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Absolute Verschwiegenheit
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JVA-Seelsorger kennt die Geheimnisse von Strafgefangenen in Heilbronn

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Im Heilbronner Gefängnis können die Insassen mit dem Seelsorger Jochen Stiefel über alles sprechen. Er ist absolut verschwiegen. Mit welchen Themen kommen die Insassen zu ihm?


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Das Männer-Gefängnis in der Steinstraße in Heilbronn ist auch ein Ort für Geheimnisse. Mit Jochen Stiefel können die Insassen über alles sprechen – auch über ihre Taten. Der Gefängnisseelsorger ist verschwiegen. Anderen Menschen fällt das oft schwer. Dabei hat jeder seine Geheimnisse. Und das ist laut Stiefel auch gut so.  

Sie wissen Dinge über Taten oder Motive, Herr Stiefel, die sonst keiner weiß.

Jochen Stiefel: Kann sein.

Dürfen Sie nicht mal diese Feststellung aufgrund des Beichtgeheimnisses bestätigen?

Stiefel: Doch, doch (lacht). Ich weiß natürlich Dinge von Insassen, die in der Regel in der Vergangenheit liegen. Ich sage: Das Beichtgeheimnis gilt bei zurückliegenden Dingen absolut. Die Vergangenheit kann ich nicht mehr ändern. Es kann sein, dass jemand sagt: Wenn ich rauskomme, habe ich ausgesorgt. Ich habe Geld irgendwo gebunkert. Oder: Die Polizei hat gar nicht alles mitbekommen, was wir gedreht haben. Wenn andere Mitarbeiter hier im Haus so etwas hören, müssten sie das melden. Ich aber nicht.

Sprechen die Menschen deshalb mit Ihnen?

Stiefel: Das auf jeden Fall. Der geschützte Rahmen ist den meisten Insassen bekannt.

Kommen einige Insassen zu Ihnen, weil sie sich was von der Seele reden möchten?

Stiefel: Ja, sie wissen, dass ich nichts weitersage. Das ist das Pfund, mit dem wir Seelsorger wuchern.

Gefängnis­seelsorger Jochen Stiefel behält Geheimnisse von Insassen der Justizvollzugsanstalt Heilbronn für sich.
Gefängnis­seelsorger Jochen Stiefel behält Geheimnisse von Insassen der Justizvollzugsanstalt Heilbronn für sich.  Foto: Seidel, Ralf

Was erzählen Ihnen die Insassen?

Stiefel: Das Thementableau ist wie ein bunter Blumenstrauß. Um es kurz zu skizzieren: Seelsorge ist für mich Begleitung in einer Krise. Das Gefängnis als solches ist schon eine Krise. Dann gibt es Krisen im Gefängnisalltag. Die können auch von außen indiziert sein. Ein wichtiges Thema dabei sind Beziehungen. Die Insassen sind hier drin mächtig unter Druck. Sie haben wenig Besuchsmöglichkeiten, nur ein paar Stunden im Monat. Das Telefonieren ist sehr eingeschränkt. Sie haben keine digitalen Medien. Klar fangen manche an, Briefe zu schreiben und bekommen auch welche von außerhalb. Aber die Möglichkeiten sind schon sehr reduziert. Wenn zum Beispiel eine Partnerin nicht zurückschreibt, holpert es. Der Gefangene macht sich Gedanken: Warum schreibt sie mir nicht? Oder er ruft sie an und sie geht nicht ran. Da kann es ganz schnell kriseln. Selbst hartgesottene Männer kriegen da Panik. Darüber können sie mit mir reden.

Wie reagieren Sie?

Stiefel: Ich fasse das, was sie sagen, in meinen eigenen Worten zusammen. Ich bringe Distanz in die Problematik. Ich schaue, ob ein Problem eigentlich aus verschiedenen Themen besteht. Das kann ich mit demjenigen sortieren. Was ist jetzt das Wichtigste für ihn? Bei den Beziehungen sind die Themen am komplexesten.

Zur Person

Seit April 2014 ist der evangelische Pfarrer Jochen Stiefel (64) Gefängnisseelsorger in der Justizvollzugsanstalt Heilbronn. Der gebürtige Metzinger studierte evangelische Theologie in Berlin, Heidelberg und Tübingen. Er war Pfarrer unter anderem in Herrenberg-Haslach und in Großbettlingen bei Nürtingen. Stiefel wechselte in den Schuldienst an eine gewerbliche Schule für Metallberufe in Stuttgart. Er ist verheiratet und hat einen Sohn. 

Kommen einige Insassen aber auch mit dem, was sie getan haben, nicht zurecht?

Stiefel: Beim Erstkontakt frage ich: Warum sind Sie hier? Bei seiner Antwort spüre ich schon, ob so etwas wie Schuld und Reue oder schlechtes Gewissen vorhanden ist, oder ob jemand relativ gechillt unterwegs ist. Man muss sehen, dass wir hier etwa 30 Prozent Drogenabhängige haben. Die haben zunächst kein schlechtes Gewissen wegen ihrer Taten, sondern ein ganz anderes Problem. Aber es gibt natürlich Fälle von Reue.

Haben Sie ein Beispiel?

Stiefel: Ein Insasse beispielsweise war wegen Totschlags hier. Er hatte vor der Tat eine ganz schwierige Beziehung zu einer Frau. Sie kränkte ihn immer wieder, was seine Tat niemals rechtfertigt. Aber es hat etwas mit ihm gemacht. Er beging, wie er selbst sagte, den größten Fehler. Er war im Schützenverein. Dann spitzte sich die Situation zu und an jenem Samstagmorgen nahm er das Gewehr und tötete seine Partnerin mit einem Schuss. Das bereute er ohne Ende. Ihn in seiner Schuld zu begleiten, ist meine Aufgabe. Ich nehme ihm nicht die Verantwortung vor dem Gesetz weg. Für die Tat bekam er zwölf Jahre. Ich kann ihm aufzeigen, wie er damit weiterleben kann.

Vertrauen Ihnen Insassen auch Geheimnisse an, die Sie in die Bredouille bringen?

Stiefel: Schwierig wird es, wenn das Gesagte ein Geschehen in der Zukunft betrifft. Das kommt ganz selten vor – Gott sei Dank. Einmal sagte mir jemand auf dem Stockwerk glaubhaft: Wenn der Beamte noch einmal hierherkommt, schneide ich ihm die Kehle durch. Der Insasse sollte abgeschoben werden. Ich wusste, dass er nur noch ein paar Tage hier ist. Ich informierte mich, ob der Beamte bis zur Abschiebung überhaupt im Dienstplan steht. Ich war erleichtert, als ich sah, dass der Beamte in der Woche abwesend war. Ich schlief trotzdem zwei Nächte schlecht. Am dritten Tag wurde der Insasse tatsächlich abgeschoben. Es war das erste Mal, dass ich einen Abschiebehäftling am nächsten Tag anrief und fragte, ob er gut angekommen sei. Ich hörte seine Stimme in dem fremden Land und war beruhigt.

Wie gehen Sie damit um, wenn das Wissen, das Sie haben, Sie belastet?

Stiefel: In solchen Fällen ist meine erste Ansprechpartnerin meine Vorgesetzte, die Seelsorge-Dekanin Susanne Büttner in Schwäbisch Gmünd. Ihr kann ich sagen, dass ich ein Problem habe, und sie fragen, wie ich damit umgehe. In der Seelsorge neigen wir am ehesten dazu, dass das Leben als höchstes Gut zu schützen ist. An der Stelle ist das Beichtgeheimnis nicht absolut.

Besprechen Sie solche Dinge auch mit Menschen, die Ihnen nahestehen wie etwa Ihre Frau?

Stiefel: Nein, das würde sie auch nicht wollen. Ich trenne den dienstlichen und den privaten Bereich. Das hat sich bewährt.

Trotzdem werden Sie nicht mit jedem Fall und allem, was Sie beschäftigt, zur Dekanin gehen. Es wird nicht immer um Leben und Tod gehen.

Stiefel: Ich zeige mal ein anderes Feld auf, mit dem ich nahezu täglich konfrontiert bin. Im Gefängnis gibt es eine Art Subkultur. Hier gelten manch andere Regeln. Da hat zum Beispiel ein Insasse ein blaues Auge oder er wird erpresst – und die Opfer schweigen. Das ist das oberste Gebot hier drinnen. In einigen Fällen erfahre ich, wer der Täter ist. Es ist klar, dass ich das nicht weitersage. Es besteht keine Gefahr für das Leben, und das Ereignis liegt in der Vergangenheit. Für das Opfer ist es aber wichtig, darüber reden zu können.

Damit stützen Sie aber doch solche Strukturen.

Stiefel: Ja, aber es geht nicht um Leben und Tod. Und: Ich denke, man bräuchte eine andere Art von Strafvollzug, um diese Subkultur zu reduzieren. Sie ist auch Teil des Systems.

Was denken Sie, warum es Menschen oft schwerfällt, ein Geheimnis für sich zu behalten?

Stiefel: Das ist oft auch Wichtigtuerei. Man weiß was und trägt es weiter, ohne zu bedenken, dass man damit jemandem schaden kann. Wer etwas weiß, fühlt sich herausgehoben und als etwas Besonderes. Denken Sie mal an die Verschwörungsmythen. Hier im Gefängnis gibt es auch Reichsbürger und andere Leute. In solchen Gruppierungen spielt das Geheimnis eine wichtige Rolle. Es ist ein eigenes Phänomen. Geheimnisse, vermeintlich verborgenes Wissen, halten eine verschworene Gruppe zusammen, die sich von der Mehrheit unterscheidet.

Geheimnisse können auch etwas Gutes haben. Warum sind sie wichtig?

Stiefel: Ich denke, es kann in Beziehungen sinnvoll sein, wenn das Gegenüber nicht alles weiß. Die Wahrheit zu sagen, heißt nicht, dass man immer alles sagt. Man hat eine Verantwortung für das, was daraus folgt. Wenn etwas einen großen Schaden anrichtet oder einen anderen kolossal verletzt, wäre ich schon auch vorsichtig.

Studien sagen, dass jeder Mensch Geheimnisse in sich trägt.

Stiefel: Natürlich, jeder Mensch hat Geheimnisse und das macht ihn auch aus. Es gibt Dinge, die nur mich was angehen. Meine ganz persönlichen Geheimnisse gehören zu meiner Individualität und zu meiner Identität.




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