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Prozess in Heilbronn
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Schläge wegen der Familienehre: Angeklagter scherte Schädel seiner Schwester kahl

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Um die vermeintliche Familienehre wiederherzustellen, hat ein 31-jähriger Heilbronner im März 2025 seine Schwester vor den Augen der Familie misshandelt und ihr den Kopf kahl rasiert. Das Amtsgericht Heilbronn hat am Freitag das Urteil verkündet.


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„Für so eine Tat darf es eigentlich keine Bewährung geben“, sagte Richterin Annalena Kohler eingangs ihrer Urteilsbegründung. Und doch lagen sich am Ende der Verhandlung in Saal vier des Heilbronner Amtsgerichts Täter und Opfer glücklich in den Armen. Das Schöffengericht hat den 31 Jahre alten Angeklagten zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wird.

Angeklagter in Heilbronn räumt Vorwürfe der Staatsanwaltschaft ein

Schuldig gemacht hat sich der in Deutschland geborene türkische Staatsbürger unter anderem der gefährlichen Körperverletzung, der Bedrohung und der Nötigung. Sämtliche Vorwürfe der Staatsanwaltschaft räumte der Angeklagte in der Hauptverhandlung ein. Demnach hat er am 27. März 2025 gegen 16 Uhr seine 20 Jahre alte Schwester in einer Heilbronner Wohnung aufgesucht, um sie zu maßregeln und die Familienehre wieder herzustellen. Weil sie außerehelichen Geschlechtsverkehr gehabt habe.

Weil er seine Schwester geschlagen und gewürgt hat, musste sich ein 31 Jahre alter Mann vor dem Heilbronner Amtsgericht verantworten.
Weil er seine Schwester geschlagen und gewürgt hat, musste sich ein 31 Jahre alter Mann vor dem Heilbronner Amtsgericht verantworten.  Foto: Lina Bihr

In der Folge hat der Beschuldigte seine Schwester offenbar mehrfach mit einem Kopftuch um den Hals gewürgt, bis ihr schwarz vor Augen wurde. Der Angeklagte räumte ein, sie ins Badezimmer gezerrt zu haben, um ihr zunächst mit einer Schere die hüftlangen Haare abzuschneiden. Das Klagen seiner Schwester hat er demnach damit unterbunden, dass er ihr drohte, das Küchenmesser zu holen. Es folgten offenbar Tritte gegen den Kopf und Schläge mit einem Kunststoffschuhlöffel, bis er zerbrach. 

Juristische Vertreterin in Heilbronn: Geschädigte habe kein weiteres Interesse an Strafverfolgung

Vor den Augen der Familie habe er danach den Schädel seiner Schwester kahl geschoren. Erst als der Angeklagte der Geschädigten so stark gegen die Brust getreten hat, dass sie vom Stuhl fiel, ist der Vater dazwischen gegangen. Schließlich ließ nach Auffassung des Gerichts der Angeklagte von seinem Opfer ab. Zwei Tage später folgte eine Handynachricht mit dem Inhalt, dass er innerhalb von 60 Minuten ihr Blut in den Händen haben würde. „Egal wohin du gehst, ich werde dich finden“, stand in einer Nachricht. Auf sie warte die Hölle. 

Glaubhafte Reue habe der Beschuldigte gezeigt, ist Richterin Kohler überzeugt. Und auch seine Schwester, die als Geschädigte im Prozess als Nebenklägerin aufgetreten ist, hat ihren Frieden mit ihrem Bruder geschlossen. Sie habe kein weiteres Interesse mehr an einer Strafverfolgung, erklärte deren juristische Vertreterin Elisabeth Unger-Schnell. 

Ermöglicht hatte diese Wendung offenbar eine Initiative des Verteidigers Lars Middendorf. Er vermittelte im Vorfeld der Hauptverhandlung ein Treffen zwischen Bruder und Schwester in der Justizvollzugsanstalt. Dabei sind sich die Geschwister offenbar wieder nähergekommen und vereinbarten einen Täter-Opfer-Ausgleich. Während des Prozesses lächelten Bruder und Schwester sich immer wieder an. Der Angeklagte versprach, nicht mehr die Hand gegen seine Schwester zu erheben. Diese versicherte, dass sie keine Angst mehr vor ihrem Bruder habe.

Heilbronner Richter schenken Versöhnung der Geschwister Glauben

Dem Gericht erschien die Versöhnung glaubhaft. Und Richterin Kohler attestierte dem Angeklagten eine positive Sozialprognose. Dennoch habe sich das Schöffengericht lange schwergetan, eine Bewährungsstrafe auszusprechen, so die Richterin. 

Im Prozess gegen den 31 Jahre alten Mann aus Heilbronn haben alle Prozessbeteiligten das Urteil akzeptiert. Der Richterspruch ist damit rechtskräftig. Der Angeklagte muss jetzt zwar für drei Jahre strenge Bewährungsauflagen erfüllten. Dazu gehört unter anderem, ein Anti-Gewalttraining für häusliche Gewalt bei der Jugendhilfe Unterland erfolgreich abzuschließen. Das Gerichtsgebäude verließ der Verurteilte aber als freier Mann. 

Denn die massive Gewalt habe sich über einen längeren Zeitraum hingezogen. Und das Motiv widerspreche den Werten des Rechtsstaats. „Alle Menschen sind gleich, egal, ob Mann oder Frau“, sagte Annalena Kohler. Auch eine Frau habe das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. „Da hat kein Bruder oder Vater einzuwirken.“

Neben den körperlichen Verletzungen, der Ängste und der Demütigung vor der Familie hob die Richterin mehrfach das Rasieren des Haares hervor. „Was ist mehr der Schmuck einer Frau?“, so die Richterin. „Das haben Sie ihr genommen.“ Stattdessen sei sie kahlrasiert wie ein buddhistischer Mönch, der sich für Askese entschieden hat. „Das ist richtig bitter“, so Annalena Kohler.

Prozess in Heilbronn: Staatsanwältin spricht von Motiv wie bei klassischem Ehrenmordfall

Mit dem Urteil folgte das Gericht dem Antrag von Staatsanwaltschaft, Nebenklägervertreterin und Verteidigung. Zwar war die vorgeworfene Tat für Staatsanwältin Katrina Rauer „besonders verwerflich“. Für sie stand fest, dass der Beschuldigte offenbar dachte, er könne seine Macht demonstrieren und seine 20 Jahre alte Schwester maßregeln. Und durch ihren Tod die Familienehre wieder herstellen. Zwar habe sich der Täter in letzter Sekunde entschieden, sie nicht zu töten. „Aber das ist ein klassischer Ehrenmordfall, von dem der Angeklagte noch abgetreten ist“, so Katrina Rauer.


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