„Die Sucht, sich ständig abzulenken“ – Heilbronner Professorin forscht zu Social Media
Authentizität, Likes, parasoziale Beziehungen: Susanne Wilpers von der Hochschule Heilbronn erklärt, warum Influencer so großen Einfluss auf ihre Follower haben.
Susanne Wilpers lehrt Leadership und Personalmanagement an der Hochschule Heilbronn und hat gemeinsam mit Ann-Kathrin Harms von der Hamburg School of Business Administration (HSBA) ein Kapitel im Buch Influencer Marketing (2025) veröffentlicht. Im Interview spricht sie darüber, wie parasoziale Beziehungen entstehen, was Social Media mit unserem Verhalten macht und welche psychologischen Mechanismen bei Followern greifen, wenn sie Menschen im Netz anhimmeln.
Frau Wilpers, folgen Sie denn selbst irgendwelchen Influencern?
Susanne Wilpers: Ja, auch ich gehöre zu den Followern (lacht). Bei mir sind es tatsächlich Leute, die mehr Erfahrung in bestimmten Dingen haben und von denen ich etwas lernen kann. Ich folge beispielsweise einem Yoga-Experten aus Kalifornien, der coole Challenges postet.
Welche psychologischen Bedürfnisse erfüllen Influencer für uns Follower?
Wilpers: Sie bedienen verschiedenste Mechanismen. Influencer können Rollen haben, denen wir gerne folgen, weil wir Orientierung suchen. Führung bedeutet ja immer auch Orientierung. Und Influencer-Rollen sind sehr vielfältig.

Haben Sie Beispiele?
Wilpers: Das reicht vom reinen Wissensvermittler über Menschen, die viele Empfehlungen geben, bis hin zu Lebensberatern in psychisch schwierigen Situationen. Manche suchen einfach Unterhaltung – das gab es früher schon auf Bühnen, heute eben in Social Media. Und dann gibt es natürlich auch Idole, die man richtig anhimmelt. Ebenso kann es passieren, dass man auf Personen reinfällt, die Dinge falsch darstellen – Quacksalber sozusagen. Entscheidend ist: Die Beziehung ist einseitig. Ich folge einer Person, und ich entwickle Vertrauen, obwohl fast nichts zurückkommt. Man nennt das parasoziale Beziehung. Ich glaube also subjektiv, ich hätte eine Beziehung zu dieser Person.
Mehr Vertrauen, je öfter Influencer posten – der Mere-Exposure-Effekt
Welche Rolle spielt Authentizität, ist sie ein Gefühl oder doch eher Strategie?
Wilpers: Authentizität ist extrem wichtig. Besonders spannend fanden wir, dass Werbung oben im Video – also die Kennzeichnung „Werbung“ – die Authentizität sogar erhöhen kann. Man würde ja denken, das Gegenteil ist der Fall. Aber viele Follower empfinden das als ehrlich. Authentizität heißt also nicht nur Natürlichkeit, sondern auch Transparenz: „Ich mache das hier aus den und den Gründen.“ Das erhöht das Vertrauen. Das hat uns selbst überrascht.
Welche Mechanismen nutzen Influencer sonst noch, um Vertrauen aufzubauen?
Wilpers: Viele Influencer versuchen, sehr häufig zu posten. Wenn ich sie ständig sehe, habe ich automatisch mehr Vertrauen, das ist der Mere-Exposure-Effekt. Je häufiger etwas auftaucht, desto vertrauter und interessanter wirkt es, selbst wenn ich es anfangs vielleicht skurril fand. Ein weiterer Mechanismus sind die Like- und Followerzahlen. Je mehr Likes und Follower, desto eher glaube ich, dass das richtig ist, was die Person macht. Wichtig sind auch Kommentare. Selbst wenn ein Bot antwortet, empfinde ich das als persönlichen Kontakt. Das verstärkt das Gefühl einer sozialen Bindung.
Über die Sucht, sich ständig abzulenken
Sie haben vorhin das „Anhimmeln“ erwähnt. Welche Risiken birgt diese emotionale Nähe bei Followern?
Wilpers: Das hat alles Vor- und Nachteile. Auf der einen Seite kann es in Situationen, in denen es mir nicht gut geht, Unterstützung bieten. Auf der anderen Seite gibt es natürlich Risiken. Ein riesiges Thema ist Social Media Addiction – also die Sucht, sich ständig abzulenken. Man kommt in so ein Flow-Erleben, das zwar kurzfristig befriedigt, aber eigentlich nur Zeit frisst. Dann entstehen Blasen, also Gruppen, die mich zwar unterstützen, aber nicht unbedingt positiv. Ein klassisches Beispiel ist der Bereich Anorexie: Gruppen, die sich gegenseitig beim Abhungern motivieren. Solche Nischen sind gefährlich.

Was kann man tun?
Wilpers: Als Influencer sollte man sich selbst reflektieren: Was mache ich da eigentlich? Unterstütze ich vielleicht Dinge, die nicht unterstützenswert sind? Und jeder sollte sich selbst fragen: Wie viel Zeit verbringe ich in den sozialen Medien? Die wöchentlichen Handy-Updates zeigen das ja sehr klar.
Wie finden Sie Live-Videos, in denen mit Followern gekocht oder gequatscht wird?
Wilpers: Ich glaube, genau da entsteht das Gefühl, echten sozialen Kontakt zu haben, weil es live ist. Da passieren auch Fehler – man schaut komisch oder bewegt sich seltsam – das wirkt authentisch. Und man fühlt sich einer großen Community zugehörig, wie bei den Gamern auf Twitch. Das hat eine echte Faszination. Ob ich persönlich jemandem stundenlang beim Kochen zuschauen möchte – das ist eine andere Frage.
Was hat Sie in Ihrer Forschung persönlich am meisten fasziniert?
Wilpers: Als jemand aus einer anderen Generation, in der Kontaktverhalten analog stattfand, finde ich die Verlagerung ins Digitale sehr spannend. Es entsteht eine neue soziale Realität. Mein Wunsch ist, dass man das nicht verteufelt, sondern erkennt: Es sind neue Formen des Kontakts. Und man muss reflektieren – als Influencer und als Follower.

Stimme.de
Kommentare