„Kinder dürfen schreien“ – wie Kitas und Eltern mit herausforderndem Verhalten umgehen können
In der Gesprächsreihe „Bildung auf den Punkt“ diskutierten Expertinnen und Experten in Heilbronn, warum Medienkonsum, Zeitdruck und fehlende Ruhe den Alltag prägen – und was wirklich hilft.

Wie kann es gelingen, Kinder mit herausforderndem Verhalten gut zu begleiten? Um diese und viele weitere Fragen ging es in der jüngsten Gesprächsrunde der Heilbronner Stimme und der Akademie für Innovative Bildung und Management (AIM). Unter dem Motto „Bildung auf den Punkt“ bringt das gemeinsame Format regelmäßig Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis mit dem Publikum ins Gespräch, diesmal: „Wenn Verhalten zur Botschaft wird – Herausfordernde Kinder in der Kita begleiten.“
Rund 150 Zuhörerinnen und Zuhörer kamen dafür am Donnerstagabend ins Forum auf dem Bildungscampus Heilbronn. Moderiert wurde der Abend von Stimme-Redakteur Simon Gajer und Anna Wieland von der AIM.
„Unter drei – medienfrei“: Was Kinder heute brauchen
Der Lebensraum von Kindern hat sich verändert. Darin waren sich die Expertinnen einig. Steigender Medienkonsum, sinkende Frustrationstoleranz: All das stelle Kitas vor neue Herausforderungen. „Kinder haben das Recht, zu schreien oder auch mal trotzig zu sein“, sagte Christine Nössner vom Frühförderzentrum im Kinderzentrum Mosbach. Diese Reaktionen gehörten zur normalen Entwicklungsphase.
Wichtig sei, dass Kinder ihre Autonomie leben dürften. In manchen Familien sei das Bestreben groß, Harmonie zu bewahren – auch aus Zeitdruck oder Überforderung heraus. „Oft wird das Kind dann mit Handy oder Tablet abgelenkt“, so Nössner. Ein Teufelskreis, denn zu viel Mediennutzung könne die Sprachentwicklung hemmen. „Das ist für das Kind belastend und sorgt für Chaos im Kopf“, erklärte sie.
Medien grundsätzlich zu verteufeln, sei aber nicht ihr Ansatz: „Die Dosis macht’s, dann können Medien auch bereichern.“ Ihr persönliches Motto lautet: „Unter drei – medienfrei.“ Eltern frühzeitig einbeziehen, wenn im Kita-Alltag Auffälligkeiten auftreten, sei entscheidend, betonte Nössner. „Nicht belehrend, sondern begleitend und aufklärend.“ Oftmals komme eine große Dankbarkeit entgegen.
Kinder brauchen Konflikte – Eltern manchmal eine Pause
Auch ADHS werde manchmal vorschnell als Stempel aufgedrückt. Dabei gehe es oft darum, dass Kinder erst lernen müssen, mit ihren Gefühlen umzugehen. „Wenn ein Baby schreit, sagt man ja auch nicht: ‚Warum bist du jetzt so impulsiv?‘“, so Nössner. Dem stimmte Judith Teller, Erzieherin, studierte Heilpädagogin, Fachberaterin für Kitas und Dozentin bei der AIM, zu. „Es gibt ein Sprichwort, das lautet: Wo es zu höflich ist, ist es friedhöflich. Kinder brauchen Auseinandersetzung.“
Teller beobachtet zugleich, dass der Druck auf Eltern heute größer ist: Viele müssten arbeiten, um die steigenden Lebenshaltungskosten zu stemmen. „Oft begegnet man sich in der Familie nur noch, wenn alle müde sind, etwa abends am Esstisch. Diese Übergänge sind oft konfliktbeladen.“ Da die gemeinsame Zeit knapp und kostbar sei, wollten viele Eltern Streit vermeiden und gäben in Konflikten eher nach.
Gemeinsam Ruhe finden und Verantwortung teilen
Entspannung und Entlastung seien daher auf beiden Seiten wichtig, bei Eltern ebenso wie bei Kindern, ergänzte Fea Finger, Referentin bei der AIM, Kindheitspädagogin, Autorin und Podcasterin („Feas naive Welt“). „Strukturen, die Stress abbauen, helfen allen Beteiligten“, so die Expertin.
Einig waren sich die drei Frauen vor allem darin, dass alle gefragt seien – Familien wie Fachkräfte. Wie man auf ein auffälliges Kind reagiert, hänge oft auch von der eigenen Tagesform ab. Deshalb sei es wichtig, Situationen im Team nachzubesprechen.
Wo Eltern und Fachkräfte voneinander lernen
Außerdem brauche es mehr Beziehungsarbeit zwischen Kita und Elternhaus. „Erzieherinnen und Erzieher können die Lebenswelt der Kinder nur verstehen, wenn Eltern Einblicke geben“, so der Tenor. Es gehe darum, Vertrauen aufzubauen. „Ohne Eltern geht gar nichts.“ Wichtig sei zudem, Kindern auf Augenhöhe zu begegnen und Situationen so zu erklären, dass sie diese verstehen.
ine Erzieherin aus dem Publikum berichtete, dass sogenannte Elternbesuchswochen in ihrer Einrichtung gut ankämen. „Eltern sind danach ganz begeistert, weil sie den Tagesablauf miterleben und verstehen, warum manches so läuft, wie es läuft.“ Ein anderer Zuhörer regte an, über die Länge von Eingewöhnungszeiten zu sprechen. Auch das sei ein Thema, das Familien und Fachkräfte gemeinsam trage.


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