Stimme+
Vortragsreihe
Lesezeichen setzen Merken

Bürger-Uni Heilbronn über die Psychologie des Risikos

   | 
Lesezeit  3 Min
Erfolgreich kopiert!

Wie gehen die Menschen mit potenziellen und tatsächlichen Gefahren um? Das war Thema bei der Heilbronner Bürger-Uni mit dem Risikoforscher Ortwin Renn.

von Stefanie Pfäffle

Risikofreudige Menschen − sind das solche, die aus Flugzeugen springen? Oder eher die, die einen ungewaschenen Apfel essen? Oder die, die wie Stimme-Redakteur Tobias Wieland in der Heilbronner Innenstadt wohnen, wo ihnen an jeder Ecke eine Dönerbude auflauert? Da wird schnell klar, Risiko ist oder scheint zumindest ein relativer Begriff zu sein. Doch zum Glück gibt es ja Wissenschaftler wie Professor Ortwin Renn, die sich mit dem Risiko ganz wissenschaftlich beschäftigen. Er war am Donnerstag in die Aula auf dem Bildungscampus gekommen, um bei der 25. Vorlesung der Bürger-Uni über "Die Psychologie des Risikos − wie Menschen mit Unsicherheiten umgehen" zu sprechen.

Ortwin Renn spricht bei Heilbronner Bürger-Uni über die Psychologie des Risikos

"Ich wusste gar nicht, dass es so ein hohes Risiko ist, nach Heilbronn zu kommen", geht er direkt auf Tobias Wielands Scherz mit den Dönerbuden ein. "Ich dachte, das Riskanteste ist es, mit der Bahn herzukommen." Aber es hat geklappt, schließlich hat er zwei Stunden Puffer eingeplant. Die Stimmung ist sofort gelöst, und Ortwin Renn wird es schaffen, diese Stimmung zu erhalten, wenn auch die eine oder andere Aussage durchaus mahnend daherkommt.


Zunächst gilt es mal, den Begriff Risiken zu definieren: Es sind mögliche Folgen von Ereignissen oder Handlungen in Bezug auf Dinge, die einem am Herzen liegen. Das können sowohl andere Menschen, die Gesundheit, die Umwelt oder auch der Geldbeutel sein. Die Ereignisse können natürlich oder wirtschaftlich oder politisch sein. "Gestern haben wir viele Risiken erlebt, ich habe das nicht so bestellt", schwört der Buchautor und bezieht sich damit auf den sehr ereignisreichen Mittwoch mit der Wahl Trumps zum neuen US-Präsidenten am Morgen und dem Aus der Ampelregierung am Abend.

Beachtet werden müssen dabei zwei Komponenten: Die sogenannte aleatorische Unsicherheit bezeichnet Zufallsschwankungen bei statistischen Abschätzungen. "Ich kann Wahrscheinlichkeiten immer berechnen, aber nicht genaue Ereignisse vorhersagen", betont Ortwin Renn. Die zweite Komponente ist die epistemische Unsicherheit, also aus Mangel an Wissen. "Die Risikowissenschaft ist nun der Versuch, beide Komponenten zu charakterisieren und eventuell zu qualifizieren, um handeln zu können, bevor wir alles wissen." Wenn man bei Corona mit allen Maßnahmen gewartet hätte, bis alle Fakten bekannt waren, wären jetzt wohl alle tot, fügt er als Beispiel hinzu.

Bürger-Uni Heilbronn zum Thema Risiko: individuelle Wahrnehmung ist entscheidend

Gute Nachrichten: Generell sinken die Risiken für das Leben weltweit, in 172 von 193 Ländern ist die Lebenserwartung gestiegen. Allerrdings ist dabei die Schere zwischen Reich und Arm weiter auseinandergegangen, sowohl im Vergleich der Länder als auch zwischen den Bevölkerungsteilen. "Das ist ein Teil der Unzufriedenheit, die wir erleben", meint der Träger des Bundesverdienstkreuzes erster Klasse. "Das Paradox der Risikowahrnehmung ist, dass je sicherer die Menschen leben, desto mehr machen sie sich Sorgen um Sicherheit und Risiken", stellt der Volkswirt und Soziologe fest.

Die Wahrnehmung von Risiken ist individuell. "Wir tragen die Wahrheit in uns, was wir als wahr wahrnehmen." Nicht selten unterschätzen wir tatsächliche Gefahren wie etwa das Rauchen, überschätzen aber dafür andere wie Pflanzenschutzmittel in Lebensmitteln. Davon hängt aber wiederum das Verhalten ab, egal ob es den Tatsachen entspricht oder nicht. Besonders angstauslösend sind dabei Situationen, bei denen eine hohe Unsicherheit vorherrscht. Dabei schafft tatsächlich mehr Wissen oft mehr Unsicherheit, das habe man auch während der Pandemie und der Impfdebatte gesehen. "Je mehr wir wussten, desto komplexer wurde es." Oft haben wir mehr Angst vor Gefahren, von denen wir selbst betroffen sein könnten. Die typischen Reaktionen Totstellen, Flucht und Kampf sind ursprünglich und tief im Menschen verankert. Das setzt sich fort bis heute mit den typischen Reaktion auf Risiken: ignorieren, Flucht oder Kampf, je nachdem, was für ein Typ man ist.

Die Forschung unterscheidet sechs Risikotypen. Die drohende Gefahr etwa der Super-GAU bei einem Kernkraftwerk, sehr groß, aber sehr selten. Die schleichende Gefahr wie Klimaveränderungen oder Vergiftungen. Verdrängte Gefahren, an die wir uns gewöhnt haben. Dann gibt es noch eingebildete Gefahren, gesuchte Gefahren (Bergsteigen ohne Atemgerät) oder abwägende Gefahr, etwa beim Wetter.

Bürger-Uni Heilbronn befasst sich mit Risikoabwägung: eine Frage des Vertrauens

Bei der drohenden Gefahr ist die Zufälligkeit die eigentliche Bedrohung. "Die Experten berechnen die Wahrscheinlichkeit etwa eines Super-GAUs als sehr gering, aber die Menschen fragen, kann es morgen passieren, und ja, kann es", erklärt Ortwin Renn. Dann sei den Leuten die Wahrscheinlichkeit egal, für ihn im Grunde der Kern der Atomdebatte. Bei der schleichenden Gefahr sind wir auf Informationen anderer angewiesen. "Niemand von Ihnen kann Toxine im Essen nachweisen, keiner hat tausend Ratten im Keller, hoffe ich zumindest." Das Schlüsselwort heißt also Vertrauen. Da gibt es dann drei Typen. Wer vertraut, wägt Nutzen und Risiko ab, wer grundsätzlich nicht vertraut, will das absolute Null-Risiko. Wer in der Vielleicht-Fraktion ist, bildet sein Urteil oft nach externen Faktoren.

Das größte aktuelle Problem sind aber systemische Risiken, die komplex sind − so wie ökologische Risiken. Da dürften nicht einzelne Bereiche für sich betrachtet werden, sondern alles im Zusammenhang. So müssten Kompromisse gefunden werden, die für alle gut, aber eben für keinen optimal sind. "Daran ist die Ampel meiner Meinung nach gescheitert." Generell müssten wir alle risikomündiger werden, erkennen, dass nichts nur schwarz und weiß ist.

 
Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung
Keine Kommentare gefunden
  Nach oben