesten. Mit all den Folgen, die damit zusammenhängen: Dürre, Waldbrände, Starkregen, Sturzfluten und Überschwemmungen.

„Die jüngsten Wetterextreme haben uns nachdrücklich vor Augen geführt, dass wir rund um den Globus mit den Auswirkungen eines weitgehend vom Menschen verursachten Klimawandels konfrontiert werden, und die Wetterprognosen für die Zukunft verheißen nichts Gutes“, deutet Latif eine Verschlimmerung der Situation an.


„Lässt sich die Klimakatastrophe noch verhindern?“, will er am Mittwochabend (25. Juni) in Heilbronn die Bürger-Uni wissen. „Ich könnte es kurz machen und ‚Ja‘ sagen und dann wieder gehen“, scherzt der Gastredner. Holt dann aber doch aus zu einem knapp einstündigen, sprunghaften Vortrag in der Aula auf dem Bildungscampus der Dieter-Schwarz-Stiftung. Das Interesse daran war groß und der Abend im Vorfeld schnell ausgebucht.

Latif über Klimawandel-Lösungen: Kurzfristige Krisen verdrängen langfristige Probleme

Mag eine demokratische Gesellschaft vom Wettstreit der Meinungen leben und wir es gewohnt sein, einen Mittelweg zu finden. Einen Satz hat Mojib Latif in seiner Präsentation rot hervorgehoben: „Mit Physik kann man nicht verhandeln und auch keine Kompromisse schließen!“

Dennoch wird in der Öffentlichkeit seit Jahrzehnten diskutiert, ob es einen Klimawandel gibt und das Klima vom Menschen beeinflusst wird, erinnert Latif an eine Titelstory im „Spiegel“. „Die Klima-Katastrophe – Ozon-Loch, Pol-Schmelze, Treibhaus-Effekt: Forscher warnen“ steht 1986 auf einem Cover des Wochenmagazins, zu sehen ist der Kölner Dom halb unter Wasser.

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Der Meteorologe, Ozeanograf und Klimaforscher beklagt, dass in den Medien wiederholt auch Menschen zu Wort kämen, die überhaupt nichts von dem Thema verstünden. „Die Medien opfern die wissenschaftliche Seriosität auf dem Altar der Quote“, so die Kritik des 70-Jährigen. Hinzu kommt ein Muster, das Mojib Latif ausgemacht hat: Kurzfristige Krisen verdrängen immer wieder langfristige Probleme.

Mitte der Nullerjahre etwa erreichte die Warnung des früheren US-Vizepräsident Al Gore vor der globalen Erwärmung ein Millionenpublikum, es folgten die Lehman-Brothers-Pleite 2008 und eine Weltwirtschaftskrise. „Ich erinnere mich an die vorletzte Europawahl, bei der die Grünen einen fulminanten Wahlsieg errungen hatten“, fährt der gebürtige Hamburger fort, „Ja, und was kam dann? Corona. Und zack war das Thema wieder weg. So geht es pausenlos.“

Fünf Kernsätzen von Forscher Latif zum Klimawandel

Eine weitere Krise stellen für den Autor und gefragten Interviewpartner Fake-News dar: „Sie können wirklich – Entschuldigung, dass ich das jetzt so sage – jeden Scheiß ins Netz stellen, und es gibt immer genügend Leute, die das glauben.“ Fünf Kerninfos zum Klimawandel hält er dem entgegen: Er ist real. Wir sind die Ursache. Er ist gefährlich. Die Fachleute sind sich einig. Und wir können noch etwas tun.

Gerne hätte man spätestens an dieser Stelle erfahren, was wir denn noch tun können. Doch Mojib Latif spricht lieber ein bisschen über den Club of Rome und dessen Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ aus dem Jahr 1972 sowie die erste Weltumweltkonferenz in Stockholm im selben Jahr, ehe er die Hauptursache für die Erderwärmung benennt – den Ausstoß von Kohlendioxid, kurz: CO2. Ein Gas, das entsteht, wenn fossile Brennstoffe wie Kohle, Gas, Erdöl verbrannt werden.

Das Interesse an der jüngsten Ausgabe der Bürger-Uni war groß und der Termin schnell ausgebucht.
Das Interesse an der jüngsten Ausgabe der Bürger-Uni war groß und der Termin schnell ausgebucht.  Foto: Berger, Mario

„Die Crux ist, dass dieses Gas eine unglaubliche Verweildauer in der Atmosphäre besitzt, es verweilt für Jahrhunderte, zum Teil für Jahrtausende in der Luft, deswegen kann es sich um den Erdball verteilen“, sagt Latif. Deswegen säßen wir auch alle im selben Boot und müssten alle Länder gemeinsam handeln. „Wenn den größten Verursachern von CO2, also China, den USA und Russland, das völlig egal ist, werden wir dieses Problem nicht lösen können.“

Mojib Latif: „Die 1,5 Grad können Sie vergessen“

Worauf Mojib Latif weitere historische Exkurse einschiebt über die erste wissenschaftliche Arbeit zum Einfluss des CO2 auf das Klima, 1896 verfasst vom schwedischen Physiker und Chemiker Svante Arrhenius. Und über den deutschen Meteorologen und Klimaforscher Hermann Flohn, der 1941 in seiner Habilitation vor der unabsehbaren Bedeutung eines menschengemachten Klimawandels warnt.

„Die Dinge liegen oder lagen schon lange auf dem Tisch, aber wir haben sie einfach ignoriert“, gibt Latif zu bedenken. Auch erinnert er an das Pariser Klimaabkommen von 2015, wonach der weltweite Temperaturanstieg deutlich unter zwei Grad, besser noch auf 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit begrenzt werden soll.

„Ohne dass ich nun als Pessimist hier von der Bühne gehen will, aber die 1,5 Grad können Sie vergessen“, sagt der Wissenschaftler ans Publikum gerichtet. Für Augenwischerei hält er, dass die Politik dennoch daran festhält. Auch weil dies zu Bewegungen wie die Letzte Generation führe. „Die sind so verzweifelt, weil wir de facto das 1,5-Grad-Ziel schon gerissen haben, dass sie sich nicht mehr zu helfen wissen und Straßen, Flughäfen und so weiter blockieren.“ Für überbewertet hält Mojib Latif in diesem Zusammenhang sogenannte Kipppunkte: „Wir sitzen doch noch hier. Das heißt also, irgendwie ist das Klima ja nun nicht völlig gekippt, oder?“

Was sich der Klimaforscher von der Politik wünscht

Mit „Yes we can“, dem Slogan von Ex-US-Präsident Barack Obama, wirbt der Hochschullehrer um Optimismus. Denn die Energie, die Technologie und das Geld seien vorhanden, um unter zwei Grad zu bleiben. „Wir werden in Deutschland nicht auf absehbare Zeit autark werden können, aber in Europa könnten wir das schon, weil irgendwo weht immer der Wind, und irgendwo scheint auch die Sonne, und Erdwärme gibt es ohnehin in vielen Gebieten“, ist Latif überzeugt.

Zwar hat Deutschland nur einen geringen Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß, doch kann auch ein kleines Land etwas bewirken, streicht der Seniorprofessor der Universität Kiel heraus und führt als Beispiel das 2000 in Kraft getretene Erneuerbare-Energien-Gesetz an. „Hätte Deutschland nicht damit angefangen, würden erneuerbaren Energien heute nicht weltweit boomen.“

Von der Politik fordert Mojib Latif im Anschluss-Gespräch mit Moderator und Stimme-Redakteur Tobias Wieland das Ende des Zick-Zack-Kurses. „Wir müssen uns jetzt mal unter den Parteien einigen, wie sich Deutschland in den nächsten Jahrzehnten entwickeln soll und wie wir das erreichen wollen. Und dieser Konsens muss auch durchgehalten werden, egal wer gerade die Wahl gewonnen hat.“ Denn nur mit planbaren, festen Rahmenbedingungen werde Deutschland auch wirtschaftlich stark sein.


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